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Neue EU-Vorgaben für die kommunale Abwasserreinigung 02.05.2024, 09:00 Uhr

Meilenstein für den Gewässerschutz

Die EU verschärft mit der Novelle der Kommunalabwasserrichtlinie die Vorgaben für die Siedlungswasserwirtschaft deutlich. Sie bezieht neue Parameter wie Mikroplastik und Arzneimittelrückstände mit ein und nimmt mit der erweiterten Herstellerverantwortung die Industrie bei der Finanzierung der weitergehenden Abwasserbehandlung in die Pflicht. Ein Wasserwirtschaftsverband nimmt in einem Politikmemorandum hierzu Stellung.

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Alle größeren Kläranlagen müssen alsbald mit einer vierten Reinigungsstufe ausgestattet sein.

Foto: PantherMedia/mproduction

„Die neue Kommunalabwasserrichtlinie ist ein Meilenstein für den Gewässerschutz“, sagt Prof. Uli Paetzel, Präsident der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) mit Sitz in Hennef in Nordrhein-Westfalen. Doch diese umzusetzen, wird kosten. Sie wird allein in Deutschland in den nächsten 20 Jahren Investitionen von 20 bis 25 Mrd. € auslösen. Etwa die Hälfte hiervon wird auf die weitergehende Abwasserbehandlung entfallen, die ein Teil der Industrie mittragen muss.

Das EU-Parlament hat die Novellierung am 10. April 2024 beschlossen. Die Zustimmung des EU-Ministerrates wird für Oktober erwartet. Anschließend muss Deutschland die novellierte EU-Richtlinie innerhalb von zweieinhalb Jahren nach Veröffentlichung im Amtsblatt in nationales Recht umsetzen.

Politikmemorandum der DWA

Zufällig ebenfalls am 10. April hat die DWA den umweltpolitischen Sprecherinnen und Sprechern der im Bundestag vertretenen Parteien das „Politikmemorandum 2024“ übergeben. Im Fokus des Memorandums liegt die anstehende Umsetzung der novellierten Kommunalabwasserrichtlinie in nationales Recht – vor allem mit folgenden drei Aspekten:

  • den verschärften Vorgaben für Phosphor- und Stickstoffgehalten im Kläranlagenablauf,
  • der weitergehenden Abwasserbehandlung zum Spurenstoffabbau durch eine weitere Reinigungsstufe sowie
  • die geforderte Energieneutralität der Abwasserbehandlung.

Gruppenfoto nach der Überreichung des DWA-Politikmemorandums (v.l.n.r.): Rolf Usadel (Kaufmännischer Geschäftsführer DWA), Prof. Uli Paetzel (Präsident DWA), Dr. Bettina Hoffmann (Parlamentarische Staatssekretärin, BMUV), Dr. Lisa Broß (Sprecherin der DWA-Bundesgeschäftsführung), Dunja Kreiser (wasserpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion), Christoph Leptien (Leiter DWA-Stabstelle Politik), Astrid Damerow (wasserpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion), Muhanad Al-Halak (wasserpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion).

Foto: Peter Himsel

Diese Vorgaben bedeuten für die Branche Investitionen in Höhe von bis zu 25 Mrd. €. Diese müssen die Kläranlagenbetreiber zusätzlich zur Erneuerung und Sanierung der abwasserwirtschaftlichen Infrastruktur stemmen. Die Bundesregierung müsse hierfür Finanzierungskonzepte schaffen, die den Herausforderungen angemessen sind, beispielsweise Förderprogramme oder zinsverbilligte Darlehen, betont die DWA im Politikmemorandum.

Herstellerverantwortung erweitert

Die EU integriert mit der erweiterten Herstellverantwortung das Verursacherprinzip in das EU-Wasserrecht und senkt damit die Kosten für die weitergehende Abwasserbehandlung für die kommunalen Betriebe: Mindestens 80 % der Gesamtkosten der weitergehenden Abwasserbehandlung – damit sind Investitions- und Betriebskosten gemeint – sollen von den Herstellern und den Inverkehrbringern von Humanarzneimitteln und Kosmetika übernommen werden.

Die Investitionskosten für die weitergehenden Abwasserbehandlung zum Abbau von Spurenstoffen wie Rückständen von Arzneimitteln und Kosmetika liegen allein in Deutschland bei 10 bis 12 Mrd. € – davon werden die betroffenen Unternehmen mindestens 80 % übernehmen müssen. Damit muss die Abfallwirtschaft wohl nur 2 bis 2,5 Mrd. € an Investitionskosten tragen. Die erweiterte Herstellerverantwortung gilt aber auch für die folgenden laufenden Kosten im Betrieb.

