Kernenergie soll Dieselgeneratoren ablösen
Mit einem bleigekühlten schwedischen Reaktor will Norwegen einen der wenigen energetischen Schandflecken im Land beseitigen und das Strom- und Wärmeangebot zuverlässig sichern.
Für das Projekt auf Spitzbergen hat Norsk Kjernekraft gemeinsam mit dem schwedischen Reaktorbauer Blykalla Svalbard Kjernekraft gegründet.
Foto: Blykalla
Bis 2023 war die Welt auf Svalbard, einem Archipel im hohen Norden, der zu Norwegen gehört, noch in Ordnung, zumindest was die Versorgung mit Strom und Heizwärme auf der Hauptinsel Spitzbergen betraf. Ein Kohlekraftwerk lieferte zuverlässig, zumal auch die Kohle vor Ort gefördert wurde. Aus Umweltschutzgründen wurde das Kraftwerk dann stillgelegt, das Kohlebergwerk mittlerweile auch. Die Aufgaben übernahmen betagte Dieselaggregate. Seitdem geht bei den 2 500 Inselbewohnerinnen und -bewohnern die Angst um, dass die Energieversorgung stockt, was schon geschehen ist. Im Winter 2023/2024 mussten Generatoren der norwegischen Armee eingeflogen werden, um die Energieversorgung aufrechtzuerhalten.
„Zuverlässige und bezahlbare Energie“
Das soll sich ändern. 2029 sollen Strom und Wärme aus einem kleinen Kernkraftwerk kommen. „Nach der Schließung des Kohlekraftwerks ist die Kernenergie die einzige langfristige Lösung, um die Energiesicherheit ohne den Einsatz fossiler Brennstoffe aufrechtzuerhalten“, sagt Jonny Hesthammer, CEO von Norsk Kjernekraft in Bergen, das nicht nur den Reaktor auf Spitzbergen bauen lassen will, sondern auch mehrere auf dem Festland, um vor allem den wachsenden Bedarf von Rechenzentren zu decken. „Zuverlässige und bezahlbare Energie ist eine Voraussetzung für die weitere Wahrung der Souveränität Norwegens in Svalbard, insbesondere angesichts der aktuellen geopolitischen Lage.“ Für das Projekt auf Spitzbergen hat Norsk Kjernekraft gemeinsam mit dem schwedischen Reaktorbauer Blykalla Svalbard Kjernekraft gegründet.
Jetzt ist der Gouverneur gefragt
Das Unternehmen hat jetzt den ersten Schritt getan und dem Gouverneur in Longyearbyen, dem Verwaltungssitz auf Spitzbergen, den Plan vorgelegt. Dieser beschreibt das Projekt und die örtlichen Gegebenheiten und schlägt weitere Untersuchungen zu den Themen Umwelt und Biodiversität, Sicherheit, Abfallentsorgung, Auswirkungen auf die Gesellschaft sowie Auswirkungen auf lokale Unternehmen und Arbeitsplätze vor. Der endgültige Standort des Kernkraftwerks wird im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung festgelegt.
Flüssiges Blei transportiert die Wärme ab
Gebaut werden soll ein kleiner modularer Reaktor (Small Modular Reactor, SMR) von Blykalla, einem Unternehmen, das von Absolventen der Königlichen Technischen Hochschule in Stockholm gegründet worden ist. Sealer (Swedish Advanced Lead Reactor) hat eine elektrische Leistung von 55 MW. Die Wärmeenergie, die durch Uranspaltung im Reaktorkern erzeugt wird, transportiert flüssiges Blei zu einem Wärmeübertrager. Dort entsteht Wasserdampf, der zum einen zur Stromerzeugung genutzt, zum anderen in das Fernwärmenetz von Spitzbergen eingespeist wird. Angeschlossen sind Wohnungen, Flugplatz, Raketenstartplatz, Museum und Verwaltungsgebäude.
Bei einer Störung stellt sich ein Gleichgewicht ein
Sealer ist „inhärent sicher“, beteuert das Unternehmen. Das bedeutet, er kann nicht unkontrolliert überhitzen und so im schlimmsten Fall zu einer Kernschmelze führen, wie es bei den meisten heutigen Reaktoren möglich, wenn auch unwahrscheinlich ist. Wenn die Pumpen, die das flüssige Blei durch den Reaktorkern pumpen, ausfallen, wird das Blei heißer, erreicht aber bei weitem nicht den Siedepunkt, der bei 1 700 °C liegt und den Druck massiv erhöhen würde. Der Anstieg der Temperatur führt dazu, dass die Moderatorwirkung des Bleis steigt, weniger Atomkerne gespalten werden und sich ein sicherheitstechnisch unbedenkliches Gleichgewicht einstellt. Blei ist zudem eine hervorragende Barriere für radioaktive Strahlen, sodass diese nicht nach außen dringen können.
Ergänzung zur Wasserkraft
Derzeit baut Blykalla am schwedischen Kernkraftwerksstandort Oskarshamn einen Prototyp seines Sealers, um die Zuverlässigkeit des Konzepts, vor allem der Pumpen für flüssiges Blei zu testen. In dieser Anlage wird das Schwermetall nicht durch Kernspaltung, sondern elektrisch verflüssigt.
Norwegen bezieht fast 100 % seines Stroms aus Wasserkraft. Kernenergie ist als Ergänzung gedacht, um die Stromversorgung auch dann emissionsfrei sicherzustellen, wenn der Klimawandel die Wasserversorgung beeinträchtigen sollte.




