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Stromhandel 01.03.2017, 11:18 Uhr

Bahnstrom als Marktchance für Energiedienstleister

Der Bahnstrommarkt in Deutschland wurde durch die Einführung des Netzzugangsmodells weitestgehend liberalisiert. Seit 2014 können Energiedienstleister Eisenbahnverkehrsunternehmen leichter mit 16,7-Hz-Bahnstrom versorgen. Es handelt sich um einen wachsenden Markt, der für Energieversorgungsunternehmen – aufgrund des großen Auftragsvolumens – neue Perspektiven der Geschäftsentwicklung ermöglicht, aber bisher nur von wenigen Unternehmen bedient wird.

Bild: Abellio

Bild: Abellio

Mitte 2014 wurde das so genannte Netzzugangsmodell im deutschen Bahnstrommarkt eingeführt. Energiedienstleister können seither Eisenbahnverkehrsunternehmen mit 16,7-Hz-Bahnstrom ohne Zahlung der früher üblichen Durchleitungskosten versorgen. Die Durchleitungskosten fielen in der Vergangenheit für die Umspannung vom 50-Hz-Netz auf das 16,7-Hz-Netz der Deutschen Bahn AG (DB) an und wurden nicht auf Basis des Energiewirtschaftsgesetzes reguliert [1]. Inzwischen fallen – wie auch im 50-Hz-Netz üblich – einheitliche Netzentgelte an, deren Festsetzung durch die Bundesnetzagentur überprüft wird.

Dies bedeutet: Unabhängig davon, ob die DB Energie GmbH oder ein anderer Energieversorger als Stromlieferant für ein Eisenbahnverkehrsunternehmen auftritt, fallen dieselben, nach energierechtlichen Kriterien festgesetzten Netzentgelte an. Der Wettbewerb folgt demnach vornehmlich über den Lieferpreis, ohne dass es eine Verzerrung durch unterschiedliche Netzentgelte gibt. Voraussetzung dafür ist, dass sowohl der Energieversorger als auch der Kunde entsprechende Verträge mit der DB Energie GmbH als deutschlandweit einheitlichem Bahnstromnetzbetreiber abgeschlossen haben.

Der Verbrauch an 16,7-Hz-Bahnstrom kann auf Basis von Angaben der Deutschen Bahn zum Traktionsstromverbrauch von 2013 grob mit 10 000 GWh /a abgeschätzt werden [2]. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) gibt für Industriekunden in 2016 einen durchschnittlichen Gesamtpreis (inklusive Umlagen, Netzentgelten und Stromsteuer) von 150,4 €/MWh an [3]. Demnach ergibt sich ein potenzielles Umsatzvolumen im Bahnstromsektor von rund 1,5 Mrd. € /a. Trotzdem sind aktuell nur überraschend wenige Anbieter im Bahnstrommarkt etabliert, auch wenn vereinzelt neue Anbieter in den Markt drängen, wie beispielsweise die Naturstrom AG, die seit Ende 2016 die Locomore GmbH & Co. KG versorgt [4] – den Anbieter, der zunächst auf der Strecke Stuttgart – Berlin der Deutschen Bahn im Schienenpersonenfernverkehr Konkurrenz machen will.

Fünf Gründe für das Potenzial von Bahnstrom

Dabei stellt sich der Bahnstrommarkt durchaus als ein potenziell interessanter Absatzmarkt für Energieversorger dar. Und der Markt wird sicherlich weiter an Attraktivität gewinnen. Folgende Gründe sprechen dafür:

Steigender Bahnstromverbrauch

Der Verkehrsträger Schiene soll weiter gestärkt werden. Eine starke Akzeptanz der Schiene ist als essenzieller Baustein zur Energiewende im Verkehrssektor politisch gewollt. In der Verkehrsverflechtungsprognose 2030 geht das Bundesverkehrsministerium beispielsweise von einer Steigerung der Personenverkehrsleistung auf der Schiene bis 2030 um 19,2 % gegenüber 2010 und einem deutlich erhöhten Angebot im Nahverkehr aus [5]. Zwar führt der Einsatz neuer und effizienterer Fahrzeuge dazu, dass streckenbezogen weniger Energie verbraucht wird, aber bei dieser starken Verkehrszunahme kann trotzdem mit einem steigenden absoluten Bahnstromverbrauch gerechnet werden.

