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Kommunale Wärmeplanung 01.08.2023, 16:15 Uhr

Abwärme und Erneuerbare mit hohem Potenzial

Am Beispiel von Schwäbisch Hall zeigt sich welch beachtliches Potenzial die industrielle Abwärme und erneuerbare Energien für die Wärmeversorgung haben. Ein kommunaler Wärmeplan steht kurz vor dem Abschluss.

Eignungsgebiete für Wärmenetze in Schwäbisch Hall. In Zukunft könnten etwas über die Hälfte der Gebäude der baden-württembergischen Kommune über Wärmenetze versorgt werden. Foto: Greenventory

Eignungsgebiete für Wärmenetze in Schwäbisch Hall. In Zukunft könnten etwas über die Hälfte der Gebäude der baden-württembergischen Kommune über Wärmenetze versorgt werden.

Foto: Greenventory

Kommunale Wärmepläne umfassen eine gründliche Analyse des aktuellen und künftigen Wärmebedarfs vor Ort, berechnen die Potenziale einer klimafreundlichen Energieversorgung und weisen Eignungsgebiete für Wärmenetze sowie eine dezentrale Wärmeversorgung aus. Darüber hinaus werden Maßnahmen erarbeitet, um den Wärmebedarf durch erneuerbare Energien und Abwärme zu decken und eine treibhausgasneutrale Wärmeversorgung zu erreichen.

Baden-Württemberg hat die kommunale Wärmeplanung frühzeitig gesetzlich verankert. Die 104 größten Kommunen in Baden-Württemberg müssen bereits bis Ende 2023 einen kommunalen Wärmeplan erstellen. Nun zieht die Bundesebene nach. Dies eröffnet den rund 1.000 Stadtwerken in Deutschland ein neues Betätigungsfeld in ihrem Kerngeschäft – dem der Energieversorgung.

Ein Stadtwerk, das hier aktiv ist, sind die Stadtwerke Schwäbisch Hall. Sie erstellen den Wärmeplan im Auftrag der 41.000 Einwohner großen Stadt in Baden-Württemberg und nehmen die strategische Planung der künftigen Energieversorgung in die Hand. Dabei erhalten sie Unterstützung von der Greenventory GmbH, einem Unternehmen aus Freiburg, das auf die Inventarisierung und Optimierung von Energiesystemen spezialisiert ist. Der Wärmeplan wird im Herbst 2023 fertiggestellt sein.

Zuerst erfolgte die Bestandsanalyse

Zu Beginn des Vorhabens stand die Bestandsanalyse. Mit Hilfe der Greenventory-Software wurden die Daten von insgesamt 13.000 Gebäuden verarbeitet und analysiert. Dieses Vorgehen brachte den Stadtwerken Schwäbisch Hall einen mehrfachen Vorteil: Zum einen hatte die Nutzung von bereits bestehenden Datensätzen von Stadt, Netzversorger und Stadtwerken eine hohe Qualität der Datengrundlage zur Folge. Zum anderen ermöglichte die rasche Zusammenführung dieser Daten mit Energiemodellen, Geodaten und Statistiken ein schnelles Arbeiten unmittelbar nach dem Projektstart.

Als Energieversorger und lokaler Netzbetreiber stellten die Stadtwerke Schwäbisch Hall die Verbrauchsdaten für Wärme gebäudescharf zur Verfügung. Der Bezirksschornsteinfeger lieferte die elektronischen Kehrbücher, das Bau- sowie das Stadtplanungsamt weitere Plan- und GIS-Daten. Der Bestand ließ sich so digital erfassen und visuell abbilden. Das bildet die Grundlage für die weiteren Schritte.

Das Ergebnis: Schwäbisch Hall hat aktuell einen jährlichen Wärmebedarf von 527 GWh. Der Großteil des Bedarfs, rund 63 %, besteht in Privathaushalten, gefolgt von der Industrie (rund 18 %) sowie Gewerbe, Handel und Dienstleistungen mit rund 15 %. Die Hälfte des Wärmeverbrauchs wird durch Erdgas und Öl gedeckt. Dieser Anteil muss reduziert werden, um die Klimaziele zu erreichen. Ein Vorteil in Schwäbisch Hall ist die gute Ausgangsposition mit einer hohen Durchdringung von Wärmenetzen, die eine umfangreiche und schnelle Dekarbonisierung ermöglichen und ein wesentlicher Teil der Transformationsplanung sind.

Potenzial Erneuerbare, Abwärme und Gebäudesanierung

In Schritt zwei ermittelten die Beteiligten detailliert auf 105 Quadratkilometern alle lokal verfügbaren erneuerbaren Potenziale für eine dekarbonisierte Wärmeversorgung. Die Stadtwerke Schwäbisch Hall nutzen derzeit insbesondere Biomethan und Biogas für die Wärmeerzeugung im Fernwärmenetz. Durch die Datenanalysen wurden weitere Potenziale sichtbar gemacht, die sonst nicht aufgefallen wären: Allein oberflächennahe Großwärmepumpen wie Flusswärmepumpen könnten bis zu 480 GWh Wärme liefern.

