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Fraunhofer-Analyse 28.11.2025, 12:30 Uhr

Riesiges Sparpotenzial durch integrierte Energieinfrastruktur in Europa

Europa kann bis zum Jahr 2050 über 560 Mrd. € sparen, wenn Strom-, Wasserstoff-, Gas- und CO2-Infrastrukturen europaweit koordiniert geplant werden, so das Ergebnis einer aktuellen Fraunhofer-Analyse. Ein integrierter Ansatz beschleunigt demnach die Energiewende und stärkt Versorgungssicherheit und Kosteneffizienz.

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Europa könnte zwischen 2030 und 2050 über 560 Mrd. € eimsparen – mit koordinierter, integrierter Infrastrukturplanung für Strom, Wasserstoff, Gas und CO2.

Foto: SergeyNivens/Smarterpix

Europa steht vor der Herausforderung, seine Energieversorgung klimaneutral, sicher und bezahlbar zu gestalten. Eine neue Energiesystemanalyse der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geotechnologien IEG in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI und d-fine im Auftrag der Denkfabrik Agora Energiewende zeigt nun, welche enormen Kostenvorteile entstehen, wenn europäische Staaten ihre Infrastrukturplanung künftig enger koordinieren. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich durch einen integrierten Ansatz für Strom-, Wasserstoff-, Gas- und CO2-Netze bis 2050 über 560 Mrd. € einsparen lassen. Werden zusätzlich vermiedene Reservekraftwerke berücksichtigt, steigt das Potenzial sogar auf 750 Mrd. €. Diese Einsparungen entstehen, weil ein gemeinsamer Blick auf alle Energieträger Effizienzen hebt, Redundanzen vermeidet und Investitionen dorthin lenkt, wo sie den größten Nutzen erzielen. Gleichzeitig würde eine integrierte Planung den Ausbau erneuerbarer Energien erleichtern und den Weg zur Klimaneutralität beschleunigen. Prof. Mario Ragwitz, Leiter der Fraunhofer IEG und Mitautor der Analyse, betont, dass ein resilientes Energiesystem nur dann entstehen könne, wenn die Sektoren Gebäude, Industrie und Verkehr erfolgreich elektrifiziert und mit stofflichen Energieträgern wie Wasserstoff versorgt werden. Infrastrukturmodelle mit europäischer, sektorenübergreifender Perspektive lieferten dafür die zentralen Entscheidungsgrundlagen.

Energieinfrastruktur: Ganzheitliche Modellierung statt isolierter Planung

Die Untersuchung basiert auf einer umfassenden Energiesystemmodellierung, die zeitgleich zur Veröffentlichung des europäischen „Grids Package“ entstand. Der Ansatz integriert mehrere Energieträger, geografische Ebenen und Szenarien und bildet so die Wechselwirkungen in einem zukünftig stärker elektrifizierten Energiesystem ab. Die Modellierung kombiniert vier Szenarien entlang zweier Dimensionen: sektorenübergreifend vs. sektoral sowie europäische Optimierung vs. national ausgerichtete Planung. Mitautorin Paula Hartnagel von d-fine erklärt, dass diese Kombination ermögliche, die System- und Kosteneffekte einer integrierten Infrastruktur zu bewerten. Anders als heutige, häufig fragmentierte Planungsverfahren betrachtet das Modell Versorgungsstrukturen, Speichertechnologien und Übertragungsnetze gemeinsam und identifiziert Lösungen, die bei isolierter Betrachtung verborgen bleiben würden.

Deutliche Unterschiede

Die Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede zwischen den Szenarien: Eine europäisch optimierte, integrierte Infrastruktur würde 505 GW weniger Reservekapazität benötigen und gleichzeitig 15 % weniger Onshore-Windkapazität sowie 9 % weniger Elektrolysekapazität erfordern als ein stärker national ausgerichteter Ansatz. Dennoch beschleunigen alle Szenarien den Ausbau erneuerbarer Energien, die zunehmend fossile Brennstoffe ersetzen. Die Analyse geht dabei bewusst von konservativen Annahmen zur Energienachfrage aus, um belastbare Aussagen zum Infrastrukturbedarf zu ermöglichen. Besonders deutlich wird der Stellenwert der Elektrifizierung: Investitionen ins Stromnetz haben in allen Szenarien Priorität. Parallel sinkt der Bedarf an fossilen Gasleitungen schnell, während gezielte neue Infrastrukturen für Wasserstoff und CO2 aufgebaut werden müssen. Die Elektrifizierung von Verkehr, Gebäudewärme und industrieller Niedertemperatur-Prozesswärme wird als zentrale Voraussetzung einer erfolgreichen Transformation hervorgehoben. Eine integrierte europäische Infrastrukturmodellierung könne hier helfen, prioritäre Investitionen zu identifizieren – insbesondere in den Netzausbau – und sollte zu einem festen Bestandteil der strategischen Planung werden, heißt es.

Voraussetzung für eine widerstandsfähige europäische Energiezukunft

Agora-Europa-Direktorin Frauke Thies verweist darauf, dass Infrastruktur das Rückgrat des sich wandelnden Energiesystems sei. Planung und Governance müssten mit der Transformation Schritt halten, um sicherzustellen, dass Investitionen dort fließen, wo sie den Einsatz sauberer Technologien am effektivsten unterstützen. Für eine erfolgreiche Integration braucht es nach Ansicht der Studienautoren eine transparente, europaweit abgestimmte Modellierung, die Energieträger und Sektoren gemeinsam betrachtet. Prof. Wolfgang Eichhammer vom Fraunhofer ISI ergänzt, dass ein solcher Ansatz den Ländern eine gemeinsame Vision des Energiesystems vermitteln und die Bottom-up-Planung der Netzentwicklungspläne fundiert unterstützen würde. Darüber hinaus könne ein Top-down-Szenarienrahmen helfen, Investitionsbedarfe früh sichtbar zu machen und eine stärkere europäische Marktintegration zu ermöglichen – auch für Länder außerhalb der EU wie Norwegen oder Großbritannien. Ein transparenter, iterativer Modellierungsprozess würde nationale Regierungen und Regulierungsbehörden mit detaillierten Informationen zu Kosten und Nutzen einzelner Infrastrukturpfade versorgen und damit eine engere Koordination erleichtern. Die 134-seitige Studie „Integrated Infrastructure Planning and 2050 Climate Neutrality“ zeigt die Rolle einer integrierten Infrastrukturplanung für Europas Weg zur Klimaneutralität. Ergänzend fasst ein 27-seitiger Impulsbericht von Agora Energiewende zentrale Empfehlungen für eine kosteneffiziente europäische Infrastrukturentwicklung zusammen.

Von Elke von Rekowski