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Kunststoffmesse Düsseldorf 30.10.2025, 14:00 Uhr

Kunststoffszene: zwischen Verzweiflung und Hoffnung

Die Suche nach dem „richtigen“ Kunststoff ging auf der K-Messe in Düsseldorf eine Runde weiter. Viele Kunststoffhersteller und -verarbeiter in der EU würden gerne Treibhausgas-neutral produzieren, stehen aber im globalen Wettbewerb. Zudem steht Plastik als solches in der Kritik. Dennoch: Auf der Messe wurde nach vorne geschaut. Start-ups und etablierte Firmen präsentierten vielversprechende Neuheiten und Vorgaben wie Rezyklateinsatzquoten sollen der Kreislaufwirtschaft Schwung verleihen und neue Geschäftsmodelle etablieren.

Foto: Messe Düsseldorf/ctillmann

Foto: Messe Düsseldorf/ctillmann

Die K 2025 – die weltweite wichtigste Fachmesse der Kunststoff- und Kautschukindustrie – ging am 15. Oktober 2025 in Düsseldorf zu Ende. Unter dem Motto „The Power of Plastics! Green – Smart – Responsible“ zeigten 3 275 Aussteller aus 66 Nationen neue Technologien, Produkte und Verfahren entlang der Wertschöpfungsketten. Viele Hersteller zeigten sich nicht nur innovativ, sondern wollen auch trotz der schwierigen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen den Wandel zu mehr Nachhaltigkeit mitgestalten. „Das Interesse an nachhaltigen Materialien und energieeffizienten Technologien war enorm“, sagte Christine Bunte, Hauptgeschäftsführerin von Plastics Europe Deutschland. „Viele Besucherinnen und Besucher suchten gezielt nach Antworten auf regulatorische Anforderungen und nach Wegen, ihre Produktion zukunftssicher zu gestalten.“ Besonders beeindruckt zeigte sich Bunte von neuen Recyclingverfahren, innovativen Materialien und der Qualität recycelter Kunststoffe.

Maschinen- und Anlagenbauer zeigten, wie effizient, präzise und ressourcenschonend moderne Produktionssysteme arbeiten und bei alternativen Roh- und Hilfsstoffen gab es viele Neuerungen von biobasierten Materialien bis hin zu recycelten Compounds. Werkstoffe, die durch höhere Ressourceneffizienz zu einer ausgewogenen ökonomischen und ökologischen Balance beitragen und der Kreislaufwirtschaft am Ende ihres Lebenszyklus wieder zugeführt werden können, standen ebenfalls im Fokus. Anbieter von Halbzeugen, technischen Teilen und verstärkten Kunststofferzeugnissen wiederum zeichnen sich durch eine vielfältige Produktpalette aus. Mehr denn je wird auf energie- und umweltschonende Produkte gesetzt, um anspruchsvollsten Anforderungen gerecht werden zu können.

Blick in die Halle 6 der K-Messe 2025. 

Foto: Messe Düsseldorf/ctillmann

EU-Kunststoffindustrie: wenig wettbewerbsfähig?

Doch Kunststoffhersteller in der EU leiden unter hohen Energiekosten, klimabezogenen Abgaben und hohen Rohstoffpreisen. Diese Faktoren schwächen die Wettbewerbsfähigkeit und führen zunehmend zu Verkäufen und Stilllegung von Produktionsanlagen. Während in anderen Weltregionen mehr Kunststoffe erzeugt werden, setzt sich der Abwärtstrend in der EU fort. Die weltweite Kunststoffproduktion stieg 2024 um 4,1 % und seit 2018 um 16,3 %. Bereits mehr als die Hälfte der globalen Kunststoffproduktion kommt aus Asien. Der weltweite Marktanteil der Kunststoffindustrie in der EU, Großbritannien, Norwegen und der Schweiz ist dagegen geschrumpft: von 22 % im Jahr 2006 auf nur noch 12 % im Jahr 2024. Dies zeigt der Bericht „Plastics – the Fast Facts 2025“, den Plastics Europe, der Verband der Kunststoffindustrie in Europa, veröffentlicht hat. Neben dem Marktanteil gingen auch die Umsätze zurück: von 457 Mrd. € in 2022 auf 398 Mrd. € in 2024. Das ist ein Minus von 13 % innerhalb zweier Jahre.

