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Elektrochemisches Verfahren 07.11.2022, 07:00 Uhr

Kunststoff-Recycling: Dioxine vermeiden – Halogene zurückgewinnen

Weltweit wachen die Müllberge mit halogenhaltigen Kunststoffen stark an. Verbrennen oder deponieren ist keine Lösung, doch elektrochemische Verfahren könnten endlich zu geschlossenen Stoffkreisläufen führen.

Kunststoffmüll

Halogenhaltige Bestandteile in Kunststoffabfällen waren bisher problematisch. Ein neues, elektrochemisches Recyclingverfahren könnte die Aufarbeitung verbessern.

Foto: Panthermedia.net/photkas

Halogenverbindungen sind in einer Vielzahl von Alltagsprodukten enthalten. Polyvinylchlorid (PVC) zum Beispiel wird in verschiedenen Baumaterialien verwendet, während Polytetrafluroethylen (PTFE, Teflon) für Antihaftbeschichtungen oder in Batterien zum Einsatz kommt. Die Produktionsmengen liegen weltweit in einer Größenordnung von mehr als 1,6 Millionen Tonnen (PVC) beziehungsweise mehr als 140.000 Tonnen (PTFE), Tendenz steigend.

Die Abfallmengen werden zunehmend problematisch. In vielen Fällen ist es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, Alternativen zu diesen Stoffen zu finden, da sie oft einzigartige chemische Eigenschaften haben. Erschwerend kommt hinzu, dass Halogene, sprich Fluor, Chlor, Brom und Jod, immer teurer werden. Nicht selten gehen bekannte Ressourcen zur Neige; die Suche nach neuen Abbaugebieten gestaltet sich schwierig – von Gefahren für Mensch und Umwelt vor Ort ganz zu schweigen. Bislang war es kaum möglich, halogenhaltige Kunststoffe zu recyceln; der Energieaufwand ist immens.

„In unserem neuen Projekt Halocycles gehen wir einen ganz anderen Weg“, sagt Siegfried Waldvogel vom Fachbereich Chemie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. „Unsere Idee ist es, mit einem elektrochemischen Verfahren die Halogene zu gewinnen, ohne die Kohlenstoffstrukturen zu verbrennen. So vermeiden wir auch die Bildung von Dioxinen.“ Die Ergebnisse seien dann die Grundlage für eine Kreislaufwirtschaft von Halogenen.

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Warum halogenhaltige Kunststoffe schwierig zu recyceln sind

Zum Hintergrund: Recycling-Verfahren halogenhaltiger Abfälle sind technisch aufwändig. Bestenfalls müssen Halogene aus den Rauchgasen zurückgewonnen werden, die bei der Verbrennung der entsprechenden Abfälle entstehen, was große Mengen an Energie erfordert. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Halogenverbindungen auch in Flammschutzmitteln verwendet werden, sodass der Verbrennungsprozess durch zusätzliches Gas oder Öl unterstützt werden muss. Dies führt zum Zerfall der Kohlenstoffstrukturen der Moleküle und damit zur Freisetzung großer Mengen von Kohlendioxid: keine wirklichen Alternativen.

Ein neues, innovatives Recycling-Verfahren mit elektrischem Strom

In ihrem Projekt Halocycles (Halogenkreisläufe als wichtige Beiträge zur Stabilisierung des Stromnetzes und zur Defossilierung der zukünftigen industriellen Gesellschaft) schlagen die Forschenden eine komplett neue Richtung ein. Sie arbeiten nämlich nicht mit thermischer Energie, sondern mit einem elektrochemischen Verfahren. Durch den elektrischen Strom werden Halogenatome reduziert. Dabei entstehen Halogenid-Anionen oder halogenorganische Moleküle, die sich gut abtrennen lassen.

Anders als bei der thermischen Verwertung bleibt das Kohlenstoff-Grundgerüst erhalten. Das bedeutet, Kohlendioxid-Emissionen spielen keine Rolle. Gleichzeitig entstehen wertvolle Synthesechemikalien. Aufgrund der Prozessgestaltung besteht auch nicht die Gefahr, dass sich giftige Dioxine bilden. Die Forschenden setzen auf Strom aus erneuerbaren Ressourcen, sprich aus Windkraft, Wasserkraft oder aus Solarenergie. Sie planen, ihren Prozess so flexibel zu gestalten, dass sich Stromüberschüsse aus dem Netz verwenden lassen.

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Umfassende Förderung des Projekts

Ziel von Halocycles ist nun, elektrochemische Verfahren zu entwickeln, die sich für den Praxiseinsatz eignen. Dafür erhalten die Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Technischen Universität Kaiserslautern von der Carl-Zeiss-Stiftung rund vier Millionen Euro in den nächsten sechs Jahren: eine Förderung im Rahmen des Programms „CZS Durchbrüche“.

Die Alternative: Aufbereitung mit Mikrowellen oder mit thermischer Energie

Dennoch gibt es bereits Möglichkeiten zur Aufbereitung von Kunststoffe. Forscherinnen und Forschern der Universität Bayreuth ist es gelungen, PTFE in seine Bestandteile, die Monomere zu zerlegen. Diese sogenannte Depolymerisation läuft im Wirbelschichtprozess ab. Fluorpolymere werden mit Mikrowellen kurzfristig stark erhitzt. Dabei zerfallen sie in kleinere Einheiten, die Monomere, speziell Tetrafluorethylen und Hexafluorpropen. Bis zu 93% dieser gasförmigen Bestandteile konnten auf diesem Wege abgetrennt und zurückgewonnen werden.

Beim chemischen Recycling von PVC wiederum erzeugt man aus dem Altkunststoffen der Kohlenwasserstoffe Pyrolyseöl oder Synthesegas. Der Chlorwasserstoff aus der Pyrolyse kann zum Beispiel wieder in die PVC-Produktion zurückgeführt werden. Beide Verfahren sind optimierbar; in Zukunft hoffen Ingenieurinnen und Ingenieure, mit der elektrochemischen Aufarbeitung das Recycling von PTFE oder PVC zu optimieren.

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Von Michael van den Heuvel