Zum E-Paper
Zukunft der thermischen Abfallverwertung 16.09.2025, 10:00 Uhr

Negative Emissionen: Chance für die Abfallwirtschaft

In Abfallverbrennungsanlagen werden auch biogene Siedlungsabfälle thermisch verwertet. Dies bietet Betreibern mittelfristig eine Chance: Wer CO2-Emissionen aus biologischen Abfällen abfängt, speichert oder nutzt, gewinnt sogenannte „negative Emissionen“ – ein Geschäftsmodell, wenn die Politik die Rahmenbedingungen klärt.

CO2 in the clouds

Foto: Stock.adobe.com/acinquantadue

Um die Klimaziele zu erreichen, müssen die Treibhausgas (THG)-Emissionen in Deutschland bis 2045 auf null sinken. Doch in einigen Bereichen wie der Zement- und Kalkherstellung sowie der Abfallwirtschaft bleiben Restemissionen kaum vermeidbar. Hier kommen Carbon Capture and Storage (CCS) und Carbon Capture and Utilisation (CCU) ins Spiel: Technologien, mit denen CO2 aus Abgasen abgetrennt, gespeichert oder weiterverwertet wird.

CCS und CCU: Teil einer Gesamtstrategie

Die CO2-Abscheidung aus Abgas ist eine nachgeschaltete Klimaschutzmaßnahme. Idealerweise würden THG-Emissionen bereits an früheren Stellen der Wertschöpfungskette vermieden werden. Dies würde jedoch zu teils spürbaren Eingriffen in das Wirtschaftssystem führen. Zu diskutieren sind Konsumreduktion, Steigerung der Produktlebensdauer sowie Substitution fossiler Rohstoffe durch Biomasse oder durch recycelte Rohstoffe. Auf Basis einer Nutzen-Aufwand-Abwägung sollte Maßnahmen der Emissionsminderung kurz- und mittelfristig weiterhin hohe Priorität zukommen.

Ansätze zur Minderung der CO₂-Emissionen aus der thermischen Abfallbehandlung entlang der Wertschöpfungskette. Grafik: bifa Umweltinstitut

Aus hohem biogenen Anteil …

Zurück zur thermischen Verwertung von Siedlungsabfall: Der biogene Anteil des Kohlenstoffs im Siedlungsabfall liegt bei 50 bis 60 %. Eine CO2-Abscheidung nach der thermischen Abfallbehandlung würde folglich zugleich CO2 aus fossilen und aus biogenen Quellen erfassen.

Emissionen des fossilstämmigen CO2 zu vermeiden, bewirkt eine THG-Reduktion im klassischen Sinne der Ökobilanzierung. Hier wird nur fossilstämmiges CO2 gewertet und der Betreiber zugleich bei der CO2-Bepreisung gemäß Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) finanziell entlastet. Die Abtrennung der biogenen Anteile wirkt in erster Betrachtung wie ein bedeutungsloser Nebeneffekt.

… werden negative Emissionen …

Bei genauerem Hinsehen eröffnet sich mit dem biogenen Anteil jedoch die interessante Möglichkeit, biogene CO2-Mengen der Biosphäre zu entziehen – und damit Negativemissionen zu bewirken. Mit der Annäherung an die THG-Neutralität werden solche Negativemissionen zunehmend wichtig: Denn über sie können schwer vermeidbare Restemissionen ausgeglichen werden.

Siedlungsabfall besteht etwa zur Hälfte aus biogenen Abfällen wie Essensresten, Grünschnitt und Papier.

Foto: Smarterpix/Gudella

Aufgrund der aktuellen CO2-Bepreisung liegt das Augenmerk der Betreiber derzeit auf CCS mit fossilem CO2. Zukünftig sollte der Blick vermehrt auf die biogenen CO2-Emissionen gelenkt werden. Denn mit einer zukünftigen Vergütung von Negativemissionen entsteht – gesetzt, dass auch andere Voraussetzungen für CCS geschaffen werden – ein vielversprechendes zusätzliches Geschäftsmodell für die Betreiber von thermischen Abfallbehandlungsanlagen.

… und künftig Einnahmequellen

Die EU hat im Dezember Ende 2024 mit der Verordnung zur CO2-Entfernung und Carbon-Farming-Zertifizierung, der CRCF-Verordnung, bereits erste Grundlagen zur Anerkennung von Negativemissionen im freiwilligen Zertifikatemarkt vorgesehen. Eine Integration in die Emissionshandelsarchitektur steht allerdings aus.

