Neue Sensortechnik für Verpackungsprozesse
Die Industrie nutzt hauptsächlich Wärmekontaktverfahren um Kunststoffverpackungen zu verschließen. Dünne Folien, hohe Taktzeiten sowie komplexe Packungsgeometrien bringen das Verfahren jedoch an seine Grenzen: ungewolltes Einsiegeln von Füllgut oder undichte Packungen können die Folge sein. Die Fraunhofer-Institute für Werkstoffmechanik IWM und für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV nutzen neuartige Dünnschichtsensoren direkt auf den Siegelschienenoberflächen für eine schnelle inline Qualitätsprüfung der Siegelnaht. Dadurch können die Hersteller Ausschuss oder undichte Packungen bei Kunden künftig vermeiden und eine packungsindividuelle Rückverfolgung der Siegelparameter gewährleisten.

Bild 1: Beispiele für undichte oder optisch mangelhafte Packungen: Kontaminationen durch Füllgut in der Siegelnaht eines Seitenfaltenbeutels (oben) und Falten in der Naht eines Beutels (unten): Bild: Fraunhofer-Institute IWM/IVV
Herausforderungen in der Prozessführung
Pro Jahr werden weltweit rund eine Billion Folienverpackungen für Nahrungsmittel, Kosmetik-, Pharma-, und Technikprodukte produziert [1]. Neun von zehn dieser Verpackungen werden mit dem Wärmekontaktverfahren, auch Heißsiegeln genannt, hergestellt [2]. Dauerbeheizte Werkzeuge schmelzen dabei die thermoplastischen Folienlagen auf und verbinden diese. Die Sicherheit und Qualität der Naht hängt dabei besonders von der exakten, schnellen Erfassung der Siegeltemperatur ab. Bisher wird die Siegeltemperatur mit klassischen Sensoren wie Pt100-Temperaturfühlern gemessen. Diese sind zumeist nur punktuell und wirkstellenfern einige Millimeter oder gar Zentimeter von der eigentlichen Fügezone entfernt angeordnet. Zudem reagieren sie nur sehr träge auf Veränderungen – bezogen auf Taktzahlen, wie sie aktuell in Hochgeschwindigkeitsprozessen gefordert werden. Dies führt dazu, dass Abweichungen von den Sollwerten oft erst spät erkannt werden und ein Gegensteuern in der Regel zu spät erfolgt. So werden ungewollt größere Ausschussmengen durch mangelhaft verschlossene Packungseinheiten gefertigt (Bild 1 unten).
Neben diesen Schwierigkeiten treten in der Fertigung noch weitere Probleme durch das Einsiegeln von Füllgut auf, welche zu undichten Nähten führen können (Bild 1 oben). Um unzureichend verschlossene oder optisch mangelhafte Verpackungseinheiten aussortieren zu können, werden die Verpackungen und insbesondere deren Fügenähte in einem separaten Prozessschritt manuell oder automatisiert geprüft. Diese Prüfung ist physikalisch bedingt meist nur als Sammelpackungsprüfung in Form einer teuren nachgeschalteten Kontrolleinheit oder stichprobenartig mit vergleichsweise groben Messmethoden realisierbar. Mögliche Methoden hierfür sind beispielsweise der Wasserbad- beziehungsweise Exsikkatortest oder mechanische Prüfungen. Andere Methoden wie eine Druckabfallprüfung, wasserstoffbasierte Dichtheitsprüfung oder dergleichen sind ebenfalls zeitaufwendig und nur bedingt inlinetauglich. Sie erfordern spezifisches Know-how und sind daher wenig produktionstauglich [3].
Durch die Limitationen verfügbarer Prüfmethoden können Prozessab- weichungen und ihre Ursachen erst zeitversetzt identifiziert werden – bis dahin ist bereits eine große Menge undichter Packungen produziert. Diese müssen samt Inhalt entsorgt werden oder finden – im ungünstigsten Fall – den Weg zum Verbraucher, was neben den damit verbundenen gesundheit- lichen Risiken auch immer einen Imageschaden für den Hersteller bedeutet.