Die europäische Kunststoffindustrie stehe an einem entscheidenden Wendepunkt, betonte daher Benny Mermans, Präsident von Plastics Europe: „Unsere Region braucht dringend politische Unterstützung und Rahmenbedingungen, um Investitionen wieder anzukurbeln und resiliente, wettbewerbsfähige Lieferketten zu sichern.“ Virginia Janssens, Geschäftsführerin von Plastics Europe, ergänzte, ein ausreichendes Maß an lokaler Produktion würde übermäßige Abhängigkeiten vermeiden. Die politische Führung müsse entscheiden, „ob Europa das weltweit erste zirkuläre Kunststoffsystem aufbauen will – oder ob die Defossilisierung durch weitere Deindustrialisierung erfolgen soll.“

Plastics Europe fordert dringend Maßnahmen. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen die Energiekrise entschärfen, EU-Recht an Außengrenzen durchsetzen und Investitionen in zirkuläre Kunststoffproduktion in Europa fördern. Hilfreich wäre ein Markthochlauf für zirkuläre Kunststoffe durch ehrgeizige Rezyklateinsatzquoten und weitere Anreize. Janssens fügt hinzu, dass Defossilisierung und die Umwandlung der linearen in eine Kreislaufwirtschaft stocken, solange eine klare politische Unterstützung fehlt. „Alle verfügbaren Recyclingtechnologien sind nötig – ebenso wie wirksame marktseitige Anreize –, um die Skalierung für ein wettbewerbsfähiges Europa zu schaffen.“

Zuversicht in schwierigen Zeiten

„Das Umfeld, in dem wir derzeit navigieren müssen, bleibt enorm herausfordernd“, erklärte Ulrich Reifenhäuser, Vorsitzender des Ausstellerbeirats der K 2025, an Ende der Messe. Doch gerade in solchen Zeiten würde sich alle drei Jahre die Stärke der globalen Kunststoffbranche auf der Düsseldorfer K-Messe zeigen: „Die K ist der Ort, an dem Innovationen vorgestellt, Partnerschaften geschlossen und Visionen Wirklichkeit werden. Kunststoffe waren, sind – und bleiben – das wichtigste Material unserer Zeit. Denn Kunststoffe vereinen Leichtigkeit, Funktionalität, Energieeffizienz und Vielseitigkeit und sind in vielen Anwendungsbereichen – von Medizintechnik über Mobilität bis Energieversorgung – Wegbereiter des Neuen. Mit verbesserten Recyclinglösungen und zirkulären Konzepten können sie zu einem sehr nachhaltigen Werkstoff werden.“

Und die Kunststoffindustrie besinnt sich auf eigene Stärken – etwa die von Start-ups. „Start-ups liefern wichtige Impulse für die Zukunft der Branche“, so Bunte. Die Finalisten des Start-up-Wettbewerbs „Towards zero“ zeigten, wie die Kunststoffindustrie künftig mit weniger fossilen Rohstoffen auskommen kann und welche Lösungen für die Umstellung der Produktionsprozesse gebraucht werden.

Die Kunststoffindustrie kennt die Schlagwörter zur Defossilisierung: Produkte wiederverwenden, mechanisch und chemisch recyceln, Kunststoffe aus Biomasse herstellen oder aus Kohlenstoffdioxid, gewonnen per CCU aus Industrieabgasen.

Foto: PlasticsEurope Deutschland/The Taylors Photography

Start-ups mit Potenzial

Die Start-ups traten in zwei Kategorien auf. Zuerst präsentierten sechs junge Start-ups ihre Ideen auf der Newcomer Stage:

  • Coiss aus Linz in Österreich produziert Plug-and-Play-Sensoren, um alte Maschinen digital nachzurüsten und hilft dabei, Ausfallzeiten zu vermeiden und den Energieverbrauch der Maschinen zu reduzieren.
  • Cyclize aus Stuttgart entwickelt plasmabasierte Verfahren, die gemischte Kunststoffabfälle sowie CO2 als Ressourcen nutzbar machen.
  • Moldsonics aus Linz, Österreich, bietet Ultraschallsensoren an, die Kunststoffmaschinen präziser machen und gleichzeitig Ausschuss, Energie und Materialverbrauch reduzieren (Kunststoffe mit Ultraschall nachhaltiger herstellen).
  • Osphim aus Aachen entwickelt Software für KI-gestützte Kunststoffverarbeitung, die hilft, auch bei anspruchsvollen Anwendungen mehr Rezyklate einzusetzen und Energie einzusparen (Vernetzte Daten machen Spritzguss effizienter und ressourcenschonender).
  • Radical Dot aus München ermöglicht energieeffizientes, chemisches Recycling, um aus Kunststoffabfällen Basischemikalien herzustellen, die fossile Rohstoffe in der Kunststoffproduktion teilweise ersetzen (Aus Plastik mit Sauerstoff Säure gewinnen).
  • s1seven aus Wien, Österreich, bietet Lösungen für digitale Materialpässe an, die Herkunft, Zusammensetzung und CO2-Bilanz von Kunststoffen transparent machen und hochwertiges Recycling ermöglichen.