Die Realisierung von CCS oder CCU hat noch einige Hürden zu nehmen – vier Beispiele:

  • Die derzeitige Rechtslage steht stellenweise CCS oder CCU noch entgegen. Die Art und Weise, wie das Kabinett im August 2025 das Kohlendioxid-Speicherungsgesetz novelliert hat, ist jedoch bereits ein Schritt in die richtige Richtung.
  • In Wirtschaftlichkeitsberechnungen für Abfallverbrennungsanlagen unter Annahmen für 2030 zeigen sich CCS oder CCU noch als wirtschaftlich nachteilig, selbst wenn eine Vergütung für Negativemissionen rechtlich etabliert wird.
  • Mit Großprojekten wie in der Nordsee ist für CCS eine CO2-Senke in Sicht, wenngleich oft mit großen Transportdistanzen. Für CCU dagegen ist der bestehende Markt noch zu klein, um die anfallenden CO2-Mengen aufzunehmen. Erst eine wesentlich höhere Nachfrage würde CCU in der erforderlichen Größenordnung möglich machen.
  • Bislang fehlt es an einer großskaligen CO2-Transportinfrastruktur.

Notwendig: CO2-Netze und -Senken ausbauen

CCS und CCU mit Leben zu füllen, erfordert drei parallele Schritte [1]: den Aufbau von CO2-Senken, einer Transportinfrastruktur und die Abscheidung schwer vermeidbarer Emissionen. Diese Bereiche bedingen einander – ohne gesicherte Transport- und Speicheroptionen gibt es keine Investitionen. Auch brauchen alle Handlungsstränge Rahmenbedingungen, die eine wirtschaftliche Umsetzung in Aussicht stellen. Unabdingbar ist eine Pipeline-Infrastruktur. Für erste Realisierungen sind rund acht Jahre von Planung bis Bau anzusetzen. Der CO2-Netzbau ist damit voraussichtlich der zeitkritischste Pfad im Gesamtprojekt.

CCS hat Nachteile und Risiken, insbesondere der finanzielle Aufwand, die Nutzung von Landes- oder Meeresflächen bis hin zur Übernutzung sowie verbleibende Klima- und Umweltschutzrisiken durch Leckagen. Diese müssen gegenüber den Chancen abgewogen werden. In einer Gesamtstrategie zur THG-Minderung sollte CCS daher wie folgt positioniert werden:

  • Anstrengungen, THG-Emissionen erst gar nicht entstehen zu lassen, sollte höchste Priorität zukommen. Hierfür sind regulatorische Instrumente notwendig, die auch auf eine Abkehr von der stofflichen Nutzung von Erdgas, Erdöl und Kohle zielen.
  • CCS sollte im Umfang bis auf weiteres begrenzt werden. Es sollte nur auf schwer vermeidbare THG-Emissionen angewendet werden. Dabei erscheint die kurz- bis mittelfristige Umsetzung von CCS in der thermischen Abfallbehandlung sinnvoll, um CCS zu erproben und zu etablieren.

Bei einer Kohlenstoff-Kreislaufführung nach energetischer Nutzung von Abfall über das resultierende CO2 (CCU) ist zu bedenken: Der Stoff CO2 bedarf eines erheblichen Energieeinsatzes, um wieder zu Kohlenstoffverbindungen aufgewertet zu werden, aus denen dann Güter produziert werden können. Der CO2-Transport ist eine zentrale Voraussetzung, sowohl um CO2 abscheiden und abgeben zu können als auch um ein Geschäftsmodell basierend auf dem Rohstoff CO2 zu etablieren. Staatliche Lenkungsinstrumente zum Anschub des Transportinfrastruktur-Aufbaus könnten hier unterstützen.

Fazit

Im Fazit zeigen sich CCS und CCU als notwendige Bausteine für die THG-Neutralität. Dabei ist ihre Umsetzung aufwendig, ihr Beitrag perspektivisch begrenzt. Die Umsetzung von CCS und CCU ist komplex und erfordert Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen. Das bifa Umweltinstitut in Augsburg hat daher Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft eingeladen, um beim Talk im Technikum am bifa Umweltinstitut am 9. Oktober 2025 über die Zukunft unserer Ressourcen zu diskutieren.

Grafik: bifa Umweltinstitut

Literatur

  1. bifa Umweltinstitut GmbH: CO2-Minderungspfade der thermischen Abfallbehandlung in Bayern. bifa-Text Nr. 75, Mai 2025, https://www.bifa.de/fileadmin/_migrated/pics/bifa-Texte_PDF/bifa-Text_Nr.75_CO2-Minderungspfade.pdf.
Von Dr. Wolfram Dietz / Prof. Dr. Nadine Warkotsch
Tags:

Dr. Wolfram Dietz ist Projektmanager am bifa Umweltinstitut GmbH
wdietz@bifa.de
Prof. Dr. Nadine Warkotsch ist Geschäftsführerin der bifa Umweltinstitut GmbH
nwarkotsch@bifa.de