Zum E-Paper
+++ Exklusiver Fachbeitrag +++ 15.03.2022, 08:00 Uhr

Strom aus Abwärme gewinnen

Ein Münchner Unternehmen unterstützt Zementwerke, Chemikalienhersteller und andere Unternehmen darin, CO2-freien Strom aus Abwärme zu gewinnen.

Das Zementwerk Wittekind im südwestfälischen Erwitte ist ein Vorreiter bei der Abwärmenutzung. Hier werden bald sechs Efficiency-Pack-Module von Orcan Energy bei der Zementherstellung anfallende Abwärme in 8 000 MWh Strom pro Jahr umwandeln und den jährlichen CO2-Ausstoß des Zementwerks um rund 4 000 t senken. Foto: Wittekind Zement

Das Zementwerk Wittekind im südwestfälischen Erwitte ist ein Vorreiter bei der Abwärmenutzung. Hier werden bald sechs Efficiency-Pack-Module von Orcan Energy bei der Zementherstellung anfallende Abwärme in 8 000 MWh Strom pro Jahr umwandeln und den jährlichen CO2-Ausstoß des Zementwerks um rund 4 000 t senken.

Foto: Wittekind Zement

In Deutschland entfällt fast die Hälfte des Energieverbrauchs der Industrie und der Wirtschaft auf die Prozesswärme. Viel zu oft verpufft diese Wärme jedoch ungenutzt und wird als Abwärme einfach in die Luft geblasen.

Dabei ist das Energiepotenzial dieser „heißen Luft“ gigantisch. Würde die industrielle Abwärme allein in Deutschland optimal genutzt, könnten pro Jahr mehr als 23 TWh CO2-freier, sauberer Strom erzeugt werden. Damit könnten 20 % aller deutschen Haushalte versorgt werden.

Die Zahlen sprechen für sich. Kaum ein anderer Bereich bietet so viel ungenutztes Potenzial, Energie zu sparen, vorhandene Energie effektiver zu nutzen und den CO2-Ausstoß zu verringern. Konkret können Unternehmen bis zu 40 % ihres Energieverbrauchs durch clevere Nutzung ihrer Abwärme einsparen. Abwärmenutzung ist der schlafende Riese der Energiewende: Ein noch nicht gehobener Schatz.

Efficiency-Pack-Module

Wärme nutzen statt sinnlos verschwenden – gemäß dieser Devise verwandeln die Abwärmelösungen des Münchner Unternehmens Orcan Energy Abwärme von Motoren, Industrie- und Kühlprozessen in CO2-freien Strom. Die Module – sogenannte „efficiency Packs“ – arbeiten effizient, in unmittelbarer Nähe der Wärmequellen und produzieren Strom zu extrem niedrigen Kosten von weniger als 5 Ct/kWh. In den letzten fünf Jahren hat das Unternehmen mehr als 500 Anlagen vermarktet, die allein in Europa in mehr als drei Millionen Betriebsstunden bereits rund 48 000 t CO2-Emissionen einsparten.

Foto: Orcan Energy

Die Module funktionieren auf Basis des „ORC“-Prinzips ähnlich wie ein Dampfkraftwerk. Die Abkürzung steht für „Organic Rankine Cycle“, dessen Arbeitsweise der schottische Physiker William John Macquorn Rankine Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt hat. In einem ORC-„Dampfkraftwerk“ wird statt Wasser ein Arbeitsmedium wie Ammoniak oder eine organische Flüssigkeit wie Butan, Ethanol oder Propan verwendet. Diese Substanzen haben wesentlich niedrigere Verdampfungstemperaturen als Wasser.

In einem geschlossenen ORC-System wird das Arbeitsmedium immer wieder verdampft und anschließend kondensiert. Die hohen Drücke, die sich dabei aufbauen, treiben einen Generator zur Stromerzeugung an. Das Besondere am ORC-Verfahren ist, dass es Wärme auch auf einem relativ niedrigen Temperaturniveau für die Stromerzeugung nutzbar machen kann.

Allerdings konnten Anlagen nach dem ORC-Prinzip klassischerweise nur mit relativ großen Abwärmemengen wie aus der Geothermie betrieben werden und waren entsprechend dimensioniert. Orcan Energy überdachte die bewährte Technologie und entwickelte seit 2008 ORC-Lösungen der zweiten Generation. Die patentierten efficiency Packs sind wesentlich kleiner, wartungsarm und flexibel einsetzbar.

Klein, fein & wirksam

Mit den Efficiency-Pack-Modulen kann aus Abwärme, die bei den unterschiedlichsten Prozessen entsteht, sauberer Strom erzeugt werden, unabhängig davon, ob es sich um Abgase, Abluft, Abdampf, Kühl- oder Prozesswasser oder Wasser aus der Geothermie handelt. Die Module eignen sich für jegliche Abwärme von 80 bis 800 °C. Ihre Komponenten sind auf kleinem Raum in kompakten Gehäusen untergebracht. Verbaut werden dabei ausschließlich Elemente, die sich wie die Schraubenkompressoren als Verdichter für den Kondensator oder die Lagerungen für Pumpen, in der Industrie bereits vielfach bewährt haben.