Mehr Wettbewerb auf der Schiene

Der Anteil der Verkehrsleistung, die nicht durch die Deutsche Bahn, sondern durch private Eisenbahnverkehrsunternehmen erbracht wird, ist in den letzten Jahren stetig gestiegen und wird auch in Zukunft weiter anwachsen. So beziffert der Branchenverband Mofair den Anteil der privaten Bahnen im Segment des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) für 2016 bereits mit 30 % [6]. Analysen gehen von einer Steigerung des Anteils der Wettbewerbsbahnen auf rund 40 % bis zum Jahr 2020 aus. In den nächsten Jahren werden zudem noch Verkehrsleistungen in großem Umfang ausgeschrieben. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger (BAG SPNV) schätzt, dass bis 2020 Betriebsleistungen im Umfang von rund 385 Mio. Zugkilometern ausgeschrieben werden [7]. Der Großteil der Leistungen wird wettbewerblich in europaweiten Ausschreibungen vergeben. Verkehrsverbünde wählen die Eisenbahnverkehrsunternehmen als spätere Betreiber anhand wirtschaftlicher und qualitativer Kriterien aus. Hierbei setzen sich verstärkt private Anbieter durch, die nicht nur wirtschaftlich sind, sondern auch mit Blick auf die Servicequalität sehr gute Ergebnisse erzielen. So erhielt beispielsweise Abellio 2016 erneut die Goldmedaille im Qualitätsbericht des Zweckverbandes Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) [8]. Gewinnen private Eisenbahnverkehrsunternehmen die Ausschreibungen für neue Verkehrsverträge, so können sie anschließend im Markt ihren Energiebedarf selbst beschaffen und stellen somit potenzielle Großkunden für Energieversorger dar. Und im Gegensatz zum industriellen Umfeld bleiben die Verbräuche über einen langen Zeitraum relativ konstant, da die ausgeschriebenen Verkehrsverträge oftmals über Laufzeiten von bis zu 15 Jahren verfügen.

Bilder (3): Abellio

Bilder (3): Abellio

Zunehmende Bedeutung der Bahnstromkosten bei Eisenbahnverkehrsunternehmen

In der Vergangenheit machten die Energiekosten rund 15 % der kumulierten Gesamtkosten von Schienengüterverkehrsunternehmen aus [1]. Im Bereich des SPNV ist sogar mit einem Anstieg des Anteils der Energiekosten an den Gesamtkosten zu rechnen. In einigen Regionen Deutschlands werden durch neue Ausschreibungsmodelle die Fahrzeuge durch den Aufgabenträger beschafft und durch den Hersteller instandgehalten. Damit entfallen zwangsläufig die Fahrzeugbeschaffungs- und Instandhaltungskosten für Eisenbahnverkehrsunternehmen, und der Energiekostenanteil steigt. Dieser hohe Anteil bedingt ein großes Interesse an einem optimierten Einkauf bei einem verlässlichen und langfristigen Lieferanten, der die Eisenbahnverkehrsunternehmen über die Dauer des Verkehrsvertrags versorgt.

Vergaberechtliche Erleichterungen beim Stromhandel

Verkehrsunternehmen waren zum Teil in den vergangenen Jahren beim Einkauf von Strom an das Vergaberecht gebunden. Hintergrund war, dass viele Verkehrsunternehmen über ihre Unternehmensstruktur letztlich staatlich dominiert sind. Seit die EU-Kommission im Juli 2016 für den deutschen Strom- und Gashandel eine Ausnahme von der Anwendung der Sektorenverordnung in Kraft gesetzt hat [9], können Eisenbahnverkehrsunternehmen freier und schneller am Markt agieren und Bahnstrom einkaufen. Zeitliche Vorgaben, wie eine mindestens zehntätige Informationsfrist vor Vergabe eines Auftrags, entfallen. Auch Alleinstellungsmerkmale von Energieversorgern, wie beispielsweise das Anbieten eines elektronischen Kundenportals und weitere Dienstleistungen, sowie ein verlässlich und schnell reagierender Kundenservice können nun leichter in der Lieferantenauswahl berücksichtigt werden.

