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Geothermie 10.08.2023, 10:00 Uhr

Jetzt geht es ganz tief hinab

Mit einer neuen Bohrtechnik lassen sich Tiefen von bis zu 10 000 Metern wirtschaftlich realisieren. Das ermöglicht die breite Nutzung von Erdwärme an jedem Punkt unseres Planeten.

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1 600 m tiefe Brunnen werden verwendet, um Islands Hauptstadt Reykjavik mit geothermisch erwärmtem Wasser zu versorgen. Ein neues Bohrverfahren erlaubt nun noch weit größere Tiefen.

Foto: PantherMedia/dpcrestock (Corepics lifestyle stock photography)

Stromlücken, die durch die Volatilität von Wind- und Solarstrom fast täglich auftreten, werden meist durch Kohle- und Erdgasstrom geschlossen, denn es gibt zu wenig Großbatterien und Pumpspeicherkraftwerke. Geothermie könnte einspringen, denn sie steht rund um die Uhr zur Verfügung, kann aber auch nur dann genutzt werden, wenn kein Wind weht oder die Sonne nicht scheint. Doch Strom aus Erdwärme ist teuer, weil tiefe Bohrungen nötig sind oder nur mäßig warmes Thermalwasser oder Gestein gefunden wird.

Wandernde Verankerung

Der Tiefbohrspezialist GA Drilling, der in der slowakischen Hauptstadt Bratislava beheimatet ist und Niederlassungen in Bristol, Houston und Abu Dhabi hat, will die Kosten mit gleich zwei neuen Techniken drastisch senken. „Erdwärme ist überall nutzbar“, so die Devise des Unternehmens. Man müsse nur tief genug bohren. Mit den neuen Verfahren sind Tiefen bis 10 km erreichbar.

Eine der beiden neuen Techniken ist eine wandernde Verankerung. Kurz oberhalb der Stelle, an der sich der Bohrmeißel durch Erde und Gestein frisst, fährt der Anker – hydraulisch betätigt – aus und presst sich an die Wände des Bohrlochs. Er sorgt dafür, dass der Bohrmeißel sich in beliebigen Tiefen so vibrationsfrei dreht wie ein Metallbohrer in einer Tischbohrmaschine. Üblicherweise schlackert der Bohrmeißel umso stärker hin und her, je tiefer das Gestänge in die Tiefe vorgedrungen ist. Er bildet schließlich den Abschluss des sich frei im Bohrloch drehenden Bohrgestänges. Die unkontrollierten Bewegungen lassen den Meißel schneller verschleißen. Dann muss das gesamte Gestänge ans Tageslicht geholt werden, um den Bohrkopf auszutauschen.

Wenn das aus dem Anker herausfahrende Bohrgestänge die maximale Reichweite erreicht hat wird der Vortrieb gestoppt. Der Anker zieht seine Zähne ein, sodass er sich im Bohrloch frei bewegen, tiefer gesetzt und erneut verankert werden kann. Die nächste Etappe kann beginnen. Anchorbit heißt dieses Verfahren.

Mit heißem Plasma locker durch Granit

Beißen die Zähne des Meißels im wahrsten Sinn des Wortes auf Granit, ein besonders hartes Felsgestein, wird Plasmabit bemüht, die zweite Innovation der Ingenieure aus der Slowakei. Das ist ein rotierender Lichtbogen, der eine Temperatur von bis zu 6 000 °C erreicht und ein heißes Plasma erzeugt. Das wirkt wie Dynamit, nur gezielter und kontrollierter. Die Bruchstücke werden letztlich mit Wasser unter Hochdruck herausgespült.

Die erste Testbohrung brachte GA Drilling auf dem Gelände des Technologiezentrums von Nabors Industries in Houston, Texas, USA, nieder, einem Spezialisten für Öl- und Gasbohrungen. „Das ist der Beginn einer neuen Ära für die gesamte Geothermiebranche, um ein entscheidender Akteur im Energiemix zu werden“, sagt Igor Kocis, Gründer und CEO von GA Drilling.

Garantiert 160 Grad Celsius in 5 000 Metern Tiefe

Tatsächlich ist, wenn man nahezu beliebig tief bohren kann, die aufwendige Suche nach oberflächennahen Wärmevorkommen überflüssig. Bei einer Tiefe von 5 000 m sind aufgrund des geothermischen Tiefengradienten, der eine Temperaturerhöhung um 3 °C pro 100 m beinhaltet, mindestens 160 °C zu erwarten. Das reicht, um an der Oberfläche ein spezielles Kraftwerk zu betreiben, das Strom und Wärme erzeugt. Der eingesetzte Organic-Rankine-Cycle (ORC)-Prozess funktioniert wie ein Dampfkraftwerk. Statt Wasser wird jedoch eine organische Flüssigkeit eingesetzt, die schon bei Temperaturen von etwas über 100 °C so viel Dampfdruck erzeugt, dass ein Turbogenerator angetrieben werden kann. In größeren Tiefen und mit ein wenig Glück sind auch höhere Temperaturen möglich, die in kostengünstigeren klassischen Dampfkraftwerken genutzt werden können.

Von Wolfgang Kempkens