Kohlendioxid speichern
Über das Abscheiden und Speichern von CO2 wird in Deutschland neu diskutiert. Ohne dies „Carbon Capture and Storage“ (CCS) als Brückentechnologie scheinen die Klimaziele 2050 nicht erreichbar zu sein.

Der Kopf einer Probebohrung zur CO2-Injektion am Pilotstandort in Ketzin, Brandenburg, 40 km westlich von Berlin. Dies Pilotprojekt haben Mitarbeiter des GeoForschungsZentrums in Potsdam durchgeführt. Bild: BGR
Bis zu 95 Prozent weniger Kohlendioxid (CO2) will Deutschland 2050 emittieren als 1990. Auch von Klimaneutralität ist die Rede. Über die Wege dorthin wird diskutiert – auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie sagte im Mai auf einer Pressekonferenz in Berlin, „dass das Thema CCS, das in Deutschland ein sehr kontroverses Thema ist, in unserer Gesellschaft diskutiert werden muss genauso wie das Thema der Wiederaufforstung, damit wir 2050 die Klimaneutralität erreichen können, und das ist etwas, was ich mir wünsche“.
Auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze sprach sich dafür aus, die Chancen von CCS für den Klimaschutz neu zu bewerten.
Politik hat sich weiterentwickelt
Damit startet die Debatte um das Abscheiden und unterirdische Speichern von klimaschädlichem CO2 erneut. Doch was hat sich gegenüber 2008 bis 2012, in denen Pläne zum Einsatz des CCS heftige Diskussionen ausgelöst haben, geändert? Vier Unterschiede:
- Die Debatten kreisten darum, die Verstromung von Kohle klimaneutral zu machen. Der zusätzliche Energieaufwand wird aber mit 30 Prozent abgeschätzt, entsprechend mehr Kohle müsste gebaggert, eingeführt und verfeuert werden. Seit vor wenigen Monaten die Kohlekommission vorschlagen hat, bis 2038 aus der Kohleverstromung auszusteigen, denkt niemand mehr ernsthaft an Investitionen für diesen Bereich.
- Der Ausbau der erneuerbaren Energien kommt schneller voran, als vermutet.
- Deutschland hat zugesagt, die 2015 vereinbarten Ziele des Klimaschutzabkommens von Paris zu erreichen und seine Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Das Einhalten der Ziele ist laut Prognosen der Klimarats IPCC wichtig, um die Erderwärmung bis Ende dieses Jahrhunderts auf unter 2 °C zu begrenzen. Mehr Anstrengungen sind nötig, um die Erwärmung bei 1,5 °C zu stabilisieren, und um das Ziel, netto Null Emissionen bis 2050, zu schaffen.
- Zudem hat das Thema Klimaschutz jüngst eine nie dagewesene Aufmerksamkeit bekommen – getriggert durch den freitäglichen Schulstreik der 16-jährigen Greta Thunberg, mittlerweile verstärkt durch Bewegungen wie „Fridays for Future“, „Scientists for Future“.
CO2 aus Punktquellen speichern
Die neue Debatte geht um die Frage, ob Deutschland CCS einsetzen sollte, um seine Klimaschutzziele zu erreichen. Dabei gilt es zu klären, aus welchen Quellen das für eine Speicherung vorgesehene CO2 stammen soll, um welche Mengen es sich handelt, wie Abscheidung und Transport des Gases erfolgen sollen und letztlich, welche Speicherorte vorzugsweise infrage kommen. Große Mengen CO2 lassen sich mit vertretbarem Aufwand nur von Punktquellen abscheiden, vor allem von Anlagen mit Emissionen von mehr als 100.000 t CO2 pro Jahr. Das trifft CO2-intensive Industriebranchen wie Eisen- und Stahlhersteller, Bereiche der chemischen Industrie sowie Zement- und Klinkerwerke. 2016 emittierte Deutschland rund 909 Mio. t CO2-Äquivalente. Davon stammten 188 Mio. t aus der Industrie – ohne Emissionen, die aus der Erstellung fremdbezogener Strommengen stammen (weil sie den Kraftwerksbetreibern zugeschrieben werden). Von diesen 188 Mio. t entfielen gut zwei Drittel auf Emissionen selbsterzeugter Wärme- und Kraftwerksleistungen, der Rest, 61 Mio. t, waren prozessbedingte Emissionen. Dieser letzte Anteil lässt sich durch Elektrifizierung mittels erneuerbarer Energien oder Substitution von Materialien und Prozessen kaum senken.