Innovative Inlinekontrolle mit Dünnschichtsensorik
Aus den Anforderungen heutiger Fügeprozesse und den Limitationen bestehender Lösungen ergibt sich ein großer Bedarf an einer schnellen, zuverlässigen und intelligenten Inlinekontrolle der Fügenaht und des Fügeprozesses, um so möglichst eine 100%ige Qualitätsüberwachung gewährleisten zu können. Im Idealfall sollte diese Überwachung mit einer zeitnahen Prozesskorrektur zur Sicherstellung einer qualitätsgerechten Siegelnaht gekoppelt sein. Eine Möglichkeit hierfür bieten in Dünnschichttechnik ausgeführte Sensoren (siehe hierzu Bild 2 links), wie sie das Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM, Freiburg, in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV, Außenstelle für Verarbeitungsmaschinen und Verpackungstechnik Dresden, für den Einsatz im Siegelprozess erarbeitet haben.
Dabei werden die Temperatursensoren in einem plasmagestützten Vakuumbeschichtungsverfahren (PVD) direkt auf die Siegelschienenoberfläche aufgebracht. Auf elektrisch gut leitfähigen Siegelschienen wird im Vorfeld zusätzlich eine elektrische Isolationsschicht abgeschieden. Das dafür entwickelte, je nach Ausführung im Gesamtschichtaufbau weniger als einen Mikrometer dicke Tegonit- PNNC-Schichtsystem (Bild 2, rechts) macht sich für die Messung der Temperatur den sogenannten Seebeck-Effekt zunutze. Eine zusätzliche Funktionalisierung der Siegelschienen kann durch die Überbeschichtung mit einer ad- häsionsmindernden Deckschicht, wie der ebenfalls am Fraunhofer IWM entwickelten, silizium-basierten CVD-Beschichtung Tegonit CS [4], erreicht werden. Die Sensoren ermöglichen so eine nahezu instantane Temperaturmessung direkt am Ort des Geschehens: im Fall des Heißsiegelns auf der Siegelschienenoberfläche. In Labor-versuchen konnte bereits gezeigt werden, dass durch die extrem schnelle Ansprechzeit und die extreme Ober-flächennähe der Dünnschichtsensoren grobe Fehler wie Falten in der Naht anhand des gegenüber der optimalen Siegelung veränderten Wärmeabflusses in die Verpackungsfolie detektiert werden können. Selbst deutlich geringere Veränderungen des Wärmeabflusses aus der Schiene in die Naht durch das Einsiegeln von Verschmutzungen oder Füllgut wie Kaffeepulver sind in Form einer Abweichung vom Soll-Temperaturverlauf detektierbar (siehe Bild 3).
Durch ihre extreme Wirkstellennähe und geringe thermische Masse besitzt diese neue Dünnschichtsensorik so das Potenzial, mit klassischen Sensoren bisher nicht zu realisierende Empfindlichkeiten und Ansprechzeiten zu realisieren. Durch die Ausführung der Sensoren in PVD-Dünnschichttechnik (Leiterbahnen im Dickenbereich von circa 250 nm und einer Breite um 600 µm) (Bild 2 rechts) ergibt sich die Möglichkeit einer ortsaufgelösten Temperaturmessung, indem die Siegelschienenoberfläche mit einem Array von Temperatursensoren versehen wird, wie dies in der Konstruktionszeichnung in Bild 4 demonstriert ist. Ein Sensorarray erlaubt neben der Erfassung integraler Abweichungen vom Temperatursollwert auch die Lokalisation der Abweichungen.
Perspektiven
Die hohe Leistungsfähigkeit der Dünnschichtsensoren und das damit verbundene Potenzial, Temperaturdifferenzen und Abweichungen vom Sollwert schnell zu erkennen, eröffnen neue Möglichkeiten zur Überwachung des Fertigungsprozesses und – perspektivisch – zu dessen Steuerung:
Beim Set-Up neuer Prozesse und neuer Fertigungslinien gestaltet sich die Fehlerursachenanalyse durch die schnelle, oberflächennahe Temperaturerfassung deutlich ein-facher und effizienter, als mit klassischen Temperaturüberwachungstechniken.
