Starthilfe für nachhaltige Chemie
Das Internationale Kompetenzzentrum für nachhaltige Chemie (ISC3) in Bonn fördert weltweit Gründer in der Frühphase der Unternehmensentwicklung wie etablierte Start-Ups. Ansprechpartner hiefür ist die ISC3-Außenstelle bei der Dechema in Frankfurt.

Biokohle, hergestellt aus Biomasseabfällen des Purgierstrauches von „Andes Bioenergy“ aus Ecuador. Bild: Andes Bioenergy
Die Chemie liefert eine Vielzahl von Substanzen und Materialien, welche die Grundlage fast aller Produkte des Alltags bilden. Ihr kommt damit eine zentrale Rolle auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft zu. Hierzu muss jedoch die Chemie selbst in ihrer Rohstoffbasis, ihren Produktionsprozessen aber auch in den für die zahllosen Anwendungen hergestellten Produkten eine Transformation in Richtung Nachhaltigkeit vollziehen. Der jüngst veröffentlichte zweite Global Chemicals Outlook (GCO 2) des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) benennt Innovationen in grüner und nachhaltiger Chemie als wichtigen Lösungsansatz (siehe auch UmweltMagazin .)
Das Kompetenzzentrum ISC3 (International Sustainable Chemistry Collaborative Centre) will hier helfen. Das Bundesumweltministerium hat es 2018 gegründet, um die Transformation der Chemie weltweit in Richtung Nachhaltigkeit voranzutreiben. Durch koordinierte Aktivitäten in den fünf Feldern Innovation, Dialog und Kooperation (Collaboration), Bildung, Information sowie Forschung will das Kompetenzzentrum dazu beitragen, die globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (UN, United Nations) – die SDGs (Sustainable Development Goals) – zu erreichen. Es will so einen Beitrag zu einer nachhaltigen internationalen Chemikalienpolitik leisten.
Das neue Zentrum ist in der Nähe des UN-Campus in Bonn angesiedelt und verfügt über zwei Außenstellen in Deutschland: den „Research & Education Hub“ an der Leuphana Universität in Lüneburg und den „Innovation Hub“ bei der Deutschen Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie (Dechema) in Frankfurt. Zudem hat das ISC3 für Nordamerika eine regionale Außenstelle an der Universität Massachusetts Lowell in den USA. Weitere solcher „Hubs“ sind derzeit im Aufbau.
Das Zentrum kooperiert intensiv mit internationalen Organisationen wie dem Umweltprogramm der UN (UNEP) und dem Weltwirtschaftsforum WEF (World Economic Forum). Es half auch UNEP, den zweiten Global Chemicals Outlook (GCO 2) zu erstellen. Dieser weltweite Zustandsbericht der Chemikalienherstellung, -verwendung und -belastung beleuchtet die Möglichkeiten der Transformation hin zu einer nachhaltigen Chemie Das erste ISC3 Stakeholder Forum im Juni 2019 hat internationale Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammengebracht, um gemeinsam daran zu arbeiten, das Thema Nachhaltigkeit in der Chemie zu verankern.
Start-ups wesentliche Treiber
Ein Schwerpunkt des ISC3 ist die weltweite Förderung von innovativen Lösungen und Start-ups durch den „ISC3-Innovation Hub“ in Frankfurt. Dessen Leiter, Andreas Förster, ist überzeugt, dass Start-ups einen ganz wesentlichen Beitrag zur positiven Veränderung des Chemiesektors leisten können. „Wir brauchen einen Innovationsschub durch Gründerinnen und Gründer, die etwas bewegen und verändern wollen. Und wir brauchen für diese Innovatoren Rahmenbedingungen, die helfen nachhaltige Lösungen an den Markt zu bringen. Nur so können sie ihre Visionen und Ideen erfolgreich verwirklichen.“ Trotz verschiedenster nationaler und sektoraler Initiativen gibt es bislang kein funktionierendes globales Unterstützungsprogramm, das sich explizit für die Belange von Gründern auf dem Gebiet der Nachhaltigen Chemie einsetzt.
Um diese Lücke zu schließen, hat das Innovation Hub im Dezember 2018 den „ISC3-Global Start-Up Service“ (GSS) ins Leben gerufen. Dieser unterstützt Start-ups bei den speziellen Herausforderungen in der Chemiebranche: beim Zugang zu Laboren und Geräten, bei der Suche nach Partnern und Kunden in der Finanzierung und der Vermarktung nachhaltiger Lösungsansätze. Mit dem globalen Ansatz und der konsequenten Ausrichtung auf nachhaltige Chemie unterscheidet sich der GSS deutlich von anderen bereits etablierten Unterstützungsmaßnahmen für Start-Ups.