Erweiterung des Dienstleistungsumfangs

Neben der Belieferung mit Bahnstrom können sich Energiedienstleister noch an weiteren Schnittstellen als wertvolle Partner von Bahnunternehmen erweisen. Als Service kann zum Beispiel angeboten werden, die Beantragung und Nachverfolgung eines Anspruchs auf individuelle Netzentgelte zu übernehmen oder als fachlicher Ansprechpartner beim Energiedatenmanagement und der Erstellung von Energieverbrauchs- und Lastgangsprognosen aufzutreten. Bei Instandhaltungswerken und Bürostandorten bietet sich zudem die Strom- und Wärmeversorgung an. Werden neue Instandhaltungswerke gebaut, können Energiedienstleister als Contractor von Energieanlagen – wie beispielsweise Kraft-Wärme-Kopplungs- oder Photovoltaik-Anlagen – auftreten und dabei verschiedene Aufgaben wie die Planung, Finanzierung und den Bau beziehungsweise Betrieb von Anlagen übernehmen. Auch die gezielte Schulung und Sensibilisierung von Mitarbeitern der Eisenbahnverkehrsunternehmen kann ein zukünftiges Aufgabenfeld werden, in dem sich weitere Umsätze erwirtschaften lassen.

Fazit

Der Bahnstrommarkt öffnet für Energieversorger neue Perspektiven der Geschäftsentwicklung. Im Vergleich zu vielen anderen Geschäftsfeldern (zum Beispiel der Versorgung von Elektro-Pkw) bestehen bereits jetzt echte Absatzchancen. Neben der großen Absatzmenge ist vor allem die Aussicht interessant, sich für Eisenbahnverkehrsunternehmen zum strategischen und somit langfristigen Partner zu entwickeln. Energiedienstleister sollten die Chance ergreifen und die Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen sowie die Dynamik des Verkehrsträgers Schiene für die Erweiterung ihres Geschäftsmodells nutzen.

 

v.koeller@abellio.de

 

 

Literatur:

[1] Holzhey, M.; Berschin, F.; Kühl, I.; Naumann, R.: Wettbewerber-Report Eisenbahn 2010/2011. mofair e. V. und Netzwerk Privatbahnen – Vereinigung Europäischer Eisenbahngüterverkehrsunternehmen e. V, 2011, S. 99 -102.

[2] Deutsche Bahn AG; DB Mobility Logistics AG: Deutsche Bahn DB Mobility Logistics Daten & Fakten 2013, 2013, S. 25.

[3] Schwenke, T.; Bantle, Ch.: BDEW-Strompreisanalyse Mai 2016 – Haushalte und Industrie, 2016, S. 24.

[4] Naturstrom AG: Locomore: Crowdfunding-Zug fährt mit Ökostrom von Naturstrom, Pressemitteilung vom 8.12.2016.

[5] Schubert, M.; Kluth, T.; Nebauer, G.; Ratzenberger, R.; Kotzagiorgis, St.; Butz, B.; Schneider, W.; Leible, M.: Verkehrsverflechtungsprognose 2030 – Zusammenfassung der Ergebnisse. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2014, S. 14.

[6] Recker, E.; Westenberger, P.: Wettbewerber-Report – Eisenbahn 2015/2016. mofair e. V. und Netzwerk Privatbahnen – Vereinigung Europäischer Eisenbahngüterverkehrsunternehmen e. V., 2015, S. 1.

[7] Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger des SPNV e. V.: Angabe auf der Website unter http://bag-spnv.de/zahlen-fakten im Abschnitt „Vergabe“, aufgerufen am 16.1.2017.

[8] Abellio Rail NRW GmbH: Abellio Rail NRW erhält wieder Goldmedaille im NWL-Qualitätsbericht 2015, Pressemitteilung vom 19.8.2016.

[9] Europäische Kommission: Durchführungsbeschluss (EU) 2016/1674 der Kommission vom 15. September 2016 zur Ausnahme des Elektrizitäts- und Gashandels in Deutschland von der Anwendung der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Rates und Parlament, 2016.

Vincent Köller, Abellio GmbH, Berlin.