Im Bereich der Prozessüberwachung können Anwender durch Nutzung der Dünnschichtsensorik eine Qualitätskontrolle der Siegelnähte jedes einzelnen Produkts realisieren. Weiterhin kann die Siegeltemperatur jeder individuellen Packung erfasst und dokumentiert werden. Dies ermöglicht die Erfüllung branchenabhängiger Nachweispflichten wie sie beispielsweise in der Pharmaindustrie gefordert werden.
Bei der Steuerung der Siegelprozesse kann mithilfe der Temperatursensorik in Kombination mit einer intelligenten, schnellen Auswertesoftware eine effizientere Regelung als bisher erreicht werden. So kann die Temperaturdifferenz sowie die von der Regelkurve abweichende Form, wie sie in den Messdaten in Bild 3 beispielhaft gezeigt ist, zukünftig erkannt und in eine Reaktion umgesetzt werden. Dabei ist im einfachsten Fall das Ausgeben einer Warnung möglich. Es ist aber auch ein Nachregeln der Befüllstation, oder auch das automatisierte Aussondern der betroffenen Packungseinheit denkbar. Auf diese Weise könnten in Zukunft kostenintensive, dem Verpackungsprozess nachgelagerte Prüfungen ebenso der Vergangenheit angehören, wie eingesiegeltes Füllgut beim Endverbraucher.
Weitere Anwendungsfelder
Die schnellen Ansprechzeiten und die extreme Oberflächensensitivität der Dünnschichtsensorik macht diese Technik nicht nur für Anwendungen in der Verpackungstechnik interessant, sondern bietet auch in anderen In- dustriezweigen für die Prozessüber- wachung und die Inlinequalitätskontrolle Vorteile.
Neben dem Versiegeln von Verpackungen arbeitet das Fraunhofer IVV Dresden daran, die oberflächennahe Temperaturmesstechnik innerhalb von weiteren Projekten zur Regelung und Überwachung von Umformprozessen für thermoplastische Folien zu nutzen. Die Arbeiten am Fraunhofer IWM in Freiburg zielen in einem öffentlich geförderten Verbundprojekt mit mehreren Partnern aus der Industrie auf eine Implementierung der schnellen Temperaturmesstechnik mittels Dünnschichtsensorik in andere Industriezweige ab. Dabei steht aktuell der Kunststoffspritzguss im Fokus der Forschungsarbeit.
Literatur:
[1] Claus, M.: Markttrends und technologische Herausforderungen für Packmittelhersteller und Maschinenbauer (VDMA), ZLV Verpackungssymposium Kempten, 09.2015
[2] Bach, S.: IPI International Packaging Institute – Seminar: Sealing 06.2015
[3] FertigPackV 1981; Verordnung über Fertig- packungen (Fertigpackungsverordnung), Neugefasst durch Bek. v. 8.3.1994 | 451, 1307; zuletzt geändert durch Art. 4 V v. 11.12.2014 | 2010
[4] Gurr, M.: Herstellung funktionaler Oberflächen, Konstruktion Juni 6–2013, IW 5–7
AutorenAlexander Fromm Dr. Matthias Gurr beide: Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM Funktionale Schichtmaterialien Wöhlerstr. 11 79108 Freiburg Tel.: 07 61/51 42-134 E-Mail: alexander.fromm@iwm.fraunhofer.de www.iwm.fraunhofer.deGregor Wendt Ralph Jänchen beide: Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV, Außenstelle für Verarbeitungs- maschinen und Verpackungstechnik Dresden Heidelberger Str. 20 01189 Dresden Tel.: 03 51/4 36 14-66 E-Mail: gregor.wendt@ivv-dresden.fraunhofer.de www.ivv-dresden.fraunhofer.deLiteratur