50 Mio. t CO2 speichern
Will Deutschland bis 2050 weitgehend treibhausgasneutral sein und gleichzeitig seine CO2-intensiven Industrien erhalten, müssen für jährlich 50 bis 60 Mio. t CO2-Emissionen klimaneutrale Wege gefunden werden. Hierfür bietet sich CCS an. Angesichts der insgesamt bis 2050 einzusparenden jährlichen Emissionsmengen mögen 50 Mio. t wenig erscheinen. Der dafür erforderliche Aufwand ist dennoch beträchtlich. Schon der Transport von 10 Mio. t CO2 erfordert den Laderaum von 500.000 Tanklastwagen oder 10.000 Güterzügen. Fallen die CO2-Mengen über Jahrzehnte an, lohnt sich der Bau von Pipelines. Und über Jahrzehnte hinweg sind die kumulativ eingesparten Emissionen alles andere als Peanuts. Fachleute sind sich darin einig, dass sich CO2 im tiefen geologischen Untergrund bei Einhaltung bergbehördlicher Auflagen sicher dauerhaft einlagern lässt. Poröse Sandsteinformationen in Tiefen von 1.000 bis 3.000 m, in denen zuvor natürliches Erdgas eingeschlossen war oder in denen sich extrem salzhaltige Wässer befinden, scheinen hierfür besonders geeignet. Mächtige undurchlässige Gesteinsschichten im Deckgebirge verhindern jeweils eine Migration des CO2 nach oben. Und es gibt Erfahrungen: Die Öl- und Gasindustrie betreibt in Deutschland 20 unterirdische großvolumige Porenspeicher, um saisonale Schwankungen in der Nachfrage nach Erdgas abzupuffern. Weltweit werden etwa 600 solcher Porenspeicher routinemäßig betrieben. Es gibt Speicherplatz: Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) weist für den on-shore Bereich Deutschlands ein Speicherpotenzial von 2,75 Mrd. t CO2 in ausgeförderten Erdgasfeldern aus und 6,4 Mrd. t in Sandsteinen, die mit salinaren Wässern geflutet sind. Im off-shore-Bereich der deutschen Nordsee beträgt das Speicherpotenzial 2,9 Mrd. t. Dies reicht aus, um über einen Zeitraum von 240 Jahren jährlich 50 Mio. t CO2 im Untergrund zu speichern. Gelingt es, durch Abkommen mit Anrainerstaaten der Nordsee und der Norwegischen See, ein Zehntel des diesen Ländern verfügbaren Speicherpotenzials (insgesamt etwa 200 Mrd. t) zu nutzen, verlängert sich der mögliche Speicherungszeitraum um 400 Jahre. Norwegen hat bereits entsprechende Bereitschaft signalisiert.
Erste Planungen
Großbritannien und die Niederlande verfolgen für das kommende Jahrzehnt ehrgeizige CCS-Pläne. Norwegen verbringt seit den 1990er Jahren jährlich zwischen 1 und 2 Mio. t CO2 (das mit der Erdgasproduktion gefördert wird) zurück in den marinen Untergrund und ist dabei, seine CCS-Anwendungen für den Industriesektor zu erweitern. Und Deutschland? Hier setzt das 2012 verabschiedete Kohlendioxidspeicherungsgesetz (KSpG) keine Anreize für CCS, sondern wirkt prohibitiv. Ausstiegsklauseln erlauben es Bundesländern, eine CO2-Speicherung selbst bei Einhaltung höchster Sicherheitsvorgaben in ihren Landesgrenzen auszuschließen. Derzeit ist daher bei uns keine CCS-Maßnahme in Planung.