Auch das technische Potenzial von Photovoltaik-Freiflächenanlagen ist mit bis zu 3,9 TWh enorm. Dabei ist allerdings zu beachten, dass das sinnvoll nutzbare Potenzial deutlich geringer ist, aber künftig einen guten Teil des Wärmebedarfs decken kann.

Auch die Potenziale für industrielle Abwärme bei den Unternehmen wurden für den Wärmeplan erhoben und analysiert. Diese Daten geben Unternehmen zwar oft ungern preis, der Aufwand lohnt sich aber. Nach anfänglichen Problemen gab es hier beachtliche Erfolge: Das geschätzte Potenzial der Abwärme einer der Betriebe liegt bei 24 GWh. Die Wärmeleistung fließt nun in den kommunalen Wärmeplan ein, konkrete Gespräche über die direkte Integration ins Wärmenetz gibt es bereits. Dies ist ein direkter Erfolg der kommunalen Wärmeplanung.

Die Potenzialanalyse hat zudem gezeigt, wie viel die Gebäudesanierung zur Wärmewende beitragen kann. Bei der Realisierung aller energetischen Sanierungsoptionen bis 2040 könnte der Gebäudewärmebedarf um 30 % sinken. Allein ein Blick auf das Alter der Heizungsanlagen zeigt das große Sanierungspotenzial: 19 % der Heizungen sind über 30 Jahre alt, 43 % 15 bis 30 Jahre und rund 30 % sind 5 bis 15 Jahre alt.

Zielszenarien und Maßnahmen

Anschließend entwickelte das Projektteam konkrete Zielszenarien. Zentral ist dabei die Höhe des zukünftigen Wärmebedarfs. Zudem muss geklärt werden, wo der Wärmebedarf über Wärmenetze gedeckt werden könnte und wo Einzelheizungen wie Wärmepumpen die Wärme liefern.

Die Projektpartner gehen anhand der Gebäudesanierungspotenziale von einem Rückgang des Wärmebedarfs 2040 auf rund 370 GWh pro Jahr aus. In Zukunft könnten etwas über die Hälfte der Gebäude über Wärmenetze versorgt werden, die unter anderem mit der industriellen Abwärme, Großwärmepumpen und Solarthermie gespeist werden.

Die restlichen Gebäude, die sich außerhalb der Wärmenetz-Eignungsgebiete befinden, sollen in Zukunft auf erneuerbare Einzelheizungen setzen. Dazu zählen Wärmepumpen oder, in geringem Ausmaß, auch Holzheizungen. Auch die Zukunft der Gasnetze vor Ort und die Rolle von Wasserstoff-Heizungen sind Teil der Überlegungen.

In Schritt vier der kommunalen Wärmeplanung werden Maßnahmen entwickelt. Mit mindestens fünf muss Schwäbisch Hall innerhalb der ersten fünf Jahre nach der Veröffentlichung des kommunalen Wärmeplans laut Landesgesetz verpflichtend beginnen.

Aktuell prüfen Stadtverwaltung und Stadtwerke Schwäbisch Hall die Handlungsvorschläge, die dem Gemeinderat zur Beschlussfassung empfohlen werden sollen. „Angedacht sind unter anderem die Nachverdichtung und der Ausbau der Wärmenetze“, sagt Steffen Hofmann von den Stadtwerken Schwäbisch Hall. „Die vorhandene Erzeugungsstruktur soll dann durch industrielle Abwärme, Flusswärmepumpen, Solarthermie und Bioenergie ergänzt werden. Auch die Abwärme aus dem Klärwerk könnte genutzt werden.“

Örtliche Bedingungen berücksichtigen

Soll die kommunale Wärmeplanung erfolgreich sein, müssen die individuellen Bedingungen vor Ort berücksichtigt werden. Auch eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit allen Partnern ist erforderlich. Einen Wärmeplan auf Knopfdruck zu erstellen, macht daher unter keinen Umständen Sinn.

In Schwäbisch Hall kombinierte Greenventory die umfangreichen Bestandsdaten der Stadtwerke mit Potenzialdaten, Geodaten und weiteren energietechnischen Informationen. So war das Projektteam schnell arbeitsfähig und erzielte eine detaillierte Datengrundlage. Mithilfe dieser Grundlage konnten neue, unbekannte Abwärmepotenziale identifiziert und alle erneuerbaren Potenziale übersichtlich dargestellt werden.

Die Daten dienen nun für die Planung der Wärmewende und können künftig einfach aktualisiert werden. Das bietet eine solide Grundlage für die Fortschreibung des kommunalen Wärmeplans, die im Südwesten spätestens sieben Jahre nach der Veröffentlichung dem Regierungspräsidium vorgelegt werden muss.

Von Hans-Christoph Neidlein