Nachmittags gehört die Bühne den „Big Fish“, den Etablierteren unter den Start-ups, die ihre Ideen bereits am Markt erprobt haben:

  • Carbon Minds aus Köln betreibt eine Datenbank für Umweltdaten, die zeigt, wo in der Kunststoffproduktion Emissionen entstehen und wie man sie reduziert.
  • Eco2Grow aus Bonn ermöglicht Mittelständlern Zugang zu günstigem Grünstrom, direkt vom Erzeuger und zu festen Preisen, wie bei Großkunden (Autopilot für Strom hilft beim Dekarbonisieren).
  • MacroCycle aus Cambridge, Massachusetts, USA, betreibt Anlagen für energiearmes chemisches Recycling, um PET endlos zu recyceln, ohne Qualitätsverluste.
  • Paques Biomaterials aus Balk in den Niederlanden produziert biologisch abbaubare Kunststoffe aus organischen Abfallströmen, um fossile Rohstoffe zu ersetzen.
  • Polymerize aus Singapur betreibt eine Plattform für KI-gestützte Materialentwicklung, die hilft, Forschungsprozesse zu beschleunigen und Kunststoffanwendungen besser zu machen.
  • Sykell aus Berlin entwickelt eine „Enterprise Resource Planning“-Software, kurz ERP-Software, für zirkuläre Produkte und Mehrwegsysteme, um Ressourcen und Verpackungen nach ihrer Nutzung optimal wiederzuverwenden.

Suche nach dem richtigen Kunststoff

Und die Kunststoffindustrie stellt sich der Diskussion. Am „Visionary Tuesday“ war Prof. Dr. Michael Braungart, Miterfinder des Prinzips „Cradle-to-Cradle“ (C2C), zu Gast bei Plastics Europe Deutschland. Der englische Begriff Cradle-to-Cradle steht für „von Wiege zu Wiege“ und damit für eine durchgängige und konsequente Kreislaufwirtschaft. Es ist ein Designprinzip, bei dem Produkte von Anfang an so konzipiert werden, dass sie nach der Nutzung entweder in biologischen Kreisläufen als Nährstoffe oder in technischen Kreisläufen als wiederverwendbare Rohstoffe dienen können.

Prof. Dr. Michael Braungart auf der diesjährigen K-Messe in Düsseldorf.

Foto: PlasticsEurope Deutschland/The Taylors Photography

Braungart betonte, ein Kunststofffan zu sein, wenn der richtige Kunststoff am richtigen Ort eingesetzt wird. Er nannte mehrere Beispiele: Aus Polyvinylchlorid sollten nur langlebige Produkten wie Rohre, die keine Weichmacher benötigen, hergestellt werden. Ist Abrieb wie bei Reifen, Straßenmarkierungen, Sohlen oder Textilien unvermeidbar, muss das Material sicher für die Umwelt sei. Um die Kreislaufwirtschaft voranzubringen, sollten Verpackungen und Produkte weniger Polymere enthalten. Auch mehr Pfand- und Rücknahmesysteme sollten sich etabliere sowie Servicemodelle, damit Hersteller die besten und nicht die billigsten Materialien wählen.

Braungart setzt auf klare und ehrgeizige Ziele: Wäre das Ziel, in zehn Jahren Kunststoffe aus atmosphärischem CO2 herzustellen, würden sich Studierende beeilen, in dieser Branche Fuß zu fassen. Wird jedoch von einen Recyclinganteil von 5 % in einer Flasche gesprochen, würden sie wenig interessiert sein. „Lasst uns für einen positiven ökologischen Fußabdruck gestalten und Qualität, Innovation und Schönheit feiern – Kunststoffe mit einer guten Zukunft am richtigen Ort.“

Und die Diskussion um Kunststoffe wird weitergehen, sicherlich auch auf der nächsten K-Messe: der Kunststoff- und Kautschukmesse 2028 in Düsseldorf.

Von Dr. Ralph H. Ahrens