Immer mehr Multigassensoren
VDI-Richtlinien geben einen Überblick darüber, wie sich mehrere Gase gleichzeitig messen lassen. Dies ist etwa wichtig, um explosive Zusammensetzungen zu erkennen. Multigassensoren werden auch für Prozessüberwachung und Diagnose benötigt wie auch in den Bereichen Komfort und Umweltschutz.

Bereiche, in denen Multigassensoren eingesetzt werden. Bild: 7 x BAM Medienteam, 1 x Carlo Tiebe
Hören, Sehen, Fühlen, Schmecken und Riechen zählen zu den menschlichen Sinnen. Dabei ist allein der Geruchssinn ein chemischer Sinn. Das heißt, er reagiert beim Inhalieren auf chemische Stoffe. Der menschliche Geruchssinn ist immer aktiviert und reagiert zum Teil sehr sensibel auf geringe Stoffmengenanteile in der Luft – etwa auf mit Odorierungsmitteln beaufschlagtes Erdgas. Die Gefahr von Leckagen an Erdgasrohleitungen nach Austritt des odorierten Erdgases kann somit von Jedermann schnell erkannt werden. Der menschliche Geruchssinn ist hingegen nicht in der Lage, beispielsweise das Gas Kohlenstoffmonoxid (CO) wahrzunehmen. Hier braucht es Messmittel, die schnell auf Gefahrstoffe wie diese hinweisen.
Die Zusammensetzung technischer Gase variiert sehr. Daher werden auch mehr und mehr Gassensoren zur Überwachung und Steuerung technischer Prozesse eingesetzt. Ebenso bei der Produkt- und Qualitätskontrolle in Bereichen, die unser tägliches Leben und unsere Gesundheit betreffen. Hierfür bedarf es an Sensoren, die Gase im relevanten Messbereich erfassen und bewerten sowie auch solche für komplexe Gasgemische. Beides braucht den Einsatz möglichst spezifischer Sensoren. Und Letzteres benötigt eine Kombination mehrerer Sensoren im Zusammenspiel mit einer intelligenten Signalerfassung und -auswertung. Zudem werden hierbei hohe Ansprüche an Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Sensoren gelegt.
Multigassensoren sind Messeinrichtungen, die mehrere gasförmige Komponenten eines Gasgemischs unterscheiden, erkennen oder quantitativ erfassen können. Somit sind sie in der Lage Gasgemische generell zu unterscheiden. Sie bestehen aus einem oder mehreren Sensorelementen, die zu einem sogenannten Sensorarray verknüpft werden oder einem Sensorarray sowie den notwendigen Bauteilen zur Steuerung, Signalauswertung und Datenspeicherung. Vorzugsweise werden miniaturisierte Sensorelemente genutzt, die meist auf einem der folgenden Prinzipien beruhen:
thermisch durch Wärmeleitfähigkeitsdetektoren, Pellistor genannt,
elektrisch durch Halbmetalloxid-Sensoren oder amperometrische Sensoren,
gravimetrisch durch mikromechanischer Cantilever,
optisch z. B. durch nicht-dispersive Infrarotsensoren,
ionisierend wie Photoionisationsdetektor oder ionenmobilitätsspektrometrischer Sensor.
Um den Überblick zu behalten, müssen Sensoranwender vorab wissen, welcher Sensor für welchen Messbereich wo angewendet werden soll. Dies ist oftmals nicht leicht zu beantworten. Dabei müssen abhängig von verfügbaren Technologien die jeweiligen Vor- und Nachteile betrachtet werden.
Die Spezifik von Multigassensoren besteht darin, dass durch Auswahl und Betriebsweise eine Vielzahl von Messsignalen erzeugt werden, aus denen mit mathematischen Verfahren die für die Anwendung gewünschten Informationen extrahiert werden. Hierzu ist ein Training, das heißt ein Verfahren zur Anpassung eines Multigassensors für eine gezielte Messung, dies erfolgt mit verschiedenen Gasproben mit definierter Zusammensetzung sowie die mathematische Auswertung von Signalen oder Signalmuster, der Messeinrichtung mit Gasproben bekannter Eigenschaften notwendig.
Die Gassensorik hat sich stetig weiterentwickelt. Heute gibt es viele Multigassensoren, die komplexe Gasgemische erfassen. Sie liefert dann Daten, wenn der jeweilige Sensor eingeschaltet ist und dies, je nach Messprinzip und Elektronik kontinuierlich oder potenziell mit hohen Abtastraten im Sekunden- oder Minutentakt. Messungen können damit leicht auf die erwartete Gasprobe abgestimmt werden.
Signalintensitäten oder Signalmuster ändern sich, wenn sich die Gaszusammensetzung beziehungsweise die Gaskonzentrationen am Ort des Messens ändert oder auch, wenn der Sensor in einem Gasvolumen bewegt wird oder einen Luftstrom unterschiedlicher Gaszusammensetzungen heranträgt.
Häufig werden Anfragen zum Einsatzverhalten von Multigassensoren und deren Kennwerten gestellt. Hier geben Technische Richtlinien wie die VDI-Richtlinien des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) Orientierung. Sie liefern anhand von Beurteilungs- und Bewertungskriterien Entscheidungshilfen zur Bildung eines Maßstabs für einwandfreies technisches Vorgehen. Sie formulieren allgemein anerkannte Regeln der Technik und fördern den Erfahrungsaustausch und Technologietransfer zwischen Entwicklern und Anwendern.
Die Richtlinienreihe VDI/VDE 3518 vom Fachausschuss Multigassensorik der VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik beschreibt nun Regeln für die korrekte und sichere Arbeit mit Multigassensoren.
In Blatt 1 der Richtlinienreihe werden Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit Multigassensoren definiert. Es beschreibt auch deren generellen Aufbau sowie Arbeitsweise und stellt ein Klassifikations- und Bewertungssystem mit Güteklassen bereit. In diesem werden Multigassensor einer der vier möglichen Anwendungskategorien – Komfort (A1), Diagnose (A2), Prozessüberwachung (A3) oder Sicherheit (A4). In den jeweiligen Anwendungskategorien können Multigassensoren zum Differenzieren (F1), Identifizieren (F2), Quantifizieren (F3) angewandt werden.
Blatt 2 definiert Leistungsmerkmale und Wertebereiche für die jeweiligen Anwendungen sowie Funktionalitäten und spezifiziert die durchzuführenden Prüfverfahren und deren Bewertung. Entscheidend für Umfang der Prüfung und Bewertung der Multigassensoren ist das Klassifikationssystem.
Blatt 3 beschreibt das Anwendungsgebiet zu geruchsbezogenen Messungen mit Multigassensoren. Diese Richtlinie legt Anforderungen zur Prüfung und Bewertung fest. Diese Richtlinie legt spezielle Anforderungen zur Prüfung und Bewertung fest. Gleichzeitig ist sie ein Leitfaden zur Verfahrensentwicklung und zur Anwendung instrumentierter Geruchsmesssysteme.
Die Richtlinienreihe ist an Hersteller, Lieferanten und Nutzern als Leitfaden gerichtet und soll Informationen und Erläuterungen zur korrekten und sicheren Anwendung von Multigassensorsystemen liefern. Ferner soll es Herstellern, Kalibrier- als auch Prüflaboratorien und Anwendern einheitliche Randbedingungen zur Beurteilung der Leistungsmerkmale von Multigassensoren geben.
Carlo Tiebe & Michael Hofmann, Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Fachbereich 8.1 Sensorik, mess- und prüftechnische Verfahren, carlo.tiebe@bam.de