Der Innovation Hub nutzt diesen Service auch, um innovative Firmen mit Finanzgebern zu vernetzen. So findet seit 2018 jährlich ein „ISC3-Investor Forum“ statt: 2018 erstmalig, in Frankfurt, mit mehr als 120 internationalen Investoren, Innovatoren und Industrievertretern aus der Kunststoffindustrie/Kreislaufwirtschaft. Die zweite Veranstaltung am 6. Dezember 2019 wiederum in Frankfurt am Main wird ein breites Themenspektrum umfassen.
„Biokohle“ aus Bioabfall
Der Pool des Global Start-up Services umfasst bereits 50 Start-ups aus 22 Ländern. Dazu zählt das Start up-Unternehmen „Andes Bioenergy“ von Mario Heredia Salgado aus Ecuador. Der Ingenieur schuf auf Grundlage seiner wissenschaftlichen Arbeit ein neues Verfahren, um „Biokohle“ aus Biomasseabfällen von Landwirten herzustellen. Die für die Produktion benötigte Energie stammt dabei aus dem gleichen Prozess. Diese Biokohle können Landwirte zur Bodenverbesserung nutzen, um ihren Ernteertrag zu erhöhen. Auch degradierte Flächen lassen sich damit wiederherzustellen. Salgado hat bereits die grundsätzliche technische Machbarkeit des Verfahrens nachgewiesen. In Ecuador hat er zudem mit lokalen und internationalen Partnern ein Pilotprojekt erfolgreich durchgeführt. Der ISC3-Innovation Hub hat das Start-up in seinen „Customized Start-up Service“ aufgenommen, durch den das Start-up in seiner weiteren Entwicklung durch Außendarstellung, Coaching, Vermittlung von Partnern und anderen Serviceleistungen unterstützt wird.
Neben dieser individueller Förderung erhielt der noch an der Universität von Aveiro in Portugal promovierende Wissenschaftler eine gemeinsame Auszeichnung des ISC3 und der Elsevier Foundation: den Preis für „Entrepreneurial Spirit in Green & Sustainable Chemistry“. Die Innovation überzeugte die Jury, weil das Konzept mehrere nachhaltige technische Ansätze aus den Bereichen Abfallwirtschaft, Erzeugung erneuerbarer Energien und Nutzung von biogenen Quellen umfasst.
Auch Evoware aus Indonesien ist ein Start-up, das durch das ISC3-Innovation Hub unterstützt wird. Das kleine Unternehmen stellt ein biologisch abbaubares Verpackungsmaterial aus Seegras als natürlichem Rohstoff her. Das Material kann herkömmliche Plastikmaterialien ersetzen und ist sogar essbar und nährstoffreich und somit vielseitig für Lebensmittelverpackungen einsetzbar. Evoware hat bereits zahlreiche Preise erhalten und hat auf Einladung des ISC3-Innovation Hubs an der Innovationsausstellung des Zentrums im Rahmen der Achema 2018 ausgestellt.
Nicht nur das. Das ISC3 hat in diesem Jahr erstmalig den ISC3-Innovationspreis für Start-ups ausgeschrieben. Dieser wird jedes Jahr wechselnde Fokusthemen haben. Der für diese erste Ausschreibung liegt auf nachhaltigem Bauen und Wohnen. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert und wird im Mai 2020 im Rahmen der Sustainable Chemistry Week in Bonn verliehen, einer zentralen Veranstaltung des ISC3.
Auch will das Kompetenzzentrum weltweit Kooperationen mit Partnern nach dem Motto „think global, act local“ aufbauen. Erste solcher Partnerschaften gibt es mit Institutionen und Organisationen aus Indien, Uruguay, Ägypten und den USA. Ein solcher Partner ist Think Beyond Plastic, eine Denkfabrik aus den USA, die sich nachhaltigen Lösungen für die so genannte „New Plastics Economy“ widmet.
Die konkrete Förderung und Vernetzung von Start-ups, die mit ihren Ideen und Innovationen einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten möchten, bleibt dabei das zentrale Element Aktivitäten des Innovation Hub. Zudem gehören Studierende, Forschende und Menschen aus der Praxis mit innovativen Ideen zur Zielgruppe des GSS. „Das wichtigste Kriterium bei der Beurteilung der Start-ups ist die Wertigkeit der Idee und ihr nachhaltiger Impact“, so Förster. Ein besonderer Schwerpunkt des Global Start-up Services liegt auf der Förderung von UnternehmerInnen aus Entwicklungs- und Schwellenländern, denn hier wird die größte Hebelwirkung für nachhaltige Lösungen gesehen – auch in Anbetracht der Verlagerung von Produktion und Konsum von chemischen Produkten und Prozessen in den globalen Osten und Süden.
Nils Decker, Innovationsmanager am ISC3-Innovation Hub, nils.decker@dechema.de Alexis Bazzarella, Co-Direktor des ISC3-Innovation Hubs, alexis.bazzanella@dechema.de