Als Arbeitsmedium, das im geschlossenen ORC-System einer Anlage zirkuliert, setzt Orcan Energy in der Regel die Substanz 1,1,1,3,3-Pentafluorpropan ein. Dies fluorierte Propan ist weder brennbar noch giftig und lässt sich in efficiency Packs sehr effizient einsetzen.

Im Verdampfer wird das Arbeitsmedium von seinem flüssigen in den dampfförmigen Zustand überführt. Die Verdampfung erfolgt durch Wärmeenergie, bei der es sich bei den efficiency Packs grundsätzlich um Abwärme handelt, die sonst ungenutzt in die Umgebung strömen würde. Nachdem das Arbeitsmedium den Verdampfer durchlaufen hat, wird es als überhitzter Dampf einer Expansionsmaschine zugeführt. Mit dem unter Druck stehenden Dampf wird die vibrationsfrei arbeitende Schraubenexpansionsmaschine in Rotation versetzt. Damit wird ein Generator angetrieben, der den Strom erzeugt.

Das mit niedrigerem Druck aus der Expansionsmaschine strömende Arbeitsmedium wiederum wird im Kondensator verflüssigt, in der nachgeschalteten Pumpe auf hohen Druck gebracht und erneut dem Verdampfer zugeführt. Damit schließt sich der Kreislauf und der Prozess beginnt erneut. Der erzeugte Strom wird entweder direkt vor Ort verbraucht oder in das Stromnetz eingespeist.

Vier Efficiency-Pack-Module des Typs eP 150.200 produzieren aus überschüssiger Wärme an der Röstanlage der Nordenhamer Zinkhütte pro Jahr mehr als 5 000 MWh Strom.

Foto: Orcan Energy

Bessere Ökobilanz

Namhafte Unternehmen wie das Chemieunternehmen BASF mit Sitz in Ludwigshafen, das Gütersloher Medienunternehmen Bertelsmann und die zum Glencore-Konzern gehörende Nordenhamer Zinkhütte senken mit den Modulen ihre Stromkosten und verbessern gleichzeitig ihre Ökobilanz.

Aktuellere Beispiele sind die Installationen von efficiency Packs im Zementwerk Wittekind in südwestfälischen Erwitte sowie am Cemex-Zementwerk bei Berlin. Zement ist ein wichtiger Bestandteil von Beton, doch der Werkstoff hat den entscheidenden Nachteil, dass er große Mengen CO2 ausstößt. Neben Kohlekraftwerken und Autoabgasen ist Zement die größte Klimabaustelle. Da sich CO2-Emissionen bei der Zementproduktion kaum vermeiden lassen, müssen Werks­betreiber andere Lösungen zur Dekarbonisierung finden.

Cemex installiert derzeit sechs Orcan-Module, die zu Einsparungen am bestehenden Klinkerkühler führen und die bei der Zementproduktion anfallende bisher ungenutzte Abwärme vor Ort in insgesamt bis zu 8 150 MWh Strom pro Jahr umwandeln sollen. Zugleich sollen dadurch bis zu 3 500 t CO2 jährlich eingespart werden. Das entspricht rund 1 000 Flügen von München nach New York.

Klinkerkühlerabwärme

Um einen Teil der Abwärme des Klinkerkühlers für die Stromerzeugung zu nutzen, wird hierzu in der Rohrleitung des Klinkerkühlers ein Wärmetauscher installiert. Dieser wird das Wasser erwärmen, das den sechs ORC-Modulen zur Stromerzeugung zugeführt werden wird. Die mit Pentafluorpropan betriebenen Module werden dann CO2-freien Strom produzieren, der den Eigenbedarf des Standorts zum Teil decken soll. ‚Das Bundeswirtschaftsministerium fördert den Bau der Anlage zu 50 % durch das Programm „Bundesförderung für Energieeffizienz in der Wirtschaft“.

Auch bei der Dekarbonisierung von Schiffen ist die Nutzung überschüssiger Abwärme ein zunehmend wichtiger und wirtschaftlicher Baustein. An Bord lassen sich mit Abwärmenutzung Treibstoffeinsparungen von 5 bis 12 % erzielen. Die Art des Treibstoffes ist dabei unbedeutend, da sowohl Schweröl, verflüssigtes Erdgas (LNG) oder erneuerbarer Wasserstoff immer Abwärme produzieren.

