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+++ Exklusiver Fachbeitrag +++ 15.11.2023, 10:00 Uhr

Digitalisierung ohne Cloud

Der Erfolg der Energiewende hängt neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien und der Sektorenkopplung auch von der vollständigen Digitalisierung der Netzinfrastruktur ab. Dabei stehen Netzbetreiber nicht nur vor der Herausforderung, ob ihnen das gelingt, sondern wie. Denn als Teil der kritischen Infrastruktur sind hier anfallenden Daten unbedingt zu schützen – und das funktioniert nur über eine lückenlose Datenhoheit.

Ortsnetzstation mit installierter „GridCal“-Leiste (zweite Reihe von rechts). Foto: PSInsight

Ortsnetzstation mit installierter „GridCal“-Leiste (zweite Reihe von rechts).

Foto: PSInsight

Die aktuelle Bundesregierung hat sich bei der Energiewende hohe Ziele gesetzt: So soll bis 2030 der Stromverbrauch zu 80 % aus erneuerbaren Energien gedeckt und Deutschland bis 2045 klimaneutral werden. Aufgrund der damit verbundenen zunehmend dezentralen Stromerzeugung und volatilen Versorgung sind die Sektorenkopplung und die Umwandlung hin zu einer intelligenten Netzinfrastruktur unverzichtbare Grundlagen für eine zuverlässige Energieversorgung. Die Netzbetreiber stehen daher sowohl unter politischem als auch wirtschaftlichem Druck: Sie müssen zügig Lösungen finden, um unter anderem ihre teils jahrzehntealten Ortsnetzstationen (ONS) zu digitalisieren. Für Unternehmen mit Industrienetzen gilt das ebenso, wenn sie zukünftig vollständig digitalisieren und automatisieren möchten.

Fällt das Wort Digitalisierung, denken mittlerweile sehr viele Menschen fast automatisch an das Wort Cloud. Das liegt zum einen am steigenden Nutzen von Clouddiensten im Privaten, beispielsweise beim Streaming von Inhalten. Zum anderen werden in der Regel Ideen wie die Vernetzung von Verkehr und Stadt ausschließlich mit großen Rechenzentren in Verbindung gebracht. Da liegt es nahe, dass Netzbetreiber in dieselbe Richtung denken – doch unterliegen sie dabei einem zweifachen Trugschluss: Zum Ersten sind ihre Infrastruktur und die dort anfallenden Daten ihr wichtigstes Asset, das es zu schützen und selbst zu managen gilt, ohne in Abhängigkeit zu geraten. Zum Zweiten konterkariert der Rückgriff auf die Cloud und damit auf zentrale Rechenzentren und deren hohen Energiebedarf die eigentlichen Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit.

Warum die Cloud keine Alternative ist

Mit der Verbreitung des Internets nahm die Diskussion um den Datenschutz neuen Schwung auf. Angesichts der notwendigen Digitalisierung unseres Verteilnetzes sollte das Thema auch bei Netzbetreibern ganz oben auf der Agenda stehen. Denn wer dabei auf vermeintlich moderne und zuverlässige Cloud-Lösungen setzt, gibt nicht nur seine Daten, sondern am Ende womöglich die eigene Souveränität auf. Die Gründe dafür sind vielfältig: von rechtlichen Fallstricken über die Verfügbarkeit bis hin zur zentralen Abhängigkeit von einzelnen Anbietern („Vendor Lock-in“). Doch was genau steckt dahinter?

  • Von Rechtswegen – unsicher Die größten Cloud-Anbieter kommen aus den USA und unterliegen daher unter anderem Gesetzen wie dem Patriot Act und dem Cloud Act. Das ist selbst dann der Fall, wenn sich deren physische Rechenzentren auf EU-Hoheitsgebiet befinden. Aufgrund dieser beiden Gesetze besteht für US-Sicherheitsbehörden eine Grundlage, die ihnen den Zugang zu gespeicherten Daten in Rechenzentren von US-Providern ermöglicht – zumindest formal nach einem richterlichen Beschluss. Zugleich ist seit den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden davon auszugehen, dass in einigen Fällen US-Provider sogar sogenannte Backdoors eingerichtet haben. Industriespionage stellt hier ein realistisches Szenario dar. Netzbetreiber, die auf die großen US-Anbieter setzen und sich dabei auf den deutschen oder europäischen Datenschutz verlassen, könnten demnach ihr „blaues Wunder“ erleben. Dass selbst die strenge EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) keinen zuverlässigen Schutz bietet, hat etwa jüngst der Skandal um widerrechtlich versendete Nutzerdaten des Meta-Konzerns (ehemals Facebook) gezeigt. Zwar wurde ein Verfahren mit Bußgeld eingeleitet – der Schaden ist aber entstanden.
  • Ausfälle sind keine Option Damit die Stromversorgung auch unter den volatilen Bedingungen der Energiewende zuverlässig erfolgen kann, müssen digitale Lösungen die Analyse und Steuerung der Netze ausfallsicher in Echtzeit ermöglichen. Doch selbst große IT-Unternehmen sind immer wieder von Ausfällen („Outages“) betroffen – beispielsweise die weltweit bekannten sozialen Netzwerke. Zudem ergab unter anderem die zuletzt vom Uptime Institute durchgeführte „Annual Outages Analysis“ 1), dass öffentlichkeitswirksame Ausfälle digitaler Infrastruktur zu 66 % auf Drittanbieter (etwa Cloud- und Service-Provider) zurückzuführen sind. Zudem bemängeln die Verfasser die unzureichende Transparenz und fehlende Meldemechanismen. Die tatsächliche Zahl von sogenannten Outages dürfte daher höher liegen, als offiziell bekannt ist. Kommt es etwa zu einem Cyberangriff bei einem Cloud-Anbieter, können Netzbetreiber von einem Ausfall betroffen sein, obwohl sie selbst nicht Ziel der Attacke sind – sie hängen aber unweigerlich durch Nutzung der Cloud-Infrastruktur mit drin.
  • Abhängig ist nicht souverän Ob es um die eigenen Daten geht oder um die sich darum drehende Infrastruktur: Nutzen Netzbetreiber die Cloud, machen sie sich abhängig von Dritten und geben ihre Souveränität und mittelfristig auch dieses Kompetenzfeld auf. Sie sind dann an einen Provider gebunden und können sich nur sehr schwer davon lösen, ohne umfangreiche Unterbrechungen zu riskieren. Zudem müssen sie sich darauf verlassen, dass ihre Daten geschützt werden – und können zugleich nicht garantieren, jederzeit uneingeschränkten Zugriff auf diese zu erhalten. In einer Welt, in der geopolitisch die Unabhängigkeit in der Energieversorgung zur Pflicht wird, sollte nicht derselbe Fehler gemacht werden, sich in eine unkalkulierbare IT-Abhängigkeit zu begeben – Lizenzserver sind deutlich schneller deaktiviert als Gaspipelines.

