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Neue Technologien und Simulationen 04.04.2022, 07:00 Uhr

Anstieg des Meeresspiegels durch den Klimawandel: So gelingen bessere Prognosen

Schmelzen Gletscher, steigen die Meeresspiegel. Genaue Prognosen wären wichtig, um Maßnahmen zu planen. Wie das gelingt, berichten Ingenieure am MIT.

Eisberg

Wie schnell schmelzen Gletscher durch den Klimawandel ab – und wie verändert sich der Meeresspiegel?

Foto: Panthermedia.net/AlexGukBO

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts zeigen Aufzeichnungen, dass der Meeresspiegel kontinuierlich ansteigt. Diese Entwicklung hat sich laut dem Fünften Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) in letzter Zeit stark beschleunigt. Zwischen 1993 und 2010 waren es durchschnittlich 3,2 Millimeter (mm) pro Jahr – und in 2018 sogar 3,7 mm. Messwerte sind nicht das Problem, doch Voraussagen der weiteren Entwicklung sind mit hohen Unsicherheiten verbunden.

Aktuelle Klimamodelle sagen einen Anstieg des Meeresspiegels im nächsten Jahrhundert voraus, aber der tatsächliche Wert ist unklar. Schätzungen reichen von 20 Zentimetern bis zu zwei Metern, was einen großen Unterschied darstellt, wenn es darum geht, politische Maßnahmen zu ergreifen oder den Anstieg abzumildern.

Jetzt zeigen Forschende am Massachusetts Institute of Technology (MIT), Cambridge, mit welchen Technologien bessere Prognosen gelingen – durch engmaschige Datenerhebung, durch bessere Auswertung und durch neue Modelle zur Simulation.

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Folgen des Klimawandels präziser abschätzen

Neue Strategien kommen aus der Arbeitsgruppe von Brent Minchew. Er hat die Cecil and Ida Green Career Development-Professur im Department of Earth, Atmospheric and Planetary Sciences (EAPS) des MIT inne. Minchew setzt darauf, grundlegende Prozesse, die zu schnellen Veränderungen im Gletschereis führen, zu messen. Die Daten will er nutzen, um Modelle der nächsten Generation zu entwickeln, welche das Verhalten von Eisschilden als Reaktion auf den Klimawandel und dessen Einfluss besser vorhersagen können. „Um dies schnell zu erreichen, wollen wir bessere und häufigere Beobachtungen machen und die Physik der Eisschilde aus diesen Daten lernen“, sagt Minchew. „Zum Beispiel, wie viel Druck muss man auf Eis ausüben, damit es bricht?“

Derzeit nutzt Minchews Gruppe für Fragen zur Gletscherdynamik und zur Fernerkundung Satelliten. Sie beobachten vor allem Eisschilde auf Grönland und in der Antarktis mit einem interferometrischen Radar mit synthetischer Apertur (InSAR). Die Daten werden jedoch oft über lange Zeiträume hinweg erfasst – und oft sind nur Vorher-Nachher-Vergleiche möglich. Durch häufigere Messungen im Bereich von Stunden oder Tage machen sich Forschende ein detaillierteres Bild von den Vorgängen im Eis. „Viele der wichtigsten Unbekannten in unseren Vorhersagen darüber, wie Eisschilde in Zukunft aussehen werden und wie sie sich entwickeln werden, betreffen die Dynamik von Gletschern oder unser Verständnis darüber, wie die Fließgeschwindigkeit und die Fließwiderstände zusammenhängen“, sagt Minchew. Engmaschigere Daten seien eine wichtige Grundlage für Prognosen.

Im Mittelpunkt seiner Forschung steht die Einrichtung von SACOS, dem Stratospheric Airborne Climate Observatory System. Minchew plant die Entwicklung solarbetriebener Drohnen, die monatelang in der Stratosphäre fliegen können, um mit einem neuen, leichten Radargerät mit geringem Stromverbrauch und anderen hochauflösenden Instrumenten häufigere Messungen durchzuführen. Außerdem plant er, Sensoren direkt auf dem Eis abzuwerfen, die mit Seismometern und GPS-Trackern ausgestattet sind. Sein Ziel ist, hochfrequente Vibrationen im Eis zu messen und die Bewegungen der Eisströmung genau zu bestimmen. Mithilfe der von SACOS gesammelten Daten können die Forschenden besser verstehen, welche Materialeigenschaften im Eis das Brechen und Kalben von Eisbergen ermöglichen, und sich ein vollständigeres Bild davon machen, wie Eisschilde auf Klimakräfte reagieren.

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Doch warum ist es überhaupt wichtig, die Folgen des Klimawandels so präzise abzuschätzen? Minchew weist darauf hin, dass politische Maßnahmen je nach Prognose unterschiedlich ausfallen werden, je nachdem, an welchem Ende der Skala die Werte liegen. Bei einem Anstieg von weniger als 20 Zentimetern könnten Küstenbarrieren errichtet werden, um niedrig gelegene Gebiete zu schützen. Bei höheren Zahlen werden solche Maßnahmen jedoch zu teuer und ineffizient, da ganze Stadtteile und Millionen von Menschen umgesiedelt werden müssten.

„Wenn wir mit einem Anstieg des Meeresspiegels um mehr als einen Meter bis zum Ende des Jahrhunderts rechnen müssen, sollten wir das lieber früher als später wissen, damit wir mit der Planung beginnen und uns bestmöglich auf dieses Szenario als Folge des Klimawandels vorbereiten können“, sagt Minchew.

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Von Michael van den Heuvel