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Umwelt in Europa 03.10.2020, 10:00 Uhr

Resiliente Wirtschaft braucht gesunde Natur

Die Situation der Umwelt ist trotz vieler Fortschritte immer noch besorgniserregend: Böden werden zu sehr beansprucht, Wasserstress droht in vielen Gegenden und die Folgen des Klimawandels sind spürbar. All dies bedroht den wirtschaftlichen Wohlstand, warnt die Europäische Umweltagentur in ihrem aktuellen Zustandsbericht der Umwelt in Europa.

Kalabrien, Italien: Feuerbekämpfung aus der Luft. Durch den Klimawandel werden Waldbrände in Europa wahrscheinlicher. Foto: Smarterpix/leo79

Kalabrien, Italien: Feuerbekämpfung aus der Luft. Durch den Klimawandel werden Waldbrände in Europa wahrscheinlicher.

Foto: Smarterpix/leo79

Es steht nicht gut um die Umwelt in Europa. So fasst die Europäische Umweltagentur (EUA) mit Sitz in Kopenhagen den Zustand der Umwelt in Europa zusammen – nachzulesen im aktuellen Zustandsbericht „Europe‘s Environment 2025“. Es ist die siebte Ausgabe des Berichts zur aktuellen Lage von Umwelt, Klima und Nachhaltigkeit in Europa. Er fußt auf Daten aus 27 Staaten der EU und elf weiteren in Europa. Alle fünf Jahre erstellt die Umweltagentur einen solchen Bericht.

Die Umweltagentur betont im aktuellen Bericht, die Natur müsse mit schlechteren Umweltbedingungen, Überbeanspruchung und Artensterben fertig werden. Hinzu kommen die Folgen des Klimawandels. Jüngste Extremwetterereignisse zeigten, wie anfällig Wohlstand und Sicherheit seien, werde die Natur zerstört und verstärkten sich die Klimawandelfolgen, erklärte Teresa Ribera, Vizepräsidentin der EU-Kommission. Der Schutz der Natur sei daher kein Kostenpunkt, sondern eine Investition in Wettbewerbsfähigkeit, Widerstandsfähigkeit und Wohlbefinden der Bürgerinnen und Bürger.

„Wir können es uns nicht leisten“, ergänzt EUA-Geschäftsführerin Leena Ylä-Mononen, „unsere Klima-, Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele zu senken.“ Der mit 38 Ländern erstellte Umweltzustandsbericht zeigt, basierend auf wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen, warum gehandelt werden muss. Für Ylä-Mononen verfügt die EU über die Instrumente und das Wissen sowie über jahrzehntelange Erfahrung in der Zusammenarbeit zur Erreichung der beschlossenen Nachhaltigkeitsziele.

Weniger Emissionen, bessere Luft

Es gibt Verbesserungen: So ist die EU globaler Vorreiter in Sachen Klimaschutz. Die klimaschädlichen Treibhausgas-Emissionen sind vor allem dank der Verringerung des Gebrauchs fossiler Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas seit 1990 um 37 % zurückgegangen und der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung hat sich seit 2005 verdoppelt.

Fortschritte sieht die Agentur auch bei der Förderung des Recyclings und der Ressourceneffizienz – sowie bei der Luftqualität: Die Emissionen an Schwefeldioxid SO2 sanken von 2005 bis 2023 um 85 %, die von Stickstoffoxiden (NOX)um 53 %, die von flüchtigen organischen Substanzen außer Methan um 35 % und die von Feinstaub (PM2,5) um 38 %. Eine Folge: 2022 starben rund 45 % weniger Menschen durch zu viel Feinstaub als noch 2005 und 53 % weniger Menschen durch zu viel Stickstoffdioxid (NO2). Doch noch ist das Thema nicht erledigt: In der EU starben 2022 noch rund 250 000 Menschen vorzeitig durch Luftschadstoffe.

