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Wie Elektronen das Gitter formen 29.08.2025, 14:00 Uhr

Von Quantenpunkten zu Solarzellen

Elektron-Loch-Paare beeinflussen nicht nur die Grundlagenphysik, sondern auch die Leistungsfähigkeit von Solarzellen, LEDs und Sensoren. Am European XFEL ist es nun gelungen, ihre winzigen Spuren im Atomgitter sichtbar zu machen, geradezu als könne man die Bewegung der Atome beobachten.

Johan Bielecki an der Experimentierstation „Single Particles Biomolecules and Clusters/Serial Femtosecond Crystallography“ (SPB/SFX) von European XFEL, an der das Experiment durchgeführt wurde. Foto: European XFEL

Johan Bielecki an der Experimentierstation „Single Particles Biomolecules and Clusters/Serial Femtosecond Crystallography“ (SPB/SFX) von European XFEL, an der das Experiment durchgeführt wurde.

Foto: European XFEL

In Halbleitermaterialien entstehen durch den Einfluss von Licht sogenannte Elektron-Loch-Paare. Dabei werden Elektronen aus ihrer Bindung gelöst, während im Kristallgitter „positive Lücken“ zurückbleiben. Beide tragen elektrische Ladung und können sich bewegen, wodurch sie den Transport von Energie und Information ermöglichen. Gleichzeitig beeinflussen sie aber auch ihre unmittelbare Umgebung: Sie ziehen benachbarte Atome an und erzeugen kleine Verzerrungen im Gitter. Diese gekoppelte Struktur aus Elektron, Loch und Gitterdeformation wird in der Festkörperphysik als Exziton-Polaron bezeichnet.

Kleinste Verschiebungen im Atomgitter werden sichtbar

Ein Forschungsteam nutzte den European XFEL bei Hamburg, um diese Effekte sichtbar zu machen. Der verwendete Halbleiterkristall bestand aus Cäsium, Blei und Brom und lag in Form eines Quantenpunkts vor. Solche Nanopartikel sind nur wenige Millionstel Millimeter groß und besitzen quantisierte elektronische Zustände. Das macht sie interessant für Anwendungen in der Optoelektronik und für zukünftige Quantenbauteile. Bislang konnte der Einfluss von Elektron-Loch-Paaren auf die atomare Struktur allerdings nur indirekt beschrieben werden. Die nun durchgeführten Messungen zeigen erstmals direkt, wie kleinste Verschiebungen der Atome durch optische Anregung entstehen.

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Die zentrale Herausforderung besteht darin, dass die von den Paaren verursachten Veränderungen sehr schwach ausfallen und nur wenige Atome betreffen. Um diesen Effekt aufzulösen, nutzte das Team extrem kurze Röntgenpulse des European XFEL. Sie dauern lediglich Femtosekunden, also einige Billiardstel Sekunden, und ermöglichen damit eine Art Hochgeschwindigkeitsfotografie auf atomarer Ebene. Mithilfe dieser Methode konnten die Forscherinnen und Forscher eine winzige „Delle“ im Kristallgitter nachweisen, die durch die Anwesenheit von Elektron und Loch hervorgerufen wurde. „Das ist, als würde man mit einer Hochgeschwindigkeitskamera die Bewegung der Atome beobachten“, sagt Johan Bielecki, Wissenschaftler an der Experimentierstation Single Particles Biomolecules and Clusters/Serial Femtosecond Crystallography (SPB/SFX) von European XFEL.

Dass diese Ergebnisse für Materialforschung und Bauteilentwicklung bedeutsam sind, liegt am direkten Zusammenhang zwischen Gitterstruktur und elektronischen Eigenschaften. Schon geringe Verschiebungen können Transportprozesse beeinflussen und damit Effizienz und Stabilität technischer Systeme verändern. Die gewonnenen Daten helfen, die Wechselwirkungen von Ladungsträgern mit ihrem Wirtsmaterial besser zu quantifizieren.

Perspektiven für Materialdesign von Solarzellen und Leuchtdioden

Das untersuchte Material CsPbBr3 gehört zur Klasse der Perowskite, die in den vergangenen Jahren starkes Interesse geweckt haben. Perowskit-Solarzellen erreichen heute bereits Wirkungsgrade, die mit etablierten Silizium-Technologien vergleichbar sind, und gelten als vielversprechend für kostengünstige Energieumwandlung. Auch Leuchtdioden und photonische Sensoren profitieren von den besonderen Eigenschaften dieser Kristallstruktur. Für die gezielte Weiterentwicklung ist jedoch entscheidend, die Kopplung von Elektronen und Löchern an das Atomgitter zu verstehen.

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Die nun am XFEL durchgeführte Beobachtung ergänzt theoretische Modelle, die schon seit Jahren vorhersagen, dass Exziton-Polaronen eine entscheidende Rolle für Stabilität und Leistung solcher Materialien spielen. Arbeiten, die unter anderem in ACS Nano veröffentlicht wurden, zeigen, dass die Gitterdeformationen in Nanostrukturen nicht nur kurzfristige Störungen sind, sondern direkt die Dynamik der Ladungsträger beeinflussen können. Insbesondere in Quantenpunkten wird das Verhalten stärker ausgeprägt, da hier die räumliche Einschränkung zu höheren Wechselwirkungsenergien führt.

Die Messungen belegen, dass diese Kopplung messbar ist und liefern quantitative Daten, mit denen sich bestehende Modelle überprüfen lassen. Damit rückt die Möglichkeit näher, Materialien gezielt so zu gestalten, dass die durch Elektron-Loch-Paare erzeugten Effekte entweder verstärkt oder abgeschwächt werden. Für künftige Bauteile könnte dies bedeuten, dass nicht nur die chemische Zusammensetzung, sondern auch die Kontrolle der Gitterreaktionen zu einem Entwurfsparameter wird.

Kopplung von Licht und Materie im Nanobereich als Schlüsselfaktor

Neben Anwendungen in Solarzellen und Leuchtdioden betrifft dies auch photonische Bauteile für Sensorik oder die Quanteninformationsverarbeitung. Die Kopplung von Licht und Materie im Nanobereich ist ein Schlüsselfaktor für die Entwicklung von Komponenten, die mit minimalem Energieeinsatz arbeiten und gleichzeitig hohe Empfindlichkeit aufweisen.

Die Untersuchungen am XFEL [1] eröffnen zudem die Möglichkeit, weitere Nanomaterialien in vergleichbarer Weise zu studieren. Da die Technik auf zeitaufgelösten Röntgenbeugungsmethoden basiert, lassen sich auch andere Systeme erfassen, in denen Ladungsträger mit dem Gitter wechselwirken. Damit entsteht ein Werkzeug, das grundlegende Prozesse in Halbleitern auf eine neue Weise zugänglich macht.

Literatur

  1. Shen, Z. et al.: Direct Observation of the Exciton-Polaron in Single CsPbBr3 Quantum Dots. ACS Nano 19 (2025), no. 31, pp. 28 372-28 382. https://doi.org/10.1021/acsnano.5c06716