Zum E-Paper
Erste Hilfe für die Natur 26.04.2021, 07:00 Uhr

Wie ein altes Medikament Korallenriffe retten könnte

Korallenriffe gehen nicht nur durch den Klimawandel, sondern auch durch bakterielle Infektionen zu Grunde. Das brachte US-Forscher auf eine Idee. Sie behandeln Infektionen bei diesen Nesseltieren mit einem bekannten Antibiotikum.

Eine Wissenschaftlerin behandelt erkrankte Steinkorallen mit einem Antibiotikum. 
Foto: Joshua Voss, FAU Harbour Branch

Eine Wissenschaftlerin behandelt erkrankte Steinkorallen mit einem Antibiotikum.

Foto: Joshua Voss, FAU Harbour Branch

Weltweit verringert sich die Fläche an Korallenriffe stetig. Dabei gehen ökologisch wertvolle Lebensräume verloren, die viel Kohlendioxid binden. Hinzu kommt: Riffe schlucken einen Großteil der lokal auftretender Wellenenergie. Sie schützen Küsten vor der Zerstörung.

Doch welche Mechanismen stecken hinter dem weltweiten Rückgang? Besonders bekannt ist die Korallenbleiche als Folge der globalen, anthropogen verursachten Erwärmung. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Hartkorallen werden auch durch die sogenannte Stony Coral Tissue Loss Disease, kurz SCTLD, zerstört. Auf Deutsch wird sie Steinkorallen-Gewebe-Verlust-Krankheit genannt. Vitales Gewebe wird zerstört.

SCTLD vernichtet regional große Korallenriffe. Wissenschaftler vermuten, dass bakterielle Erreger die Krankheit auslösen. Solche Keime werden durch das Meer über große Entfernungen hinweg transportiert, bis sie ein weiteres Riff erreichen und dort zusätzliche Korallen infizieren. Die Krankheit wurde erstmals 2014 in Miami-Dade County entdeckt und hat sich seitdem auf den größten Teil des Florida Coral Reef und auf mehrere Länder und Gebiete der Karibik ausgedehnt. In einigen Riffen wurde bereits mehr als die Hälfte des lebenden Korallengewebes zerstört. Übrig bleiben tote, anorganische Skelette. Forscher an der Florida Atlantic University fanden jetzt heraus, dass sich Hartkorallen mit einem weit verbreiteten, alten Antibiotikum aus der Humanmedizin gut behandeln lassen.

Südchinesisches Meer: Wie 3D-Druck unsere Riffe rettet

Korallenriffe retten: Vergleich von zwei chemischen Behandlungen

Ziel der Studie war es, die Wirksamkeit von zwei möglichen Interventionen zu untersuchen, nämlich Calciumhypochlorit („Chlorkalk“) an Epoxid-Harz gebunden oder das Antibiotikum Amoxicillin mit dem Trägerstoff CoralCure™ Ointment Base2B. Zum Vergleich dienten unbehandelte Korallen.

Die Studie wurde ungefähr zwei Kilometer vor der Küste Floridas an Standorten mit einer maximalen Wassertiefe von zehn Metern durchgeführt. Forscher erfassten sowohl den Zustand der Korallenriffe als auch den Status behandelter Läsionen. Alle Kolonien wurden regelmäßig über einen Zeitraum von elf Monaten überwacht. Die Substanzen wurden mit ihrem jeweiligen Trägerstoff durch Taucher aufgebracht.

Zu den Ergebnissen: Mit Amoxicillin gelang es, 95% aller Krankheitsläsionen der Korallen zu heilen. Amoxicillin ist ein Breitbandantibiotikum, das gegen viele Bakterien Wirkung zeigt. Es kommt in der Humanmedizin häufig zum Einsatz, etwa bei Infektionen des Magen-Darm-Traktes, der Harnwege beziehungsweise des Atemtrakts. Die Substanz kann preisgünstig in großer Menge hergestellt werden. Hypochlorit brachte entgegen der Erwartungen keinen Effekt; die Zahl an Schäden ging weiter nach oben – in einem ähnlichen Maße wie ohne Behandlung.

Höchster CO2-Wert seit 3,3 Millionen Jahren: Uralter Fund aus der Karibik zeigt die Klimazukunft

Offene Fragen zur Langzeit-Therapie der Korallenriffe

Damit ist den Forschern ein erster, wichtiger Schritt gelungen, um die SCTLD zu behandeln. Es kam aber dennoch zu einer Überraschung. Unter Amoxicillin heilten bestehende Läsionen zwar ab. Nach mehreren Wochen bis Monaten traten jedoch neue Schäden auf. Wie kann das sein?

„Es gibt drei mögliche Szenarien, die das Auftreten neuer Läsionen in den mit Amoxicillin behandelten Korallen-Läsionen erklären können, die in unserer Studie zuvor geheilt wurden“, berichtet Erin N. Shilling. Sie forscht an der Florida Atlantic University. Shilling weiter: „Es ist möglich, dass der Erreger der Steinkorallen-Gewebeverlust-Krankheit immer noch in der Umwelt vorhanden ist und ruhende Kolonien erneut infiziert.“ Es könnte aber auch sein, dass die Dauer der Amoxicillin-Gabe zu kurz war – oder dass das Antibiotikum zu niedrig dosiert worden ist, um Krankheitserreger aus anderen Bereichen der Korallenkolonie zu eliminieren. Beide Aspekte wollen die Forscher um Shilling jetzt untersuchen.

Ihre Idee: „Der Erfolg bei der Behandlung mit Antibiotika kann von Ansätzen profitieren, die typischerweise gegen bakterielle Infektionen beim Menschen erfolgreich sind, beispielsweise unter Verwendung einer starken Anfangsdosis von Antibiotika, gefolgt von einem Regime kleinerer zusätzlicher Dosen im Laufe der Zeit“, hofft Joshua Voss. Er ist pharmakologischer Leiter des Projekts.

Mehr zum Thema Meeresbiologie und Umweltschutz:

Von Michael van den Heuvel