Druck auf Böden, Artenvielfalt und Wasser

Vor allem die Natur leidet weiterhin unter Degradation, Übernutzung und Verlust der biologischen Vielfalt. Die Aussichten für die meisten Umwelttrends – wie die zunehmende Wasserknappheit und übermäßige Nutzung von Böden – sieht die Agentur als besorgniserregend an. Ein paar Zahlen aus Kopenhagen: Etwa 81 % der geschützten Lebensräume in Europa befänden sich in einem schlechten oder sehr schlechten Zustand, 60 bis 70 % der Böden gelten als degradiert und 62 % der Gewässer befinden sich in keinem guten ökologischen Zustand.

Die biologische Vielfalt in Europa ist an Land und im Süß- und Salzwasser aufgrund anhaltender Belastungen rückläufig. Auch die Wasserressourcen stehen unter Druck: Ein Drittel der Bevölkerung und des Territoriums ist von Wasserstress betroffen. Aquatische Ökosysteme gesund zu erhalten und Grundwasserressourcen zu schützen und bei Bedarf wieder aufzufüllen, sind wichtig, um die Resilienz der Wasserversorgung in Europa zu gewährleisten.

Mehr Schäden durch Klimawandel

In Bezug auf den Klimawandel ist Europa der sich am schnellsten erwärmende Kontinent auf der Erde. Er bedroht die Sicherheit, die öffentliche Gesundheit, die Ökosysteme, die Infrastruktur und die Wirtschaft. Und die Agentur verweist auch auf indirekte Folgen des Klimawandels wie Schäden an Gebäuden oder Infrastruktur durch Extremwetter. Knapp ein Fünftel der Europäerinnen und Europäer können bei Hitze in ihren Wohnungen keine angenehme Temperatur aufrechterhalten. Auch die finanziellen Auswirkungen würden zunehmen, ergänzt die Agentur. Die mit Extremwetterereignissen verbundenen jährlichen durchschnittlichen wirtschaftlichen Einbußen sind zwischen 2020 und 2023 um das Zweieinhalbfache größer gewesen als zwischen 2010 und 2019. Allein die Überflutungen in Slowenien im Jahr 2023 verursachten Schäden im Umfang von 16 % des nationalen Bruttoinlandsprodukts.

Aufruf

In der Summe geht die Agentur davon aus, dass Klimawandel und Umweltzerstörung die Wettbewerbsfähigkeit Europas, die von natürlichen Ressourcen abhängt, bedrohen. Der Schutz natürlicher Ressourcen, die Abschwächung des Klimawandels und die Anpassung an ihn sowie die geringere Umweltverschmutzung werden die Resilienz vitaler gesellschaftlicher Funktionen wie die Ernährungssicherheit, die Trinkwasserversorgung und den Hochwasserschutz verbessern. Die EU-Umweltagentur ruft daher alle EU-Staaten auf, mehr Entschlossenheit beim Naturschutz und der Anpassung an den Klimawandel zu zeigen. Sie sollten die im Rahmen des Green Deals vereinbarten Maßnahmen und langfristigen Schritte zur Förderung der Nachhaltigkeit vorantreiben. Denn nur durch die Wiederherstellung der natürlichen Umwelt ist es möglich, eine wettbewerbsfähige Wirtschaft und eine hohe Lebensqualität für Allel aufrechtzuerhalten.

Dazu sind für die Agentur wichtige Wirtschaftssektoren wie der Verkehr zu defossilisieren und die Kreislaufwirtschaft voranzutreiben. Sie hat das Potenzial, die Abhängigkeit Europas von Energieeinfuhren und kritischen Rohstoffen zu verringern. Darüber hinaus kann die EU durch Investitionen in den digitalen und den grünen Wandel der Industrie deren Produktivität steigern und eine weltweit führende Rolle bei der grünen Innovation einnehmen, indem es Technologien zur Dekarbonisierung schwer dekarbonisierbarer Branchen wie Stahl und Zement entwickelt.

Von Dr. Ralph H. Ahrens