Wichtig: Für die Ausgestaltung dieser Kostenübernahme sind die Mitgliedsstaaten verantwortlich, die EU macht hier keine Vorgaben oder Vorschläge. Die Bundesregierung ist daher aus Sicht der DWA gefordert, zeitnah ein verursachungsgerechtes und praktikables Finanzierungsmodell zu entwickeln. Die Wasserwirtschaft benötige eine verlässliche Umsetzung der erweiterten Herstellerverantwortung, die Branche brauche Planungs- und Rechtssicherheit für die anstehenden Investitionen in Milliardenhöhe, heißt es dazu im Politikmemorandum.

Nicht nur der flächendeckende Ausbau der weitergehenden Abwasserbehandlung wird in der Abwasserwirtschaft Investitionen in Milliardenhöhe auslösen. Die mit der Novellierung geforderte Begrenzung der Mischwasserentlastung auf nicht mehr als 2 % der Trockenwetterfracht bedingt zumindest lokal den Bau neuer Regenrückhaltebecken. Hinzu kommt die festgeschriebene Energieneutralität.

Das Klärwerk Bad Oeynhausen filtert hier in dieser vierten Reinigungsstufe Mikroschadstoffe mit granulierter Aktivkohle aus dem Abwasser. Die Kläranlage liegt in Nordrhein-Westfalen an der Werre, kurz bevor diese in die Weser mündet.

Foto: Schölzel Consulting

Energieneutralität

Denn mit der Novellierung der Kommunalabwasserrichtlinie fordert die EU von der Abwasserwirtschaft zudem einen substanziellen Beitrag zum Klimaschutz. Konkret geht es um die Energieneutralität der Branche. Kläranlagen zählen zu den größten kommunalen Energieverbrauchern. Der Ausbau der Kläranlagen mit weitergehenden Reinigungsstufen zur Spurenstoffelimination wird den Elektrizitätsbedarf deutlich erhöhen. Mit der energetischen Verwertung des Klärgases deckt die Branche bereits heute große Teile des Wärme- und Elektrizitätsbedarfs, die Potenziale sind aber weitestgehend ausgeschöpft.

Um die geforderte Energieneutralität zu erreichen, muss die Abwasserwirtschaft verstärkt weitere erneuerbare Energien nutzen wie die Abwasserwärme, die Co-Fermentation zur Strom- und Wärmegewinnung als auch Windkraft und Photovoltaik als Stromquellen. Hierfür muss der Gesetzgeber die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen. Zudem sollten die Bedarfe der Wasserwirtschaft zur anlagennahen Erzeugung von erneuerbaren Energien in der Landesplanung Priorität erhalten. Und die energetische Optimierung der Anlagen sowie der Ausbau der Eigenenergieerzeugung haben branchenweit ein milliardenschweres Investitionsprogramm zur Folge.

Strengere Werte

Die EU legt mit der Kommunalabwasserrichtlinie neue verschärfte EU-weite Grenzwerte für die Phosphor- und Stickstoffkonzentration fest.

Stichwort Phosphor:

  • Bei Anlagen für mehr als 150 000 Einwohnerwerte (EW) darf der Gehalt an Phosphor im Kläranlagenablauf nicht mehr als 0,5 mg/l betragen und er muss im Vergleich zum Zulauf 1) um 90 % verringert werden.
  • Bei Anlagen für 10 000 bis 150 000 EW, die in eutrophierungsgefährdete Gebiete einleiten, können die Betreiber zwischen einer Ablaufkonzentration und Reduktionsziel wählen: Der Gehalt im Ablauf muss maximal 0,7 mg/l betragen oder der muss während der Reinigung um 87,5 % gesunken sein.

Stichwort Stickstoff:

  • Bei Anlagen für mehr als 150 000 EW darf der Gehalt an Stickstoff im Kläranlagenablauf nicht mehr als 8 mg/l betragen und er muss im Vergleich zum Zulauf um 80 % verringert werden.
  • Bei Anlagen für 10 000 bis 150 000 EW, die in eutrophierungsgefährdete Gebiete einleiten, können die Betreiber hier ebenfalls wählen: Der Gehalt im Ablauf darf 10 mg/l betragen oder er muss während der Reinigung um 80 % sinken.

EU-weit einheitlich messen

Die Novelle der Kommunalabwasserrichtlinie bietet auch die Gelegenheit, deutsche Vorgaben in der Abwasserverordnung mit EU-weiten Vorgaben zu harmonisieren, meint Dr. Lisa Broß. Die Sprecherin der DWA-Bundesgeschäftsführung nennt als Beispiel die Überwachungsmethodik zur Einhaltung der Vorgaben für den gesamten Stickstoffgehalt (Nges) und den gesamten Phosphorgehalt (Pges) im Ablauf von Kläranlagen.