Auf der Green Jade, Taiwans erstem Offshore-Windkraftanlagen-Schiff, werden zurzeit acht Efficiency-Pack-Module installiert. Diese sollen die Abwärme an Bord nutzen, um Strom zu erzeugen und Energie zu sparen. Dies wird auch den Treibstoffbedarf senken. Das Schiff haben der taiwanesische Schiffsbauer CSBC aus Kaohsiung im Süden der Insel und das auch im Offshore-Bereich tätige belgische Unterehmen DEME Offshore aus Zwijndrecht bei Antwerpen entwickelt.

Foto: CSBC / DEME Wind Engineering

Efficiency Packs in Schiffen

In Kürze werden acht Module von Orcan Energy auf der „Green Jade“, Taiwans erstem Offshore-Installationsschiff – einem der größten der Welt – installiert. Das Schiff hat einen maximierten Deckraum und ist mit einem Kran mit einer Kapazität von 4 000 t ausgestattet, sodass es riesige Multi-Megawatt-Windkraftanlagenkomponenten und -fundamente transportieren und installieren kann.

Das Schiff wird zurzeit in Taiwan gebaut. Es soll noch 2022 auf dem lokalen Offshore-Windmarkt, wie dem 300-MW-Offshore-Windparkprojekt „Zhong Neng“ zum Einsatz kommen.

Um die Abwärme an Bord gewinnbringend zu nutzen, erhalten die vier Wärtislä-Motoren an Bord jeweils zwei efficiency Packs. Diese nutzen die Abwärme des Motorkühlwassers und der Motorenabgase. Wenn alle Motoren in Betrieb sind, kann eine Nettoleistung von mehr als 500 kW an Bord der „Green Jade“ zusätzlich erzeugt werden, was wiederum zu Einsparungen beim Treibstoffverbrauch führt.

Partnerschaften

Die grüne Transformation können Unternehmen jedoch nicht allein schaffen. Die Industrie, der Energiebereich und die Politik müssen Hand in Hand partnerschaftlich zusammenarbeiten, um die Ziele der Dekarbonisierung zu erreichen. Strategische Kooperationen sind wichtig, damit die Bereitschaft und Verpflichtung zur Reduktion der CO2-Emissionen – die vielerorts durchaus gegeben sind – in konkrete Investitionen münden und zur Anwendung kommen.

Immer mehr Unternehmen erkennen das und starten clevere Kooperationen. In diesem Sinne hat sich auch Orcan Energy Partner für einen großflächigen Einsatz und damit die bestmögliche Wirkung seiner Effizienz-Lösungen gesucht.

Im marinen Bereich hat sich das Münchner Unternehmen mit dem Technologielösungsanbieter Alfa Laval zusammengeschlossen. Seit 2021 bietet Alfa Laval Orcan Energys Lösungen unter eigenem Namen als Teil eines umfassenden Portfolios an Schiffsausrüstungen an. Mit weltweit rund 17 500 Mitarbeitenden und einem Weltmarktanteil von mehr als 30 % im Bereich der Wärmeübertragung, hat Alfa Laval exzellenten Zugang zu großen Reedereien weltweit. Darüber hinaus profitieren die Kundschaft von den weltweit 140 Servicepunkten von Alfa Laval, falls doch mal etwas sein sollte.

Foto: E.ON

Im Bereich Industrie hat sich Orcan Energy mit dem Essener Unternehmen E.on Energy Infrastructure Solutions (E.on EIS) zusammengeschlossen. Gemeinsam bieten sie maßgeschneiderte Dekarbonisierungslösungen wie in diesem Fall die ORC-Technologie als Paket an. Durch die Abwärmelösung wird kostengünstiger CO2-freier Strom für die Kundschaft gewonnen. Dabei übernimmt E.on EIS alle Aufgaben von der Planung über die Installation bis hin zur Betriebsführung und Wartung der Anlage. Mit diesem Rundum-Sorglosangebot begleitet E.on EIS seine Kundschaft partnerschaftlich auf ihrer Reise Richtung Klimaneutralität und zeigt, dass Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Unternehmenserfolg zusammen möglich sind.

Erklärtes Ziel ist, es Unternehmen wie auch Schiffsbetreibern so einfach wie möglich zu machen, Abwärmenutzung als festen Bestandteil in ihrer Dekarbonisierungsstrategie aufzunehmen und ihre Ökobilanz damit messbar zu verbessern.

Fazit

Der Wille zum Wandel ist da und bewährte, verlässliche Technologien für einen vielfältigen Einsatz von Abwärmelösungen sind vorhanden. Dennoch erfolgt deren Einsatz – gemessen an dem volkswirtschaftlichen Nutzen – noch zu wenig. Um das zu ändern, sind vor allem sinnvolle Rahmenbedingungen und gezielte Anreize seitens der Politik gefragt. Die neue Bundesregierung hat jetzt die Chance, den Klimaschutz und die Abwärmenutzung in Deutschland entscheidend voranzubringen. 

www.orcan-energy.com

Von Andreas Sichert

Andreas Sichert
Gründer & Vorstand Orcan Energy AG
info@orcan-energy.com
Foto: Orcan Energy