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Aktivkohle 05.07.2021, 09:00 Uhr

Fluorierte Chemikalien raus aus dem Trinkwasser

Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen - kurz PFAS genannt - belasten inzwischen das Rohwasser vieler Wasserwerke. Trinkwassergrenzwerte für diese Schadstoffe zwingen Wasserwerke zu handeln. Die Stadtwerke Rastatt in Baden-Württemberg wollen diese Belastung kostengünstig mit Aktivkohle und Ionenaustauschern in den Griff bekommen.

In den oberen Teil der Filters wird Aktivkohle eingefüllt. Um das Filtermaterial automatisch absaugen zu können und den Filter neu zu befüllen, wurde eine spezielle Vorrichtung entwickelt. Foto: Stadtwerke Rastatt

In den oberen Teil der Filters wird Aktivkohle eingefüllt. Um das Filtermaterial automatisch absaugen zu können und den Filter neu zu befüllen, wurde eine spezielle Vorrichtung entwickelt.

Foto: Stadtwerke Rastatt

Die Stadtwerke Rastatt haben 2012 einen Umweltskandal in Mittelbaden entdeckt: Im Grundwasser einiger Brunnen wurden giftige Substanzen nachgewiesen: die PFAS (s. Kasten). Nach Berechnungen des Technologiezentrums Wasser (TZW) des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfachs (DVGW) sind in Mittelbaden mittlerweile mindestens 58 km2 Grundwasseroberfläche und 160 Mio. m3 Grundwasservolumen mit PFAS belastet.

Nachforschungen ergaben, diese Substanzen gelangten einige Jahre zuvor in die Umwelt: Zwischen 2006 und 2008 wurde mehr als 100 000 t Kompost, der teilweise mit Papierschlämmen vermischt war, auf landwirtschaftliche Flächen ausgebracht. Diese Papierschlämme enthielten die per- und polyfluorierten Chemikalien.

Das ist kein Einzelfall: Der Wasserwirtschaft in Deutschland sind rund 200 PFAS-Schadensfälle bekannt. Ein Beispiel: Bei Arnsberg in Nordrhein-Westfalen wurden PFAS im Jahr 2006 im Trinkwasser entdeckt. Die Ursache war PFAS belasteter Industriemüll in einem Bodenverbesserer, die ins Grundwasser und ins Oberflächenwasser kamen.

Trinkwassergrenzwerte

Lange fehlten Grenzwerte für diese in der Natur nicht abbaubaren Stoffe. Das ändert sich am 12. Januar 2021. An diesem Tag traten mit der Aktualisierung der EU-Trinkwasserrichtlinie Grenzwerte für die PFAS-Stoffgruppe in Kraft. Die neuen EU-Regelungen zu PFAS umfassen zwei Möglichkeiten: Es kann den Grenzwert „Summe der PFAS“ für die Summe aus 20 PFAS-Einzelverbindungen in Höhe von 0,1 µg/l Trinkwasser geben oder den Grenzwert „PFAS gesamt“ in Höhe von 0,5 µg/l Trinkwasser. Die EU-Richtlinie ist in den Mitgliedstaaten nicht direkt gültig: Sie muss bis Januar 2023 vom Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt werden, in Deutschland in die deutsche Trinkwasserverordnung.

Bereits im Dezember 2019 hatte das Umweltbundesamt in Dessau, Sachsen-Anhalt, vorläufige Maßnahmenwerte in Höhe von 0,05 µg pro Liter Trinkwasser für sensible Verbrauchergruppen – also Schwangere, Säuglinge und Kleinkinder bis zu einem Alter von 24 Monaten – für zwei langkettige PFAS festgelegt und empfohlen. Bei diesen beiden Substanzen handelt es sich um die Perfluoroktansäure (PFOA) und die Perfluoroktansulfonsäure (PFOS). Maßnahmenwerte sind wissenschaftlich abgeleitete Höchstwerte, deren Überschreitung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Anlass zu gesundheitlicher Besorgnis bietet.

Montage der Filterkessel während der Bauarbeiten im Wasserwerk Rauental im Jahr 2017. Die Filter enthalten jetzt Aktivkohle, um PFAS zu entfernen. Foto: Stadtwerke Rastatt

Montage der Filterkessel während der Bauarbeiten im Wasserwerk Rauental im Jahr 2017. Die Filter enthalten jetzt Aktivkohle, um PFAS zu entfernen.

Foto: Stadtwerke Rastatt

Aktivkohle gegen PFAS

Um PFAS vom Trinkwasser fernzuhalten, nutzen die Stadtwerke Rastatt wie auch andere Wasserversorger in Mittelbaden mehrere Abwehr-, Vorbeuge- und Forschungsmaßnahmen, um PFAS aus dem Grundwasser zu entfernen. Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie haben die Stadtwerke Rastatt zusammen mit dem TZW mehrere Lösungen untersucht und Pilotversuche mit Aktivkohle und Ionenaustauschern durchgeführt. Dabei hat sich der Einsatz von Aktivkohle als wirtschaftlichste und nachhaltigste Technologie erwiesen.