Die Kommunalabwasserrichtlinie der EU, sowohl die novellierte Fassung als auch die seit 1991 in Kraft befindliche Richtlinie, sieht zur Überwachung des Stickstoff- und Phosphorgehalts im Ablauf die 24-h-Mischprobe vor. Deutschland geht bisher bei der Überwachung einen deutlich strengeren Weg und schreibt die 2-h-Mischprobe oder die qualifizierte Stichprobe vor. Die qualifizierte Stichprobe ist eine Mischprobe aus mindestens fünf Stichproben über einen Zeitraum von höchstens zwei Stunden im Abstand von nicht weniger als zwei Minuten.

Die Überwachung vor allem mit qualifizierten Stichproben ist deutlich schärfer als die mit eine 24-h-Mischprobe: Da hierbei Ausreißer nicht ausgeglichen werden, kann dies zu höheren Abwasserabgaben führen. In Konsequenz fahren die Betreiber die Kläranlagen deutlich schärfer, um die Grenzwerte immer einzuhalten, und nicht nur im Mittel, wie von der EU gefordert. „Nur so kann eine europarechtliche Vergleichbarkeit der Anforderungen hergestellt werden“, betont Broß.

Wasserwirtschaftliche Klimaanpassung forcieren

Zweiter thematischer Schwerpunkt des Politikmemorandums der DWA ist die wasserwirtschaftliche Klimaanpassung. Wasser ist eine zentrale Ressource, die phasenweise und örtlich im Übermaß vorhanden ist, dann aber über größere Zeiträume knapp wird. Der Klimawandel verstärkt diese Tendenzen durch vermehrt stationäre Wetterlagen. Die Wasserwirtschaft muss die Überflutungsvorsorge weiter verfolgen und sich gleichzeitig auf Dürre, Trockenheit und Niedrigwasser vorbereiten.

Dazu fordert die DWA einen naturnahen Landschaftswasserhaushalt, ein Ende der Bodenversiegelung, den Aus- und Neubau von Wasserspeichern und eine gezielte Wiederverwendung von Wasser. Zudem braucht es eine wasserbewusste Stadtentwicklung: Die grundsätzlich richtige bauliche Nachverdichtung im urbanen Raum muss in wasserbewusste Stadtentwicklungskonzepte eingebunden sein.

All diese Maßnahmen dienen sowohl der Überflutungsvorsorge als auch dem Wasserrückhalt für Trockenphasen und der Abmilderung von Hitze. Wesentlicher Anpassungsbedarf liegt neben dem Wasserrecht insbesondere im Baurecht.

Für die Verbesserung der Überflutungsvorsorge muss zudem der technische Hochwasserschutz – Deiche, Mauern, Regenrückhaltebecken – flächendeckend auf den Stand der Technik gebracht und auch ausgebaut werden. Ein Starkregenrisikomanagement muss analog zum europarechtlich vorgegebenen Hochwasserrisikomanagement verbindlich im Wasserrecht geregelt und als zwingender Bestandteil in die Bauleitplanung eingebunden werden.

Starkregengefahrenkarten müssen auf Grundlage bundeseinheitlicher Bewertungsstandards erstellt und für die Bevölkerung jederzeit lesbar und nachvollziehbar sein. Zudem sind starke Anreize zur Eigenvorsorge der Bevölkerung notwendig – Überflutungsvorsorge beginnt beim zu schützenden Objekt.

Die Anpassung an den Klimawandel und die Erhöhung der Resilienz ist jetzt eine Pflichtaufgabe und darf nicht länger aufgrund von Personalengpässen oder von Finanzierungsfragen vertagt werden. Untätigkeit wird am Ende teurer. Die Politik muss den Rahmen für zeitnahe Umsetzungen schaffen. Die Finanzierung der wasserbewussten Stadtentwicklung darf nicht auf Projektförderung basieren, notwendig ist eine langfristig gesicherte Finanzierung. Dazu sollten ein Teil des CO2-Preises verursachungsgerecht dafür bereitgestellt und Finanzierungsmöglichkeiten über Abwasserentgelte vorgesehen werden.

1) Als Zulauf wird das in der Kanalisation gesammelte und im Zuge der Abwasserbeseitigung zur Kläranlage transportierte Abwasser bezeichnet.

Politikmemorandum 2024 der DWA

Von Stefan Bröker

Stefan Bröker ist Pressesprecher bei der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA)
broeker@dwa.de