Klimarat setzt auf CCS
Andererseits hält der letzte Bericht des Weltklimarates IPCC den großskaligen Einsatz von CCS für unvermeidbar, um die gebotenen Klimaschutzziele zu erreichen. Als Option für die zweite Jahrhunderthälfte werden überdies negative Emissionen mithilfe von CCS für notwendig erachtet, durch Speicherung von CO2, das aus der Verbrennung von Biomasse abgeschieden oder energieaufwändig direkt aus der Atmosphäre ausgefiltert wird. Ein weiteres kategorisches Festhalten Deutschlands am Verzicht auf CCS kann sich als Pyrrhussieg für den Klimaschutz erweisen. Es bleibt die Frage, warum CCS in Deutschland bisher nicht angewandt wird und was hierzulande die eigentlichen Barrieren für diese auch international schwer verstandene Verweigerung sind. Als Kernproblem erweist sich die Akzeptanzfrage in breiten Teilen der Bevölkerung. Hier lohnt sich ein näherer Blick, wie es dazu gekommen ist. Im Zuge der teils kampagnenartig geführten Anti-CCS-Aktionen von Umweltverbänden zwischen 2008 und 2012 wurden neben ernsthaft vorgetragenen Sorgen auch weit überzogene bis geradezu absurde Assoziationen geweckt. So wurden etwa Parallelen zur Endlagerung von Atommüll hergestellt und auf die Tragödie am Nyos-See verwiesen, wo 1986 im Nordwesten Kameruns durch explosionsartig freigesetztes CO2 vulkanischen Ursprungs 1700 Menschen ums Leben kamen.
Umweltverbände differenzieren
Andere Verbände wie WWF Deutschland und Germanwatch, Greenpeace Niederlande und Greenpeace Norwegen sehen die CO2-Speicherung differenzierter. Sie erkennen dessen Bedeutung an, vorausgesetzt, Möglichkeiten zur Vermeidung von CO2-Freisetzung oder Wiederverwertung von CO2 wurden zuvor ausgeschöpft. Die nun anstehende neuerliche Debatte um den Einsatz von CCS muss bei den fehlgeschürten Ängsten und gemeinhin vermuteten Risiken dieser Technologie ansetzen. Sie muss Tatsachen und Gründe aufzeigen, warum eine geologische Speicherung von CO2 gefahrlos ist und durch Bergbehörden nur genehmigt werden darf, wenn praktisch jeglicher Schadensfall nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen ist. Sie muss in Erinnerung rufen, dass CO2 kein Gift ist.
Rohstoff CO2
Die Diskussion sollte auch aufzeigen, warum im Untergrund gespeichertes CO2 eine Ressource ist, die im Bedarfsfall als Rohstoff wieder rückgefördert werden kann, etwa um Pflanzen- und Algenwachstum zu unterstützen. Ein solches Vorhaben ist in den Niederlanden bereits realisiert. Eine erneute Debatte um CCS wird auch zu klären haben, ob eine CO2-Speicherung vorrangig untermeerisch erfolgen soll, selbst wenn es sicherheitstechnisch keinen Grund dafür gibt und die Kosten hierdurch höher sein würden als eine Speicherung an Land. Last but not least geht es auch noch um etwas Menschliches: den damaligen Gegnern von CCS, Aktivisten wie politisch Verantwortlichen, zu erleichtern, eine Neubewertung vorzunehmen, was nicht immer einfach sein mag. Frühere Fehl- und Falschaussagen sind vielfach dokumentiert, ihre Revision könnte die Glaubwürdigkeit der Autoren infrage stellen. Die Sprecherder Bewegung „Fridays for Future“ sollten zudem nicht ausblenden, dass nicht nur der menschlich gemachte Anteil am Klimawandel seitens der Wissenschaft einhellig bewertet wird, sondern auch die Option, CCS als sichere und notwendige Brückentechnologie einzusetzen, um seine Auswirkungen zu dämpfen. Nicht auszuschließen, dass erst eine Stellungnahme von Greta ein Umdenken bewirkt.
Hans-Joachim Kümpel, Prof. Dr., Präsident der BGR a.D., Mitglied von acatech, hjkl@mail.de