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Nachhaltigkeit 11.04.2022, 07:00 Uhr

Das Remanufacturing alter Fahrzeug-Bauteile optimieren – mit künstlicher Intelligenz

So manches intakte Bauteil aus Auto landet unerkannt am Schrottplatz, obwohl ein Remanufacturing möglich wäre. Fraunhofer-Forschende zeigen jetzt, wie sich die Sortierung verbessern lässt.

Schrottplatz

So manches Bauteil ist zu schade für den Schrottplatz. Künstliche Intelligenz hilft, das Remanufacturing zu optimieren.

Foto: panthermedia.net/joshuarainey

Jahr für Jahr werden unzählige Bauteile aus Altfahrzeugen entsorgt, obwohl sie eigentlich noch verwendbar wären. Dazu gehören beispielsweise Anlasser, Klimakompressoren, Lichtmaschine oder ähnliche Module. Aus ihnen werden bestenfalls nur die Metalle zurückgewonnen. Nachhaltig ist der Ansatz nicht, geht es doch darum, den Kohlendioxid-Fußabdruck der Industrie möglichst zu verringern.

Ingenieurinnen und Ingenieure am Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK haben jetzt eine Strategie entwickelt, um Altteile ohne QR- oder Barcodes teil-automatisiert zu erkennen und zu sortieren. Sie arbeiten mit einer Anwendung der künstlichen Intelligenz (KI). Ziel ist, Mitarbeitende bei der Sortierung zu unterstützen, um das Remanufacturing effizienter zu machen: ein weiterer Beitrag, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Altteile werden aufbereitet und nach Möglichkeit wieder verwendet.

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Status quo: Wenig effizientes Sortieren erschwert das Remanufacturing

Die Idee, Teile auszusortieren und einem Remanufacturing zuzuführen, ist nicht neu. Bisherige Ansätze erweisen sich jedoch als wenig praxistauglich. Denn der erste Schritt ist mit hohen Fehlerquoten versehen. Angestellte eines Sortierzentrum sollten unter Zeitdruck bestimmte Teile erkennen und aussortieren können. Nur lassen sich etliche Module aufgrund von Verschmutzung oder Verschleiß kaum manuell identifizieren. Oft sind auch Teilenummern nicht mehr lesbar, zerkratzt, überlackiert oder Typenschilder fehlen ganz. Das bedeutet: Mitarbeitende sortieren brauchbare Komponenten fälschlicherweise aus. Ziel des jetzt entwickelten Assistenzsystems ist es, genau diesen Schritt zu optimieren.

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Mit künstlicher Intelligenz das Remanufacturing optimieren

Ein Blick auf Details der neuen Strategie: Bauteile kommen wie bislang auch einzeln im Sortierbetrieb an. Sie werden anschließend jedoch von allen Seiten fotografiert. Hier geht es darum, anhand des Gehäuses und möglicherweise vorhandener Etiketten oder Schilder, die Produktgruppe zu erkennen. Durch diesen vorgelagerten Schritt verringert sich der sogenannte Suchraum von eins zu 120.000 auf eins zu 5.000. Als Suchraum versteht man die Menge, die nach einem Objekt durchsucht werden soll.

Wurde dieser Teilschritt erfolgreich abgeschlossen, geht es zur nächsten Station. Dort wiegt das System jedes Bauteil: ein weiterer Anhaltspunkt zur Identifizierung. Anschließend werden Fotos mit 3D-Stereokameras angefertigt. Hinzu kommen Daten wie die Herkunft, das Datum und der Ort des jeweiligen Moduls. Sie werden allesamt von zwei Systemen der künstlichen Intelligenz parallel verarbeitet, um sie zu identifizieren.

Ein KI-System wurde für die Bildverarbeitung trainiert, das zweite für Geschäftsdaten. Zur Bildanalyse griffen die Forscherinnen und Forscher auf Convolutional Neural Networks zurück. Algorithmen extrahieren wichtige Merkmale aus den Bilddaten. Die KI wird in den laufenden Betrieb integriert, und der Arbeitsvorgang wird nicht gestört. Als Ergebnis erhalten Mitarbeitende eine Vorschlagsliste mit Vorschaubild und Teilenummern. Sie selbst treffen letztendlich die Auswahl, erhalten aber keine zusätzlichen Aufgaben.

Den Kohlendioxid-Fußabdruck mit Remanufacturing verringern

Noch ein Blick auf Zahlen. Als Projektpartner sind die Circular Economy Solutions GmbH, die Technische Universität Berlin und die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften acatech mit im Boot. Circular Economy Solutions verarbeitet pro Jahr rund eine Million Altteile. Mit der normalen Sichtung werden zwischen 5% und 7% nicht erkannt, das sind bis zu 70.000 Stück. Die neue Technologie kommt auf eine Wiedererkennungsgenauigkeit von rund 98,9%. Sprich: 67.200 mehr Altteile können im Vergleich zur manuellen Sichtung dem Remanufacturing zugeführt werden.

Auch die Energiebilanz wurde im Rahmen des Projekts kritisch betrachtet. Schließlich benötigen die Computer, die Kameras und sonstige Geräte ebenfalls Energie. Lohnt sich also das neue System beim Remanufacturing? „Dies können wir eindeutig bejahen, das Einsparpotenzial von CO2-Äquivalenten ist hoch, demgegenüber ist der Energiebedarf der KI zu vernachlässigen“, schreiben die Forschenden. „Nach unseren Hochrechnungen rentiert sich das KI-System, wenn man die CO2-Äquivalente betrachtet, spätestens nach einer Woche.“

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Von Michael van den Heuvel