Die Netzdaten aus den „GridCal“-Nodes und die Gesamtübersicht über den GridCal-Operator bringen volle Transparenz ins Verteilnetz – bei lückenloser Datenhoheit.

Foto: PSInsight

Stattdessen: Datenhoheit und -sparsamkeit

Um Netzdaten nicht nur zuverlässig erheben, analysieren und zur Netzautomatisierung nutzen zu können, sondern dabei durchweg auch die Datenhoheit innezuhaben, stehen Netzbetreibern passende Systemlösungen wie „GridCal“ zur Verfügung: Die dezentral selbstständig agierenden „GridCal Nodes“ (GCN) können direkt von Netzbetreibern in Eigenregie selbst bei ONS im Bestand (Retrofit) installiert werden, während der zentrale „GridCal Operator“ (GCO) die Nodes orchestriert, gesammelte Netzinformationen bündelt und eine zentrale Analyse und Steuerung ermöglicht. Die in den ONS montierten Nodes setzen auf Edge Computing und sind so in der Lage, die Netzdaten direkt vor Ort zu speichern und zu verarbeiten. Das Abrufen der Daten und die Steuerung können dank abgesicherter Verbindungen problemlos aus der Ferne durchgeführt werden. Dadurch erfolgt die Verarbeitung der Daten vollständig in der IT-Infrastruktur des Netzbetreibers – und alle Daten verbleiben genau dort, wo sie hingehören: im Kontrollbereich des Urhebers und Eigentürmers.

In Sachen Datenverarbeitung ist Masse nicht automatisch gleich Klasse – es gilt das Prinzip der Daten- und Energiesparsamkeit. Gerade für eine effiziente Netzanalyse und -steuerung braucht es nicht möglichst viele, sondern die richtigen Daten – und das bestenfalls wie bei GridCal direkt an der ONS vor Ort. Hintergrund ist, dass jedes zu übertragende und gespeicherte Byte selbst Energie benötigt. Datensparsamkeit geht demzufolge nicht nur mit einer Kostensenkung, sondern auch mit einer positiveren Umwelt- und Ressourcenbilanz einher. Müssen hochaufgelöste Daten aus der Feldebene zunächst in die Cloud, erzeugt das einen unnötigen Energieverbrauch, der wiederum zu einer negativen CO2-Bilanz führt: So entstehen laut einem Bericht 2) des Forschungsprojekts „Green Cloud Computing“ jährlich zwischen 105 bis 153 kg CO2-Äquivalente pro Terabyte Speicherkapazität. Da im Zuge der Energiewende auch der Energieverbrauch reduziert und damit die Klimabilanz verbessert werden soll, erzeugt der Rückgriff auf Cloud-Dienste bei der Digitalisierung der Verteilnetze einen klaren Widerspruch.

Fazit

Auf dem Weg zu einer erfolgreichen Energiewende fühlen sich Verteilnetzbetreiber durch den wirtschaftlichen und politischen Druck in Zugzwang: Sie müssen ihre Netze Schritt für Schritt digitalisieren und suchen nach Lösungen, um dies schnellstmöglich zu erreichen. Insbesondere der Bestand der teils jahrzehntealten ONS stellt eine Herausforderung dar, bei denen Verantwortliche gerne auf Ad-hoc-Lösungen zurückgreifen, bei denen die Daten in der Cloud landen.

Angesichts der rechtlichen wie technischen Fallstricke ebenso wie der eher widersprüchlichen Energiebilanz im Zusammenhang mit Cloud-Lösungen sollten Netzbetreiber Alternativen ins Auge fassen – gerade in ihrer Rolle als Teil der kritischen Infrastruktur. Lösungen wie GridCal, die über die Nodes einen dezentralen und über den Operator einen zentralen Ansatz miteinander zu einem hybriden Ansatz verbinden, lassen sich dagegen für die Datenverarbeitung vollständig in die beim Netzbetreiber vorhandene IT-Infrastruktur einbinden. Das realisiert die Netzdigitalisierung bei gleichzeitiger Sicherstellung der Datenhoheit und Sparsamkeit.

1) https://datacenter.uptimeinstitute.com/rs/711-RIA-145/images/AnnualOutageAnalysis2023.03092023.pdf.

2) https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/2546/dokumente/factsheet_klimawirkung_video-streaming.pdf.

Von Philipp Huppertz

Dr. Philipp Huppertz ist Geschäftsführer der PSInsight GmbH
philipp.huppertz@psinsight.de