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Stromversorgung 16.07.2025, 10:00 Uhr

Die Weltbank schwenkt um auf Kernenergie

Fördergeldempfänger dürfen künftig die Kraftwerkstechnik selbst wählen, vorausgesetzt, sie belastet nicht das Klima. Viele Schwellenländer setzen auf nukleare Techniken.

Koeberg, das einzige Kernkraftwerk in Afrika. Foto: Eskom

Koeberg, das einzige Kernkraftwerk in Afrika.

Foto: Eskom

Die Weltbank in Washington soll die Welt ein wenig besser machen. Sie fördert Entwicklungsprojekte vor allem in ärmeren Ländern, nicht zuletzt solchen, die die Stromversorgung sichern sollen. In den nächsten zehn Jahren will sie Projekte finanzieren, die mehr als 300 Millionen Menschen stabil mit Strom versorgen. Das sieht das Management der Bank als Notwendigkeit im Kampf gegen die Armut an, die ein wichtiger Grund für Migration ist. Diese Energieprojekte sollen im Einklang mit der Natur stehen, den Klimawandel also nicht verschärfen. Wind, Sonne und Wasser waren schon immer angesagt, doch jetzt hat die Bank eine spektakuläre Kehrtwende gemacht. Ab sofort fördert sie auch nukleare Projekte, die jahrzehntelang nicht auf der Agenda standen. Eine entsprechende Vereinbarung unterzeichneten jetzt der Präsident der Weltbankgruppe, Ajay Banga, und der Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), Rafael Mariano Grossi.

Verantwortungsvolle Emissionskontrolle

Der Verwaltungsrat der Weltbank akzeptiert die Kernenergie jetzt „als Teil eines umfassenderen Ansatzes zur Elektrifizierung in einer Weise, die eine verantwortungsvolle Emissionskontrolle gewährleistet.“ Ziel sei es, Ländern dabei zu helfen, den Strom zu erzeugen, den die Bevölkerung benötigt, und ihnen gleichzeitig die Flexibilität zu geben, den Weg zu wählen, „der ihren Entwicklungszielen, ihrem nationalen Kontext und ihren national festgelegten Beiträgen am besten entspricht“.

Gigantischer Investitionsbedarf

Der Strombedarf in den Entwicklungsländern werde sich bis 2035 voraussichtlich mehr als verdoppeln, schätzen die Weltbanker. Um diesen Bedarf zu decken, müssten die jährlichen Investitionen in die Stromerzeugung, die Netze und die Speicherung von derzeit 280 auf rund 630 Mrd. US-$ pro Jahr steigen. „Unser Ziel besteht darin, den Ländern dabei zu helfen, ihren Bürgern die benötigte Energie zur Verfügung zu stellen und ihnen gleichzeitig die Flexibilität zu geben, den Weg zu wählen, der ihren Ambitionen, ihren Entwicklungszielen, ihrem nationalen Kontext, aber auch ihren national festgelegten Beiträgen am besten entspricht“, so Banga.

Finanzierung auch von Laufzeitverlängerungen

Kernenergie sei nicht für jedes Land geeignet, heißt es, aber dort, wo sie gewählt wird, will die Weltbank künftig Projekte finanzieren. Sie reiht die Kernenergie in die Reihe der Erzeugungsarten ein, die den Klimawandel nicht belasten. Dazu gehören auch Investitionen, die nötig sind, um Laufzeiten von Kernkraftwerken zu verlängern, und die Förderung von kleinen Kernkraftwerken (Small Modular Reactor, SMR). Diese lassen sich besser als Großanlagen in Stromnetze integrieren, die wegen der Zunahme von Wind- und Solarenergie immer dezentraler ausgerichtet werden.

Afrika ist offen für Kernkraftwerke

Schwellenländer sehen in der Kernkraft vor allem eine stabile Grundlastquelle für ihre wachsenden Städte und Industrien. Die Aufhebung des Finanzierungsverbots wird dort als strategische Chance verstanden. Nach dem World Nuclear Industry Status Report, den der unabhängige Energie- und Atompolitikanalyst und -berater Mycle Schneider gemeinsam mit 15 interdisziplinären Expertinnen und Experten aus neun Ländern erstellt, haben zehn afrikanische Länder Pläne zum Bau von Kernkraftwerken. Vertreter aus Nigeria, Burkina Faso, Mali und Niger haben bereits die von Russland ausgerichtete Messe Atomexpo besucht. Einige haben mit dem russischen Staatskonzern Rosatom Kooperationen zur Nutzung von Atomkraft vereinbart. Bisher gibt es auf dem „schwarzen“ Kontinent mit Koeberg nahe Kapstadt lediglich ein einziges Kernkraftwerk mit zwei Blöcken, das eine Gesamtleistung von 1 800 MW hat.

Politischer Druck aus Washington?

Das Online-Magazin „Welt-Sichten“, gegründet von protestantischen und katholischen Entwicklungswerken aus Deutschland und der Schweiz, gehört zu den Kritikern der neuen Finanzierungspolitik der Weltbank. Dessen Chefredakteur Bernd Ludermann mutmaßt, dass für die Kehrtwende der Weltbank nicht „der Bedarf armer Länder, sondern politischer Druck der Nuklearindustrie und vor allem aus Washington verantwortlich ist“. Tatsächlich hat der Finanzminister der USA, Scott Bessent, die Weltbank im April ermutigt, Kernenergie wieder zu fördern. „Das tut sie und lässt sich damit für Exportinteressen und die Geopolitik der USA einspannen“, klagt Ludermann.

Kurswechsel auch in Deutschland

Die Weltbank sieht sich mit ihrer Entscheidung auf einer Linie mit der Mehrheit aller Staaten. Auch die Europäische Union setzt mittlerweile nahezu einstimmig auf diese Technik. Sie will Nuklearanlagen künftig genauso fördern wie andere Kraftwerke, die weder Umwelt noch Klima entlasten. Auch Deutschland ist mit dem Regierungswechsel auf diesen Kurs eingeschwenkt, den die Ampel-Koalition nicht mittragen wollte. Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) unterstützt ausdrücklich diese Haltung, auch wenn sie sagt, dass eine Rückkehr Deutschlands zur Kernenergie ausgeschlossen sei.

Von Wolfgang Kempkens