Dazu haben die Stadtwerke Rastatt ihr Wasserwerk Rauental, das im Zuge der PFAS-Funde vom Netz genommen werden musste, mit einer hocheffizienten Aktivkohle-Filteranlage ertüchtigt und im Jahr 2018 wieder in Betrieb genommen. Seither wurde dort mehr als 1 kg PFAS aus 3,5 Mio. m3 Brunnenwasser entfernt. Die Gesanmtkonzentration an per- und polyfluorierten Chemikalien im Brunnenwasser aus Rauental liegt heute bei 0,447 µg/l. Nach der Aufbereitungsstufe mit Aktivkohle liegte dieses PFAS-Konzentration im Trinkwasser bis auf 0,0 µg/l. Das Trinkwasser hält damit bereits heute die strengen PFAS-Grenzwerte der EU-Trinkwasserrichtlinie ein.

Einer der vier Behälter, die im Wasserwerk‧Rauental mit Aktivkohle gefüllt sind. Jeder hat einen Durchmesser von 3 m und ist 7 m hoch. Foto: Stadtwerke Rastatt

Einer der vier Behälter, die im Wasserwerk‧Rauental mit Aktivkohle gefüllt sind. Jeder hat einen Durchmesser von 3 m und ist 7 m hoch.

Foto: Stadtwerke Rastatt

Aktivkohle öfter austauschen

Nach der neuen Festlegung des EU-Grenzwerts und den hohen Anforderungen werden die Standzeiten der Aktivkohlefilter deutlich verkürzt, somit wird die Aktivkohle häufiger getauscht oder zur Regenerierung geschickt. Die höheren Kosten müssen letztendlich die Bürger tragen. Nach einer groben Schätzung der Stadtwerke Rastatt müssen die Aktivkohlefilter alle fünf Monate regeneriert werden. Das erhöht die Kosten für den Betrieb des Wasserwerkes deutlich.

Die Stadtwerke Rastatt werden weitere Maßnahmen in die Wege leiten: eine umfassende Ertüchtigung der Rohwasseraufbereitung in ihrem Hauptwasserwerk Ottersdorf ist in Planung. Eine Aktivkohleanlage wird auch dort gebaut werden. Die PFAS-Belastung im Brunnenwasser in Ottersdorf liegt aktuell bei etwa 0,03 µg/l. Zudem werden zwei weitere Tief­brunnen geplant, sodass künftig dort auch Trinkwasser aus geringer belasteten Grundwasserleitern gewonnen werden kann.

Kurze PFAS im Blick

Um die neuen EU-Grenzwerte einzuhalten, wird es besonders wichtig werden, kurzkettige PFAS im Blick zu haben. Dazu zählen die Perfluorbutansulfonsäure (PFBS), die Perfluorbutansäure (PFBA) und die Perfluorpentansäure (PFPA). Diese Substanzen aus der PFAS-Stoffgruppe werden von Aktivkohlefiltern am schlechtesten entfernt, da sie weniger gut als langkettige an Aktivkohle adsorbieren. Und wenn sie sich an die Aktivkohle anlagern, werden sie leicht durch bessere adsorbierbare Stoffe ersetzt.

Die Stadtwerke Rastatt haben daher mit dem TZW einen weiteren Pilotversuch gestartet. Sie testen zurzeit, ob es sinnvoll ist, einen Aktivkohlefilter mit einem Ionenaustauscher zu kombinieren. Der Ionenaustauscher soll vor allem die kurzkettigen PFAS entfernen, die durch die teilbeladene Aktivkohle nicht mehr entfernt werden. Der Austauscher wird regelmäßig regeneriert. Danach liegen die aus dem Rohwasser entfernten PFAS in konzentrierter Form im flüssigen Regenerat vor. Bei diesem Verfahren wird das Regenerat anschließend elektrochemisch behandelt: Die PFAS werden abgebaut, indem deren chemische Struktur zerstört wird.

Frühwarnsystem

Um die Qualität des Rastatter Trinkwassers künftig besser zu überwachen, haben die Stadtwerke Rastatt, das TZW und das Karlsruher Unternehmen Unisensor zudem das Projekt SenSOS gestartet. Hierbei geht es um die Entwicklung eines Vorwarnsystems, das unerwünschte organische Stoffe im Wasserwerk frühzeitig erfasst. Dazu haben die Fachleute ein Messsystem installiert, das organische Stoffgruppen in einer Vorfeldmessstelle, im Brunnenwasser und in den Abläufen der Aktivkohlefilter im Wasserwerk Rauental messen kann.

 

www.stadtwerke-rastatt.de/pfc

Von Lorena Rodriguez & Olaf Kaspryk

Olaf Kaspryk
Geschäftsführer der Stadtwerke Rastatt
o.kaspryk@stadtwerke-rastatt.de
Lorena Rodriguez
PFAS-Sachverständige der Stadtwerke Rastatt
l.rodriguezk@stadtwerke-rastatt.de