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+++ Exklusiver Fachbeitrag +++ 27.02.2023, 18:41 Uhr

Mit Sondergeräten schwere Lasten sicher und leicht bewegen

Liebherr nimmt am Standort Ehingen, wo Mobil- und Raupenkrane hergestellt werden, einen Paradigmenwechsel in der Produktions- und Hallenlogistik vor. Unterstützung erhält der Kranhersteller dabei durch Sondergeräte des Herstellers Genkinger.

Liebherr und Genkinger haben gemeinsam ein neues Teleskop-Montagegerät entwickelt. Foto: Genkinger

Liebherr und Genkinger haben gemeinsam ein neues Teleskop-Montagegerät entwickelt.

Foto: Genkinger

Ludwig Förder, Leiter der Teleskopausleger-Montage bei Liebherr in Ehingen: „Mit dieser Maschine können wir sehr genau positionieren, was mit dem Vorgänger nicht möglich war.“

Foto: Genkinger

Denn ein wichtiger Teil des Umstellungsprozesses ist ein Sondergerät von Genkinger für Montage- und Prüfarbeiten beim Zusammenbau von bis zu sieben einzelnen Teleskop-Profilen. Zusammengesetzt ergeben die maximal 14 m langen Teleskop-Schübe bis zu 90 m lange Ausleger für Liebherr Mobilkrane. In dieser Geräteklasse bietet Liebherr Teleskop-Krane mit Tragfähigkeiten von 30 bis 750 t an, wobei das neue Teleskop-Montagegerät für Krane mit Traglasten von 70 bis 250 t eingesetzt wird. Die bisherige Auslegermontage erfolgte über Hallenkrane, die als Sonderanfertigung mit Schrägzug-Zulassung multifunktional eingesetzt wurden. Die speziellen Hallenkrane zogen unter Auf- und Abwärtsbewegungen die einzelnen – bis zu 14 t schweren – Teleskop-Sätze ineinander. Dies beanspruchte die Kranmotoren sehr stark, insbesondere, wenn für das Feinjustieren die Tippfunktionen genutzt wurden, also das kurze Anfahren und schnelle wieder Stoppen der Deckenkranbewegungen.

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Gemeinsame Entwicklung

Ausgehend von der Prämisse, dass ein Deckenkran nicht mehr ausschließlich an der Montage beteiligt sein sollte und dass an mehreren Arbeitsplätzen gleichzeitig gearbeitet werden kann, entwickelten Liebherr und Genkinger gemeinsam das neue Teleskop-Montagegerät: Es wird zur Prüfung und Montage per Hallenkran mit dem Teleskop-Rollenkopf bestückt, welcher durch Greifer des Montagegerätes am Kopfstück fest eingespannt wird. Das nächstgrößere Teleskop-Profil wird per Hallenkran auf Montageböcken bereitgestellt, sodass der Teleskop-Rollenkopf eingefahren werden kann. Ist dessen Montage erfolgt, hebt das Montagegerät dieses Teleskop-Paket an, fährt weg und das nächstgrößere Teleskop-Profil kann per Kran auf die Montageböcke gelegt werden.

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Dabei werden unterschiedliche Prüf- und Einstellarbeiten vorgenommen, wobei die Liebherr-Werker die präzisen Hebe-, Senk-, Verschiebe- und Drehfunktionen des Montagegerätes feinfühlig funkfernsteuern. Anschließend wird das Gesamtpaket mit dem Deckenkran zur nächsten Produktionsstufe – dem Teleskopzylinder – transportiert, während das Teleskop-Montagegerät wieder mit den nächsten Teleskopteilen beladen wird.

Sehr genaue Positionierung möglich

Das Montagegerät besteht aus vier wesentlichen Funktionskomponenten: Einem Hubmast, einem Vorbau mit Verschiebmöglichkeiten einschließlich Greifern sowie einem beweglichen V-Auflageprisma. „Mit dieser Maschine können wir sehr genau positionieren, was mit dem Vorgänger nicht möglich war“, sagt Ludwig Förder, Leiter der Teleskopausleger-Montage bei Liebherr. Zur Ermittlung der komplizierten Last- und Kraftverteilung bei den Schiebeprozessen wurden Versuche gefahren, da selbst mit Computerberechnungen keine gesicherten Werte zu erzielen waren. Erst durch die Daten dieser Testreihen konnte eine genaue Dimensionierung des Antriebs vorgenommen werden: Vier Tonnen Schubkraft in der Waagerechten, um die Teleskoprohre stramm einzupassen.

Das neue Montagegerät hat für Liebherr gleich vier wesentliche Vorteile:

1. Optimierter Handling-Prozess

Der Deckenkran ist nicht mehr permanent multifunktional im Einsatz und steht somit für die Belieferung der Teleskop-Ausleger für die benachbarten Arbeitsplätze schneller zur Verfügung. Waren beim Deckenkran zuvor noch 21 Auf- und Abhängevorgänge zu erledigen, hat sich diese Zahl auf nunmehr lediglich acht je Teleskopsatz reduziert. Vor allem sind die motorstrapazierenden Justiereinsätze mit der Tippfunktion in der Montage komplett weggefallen. „Der jetzige Prozess ist definierter, effizienter und damit einheitlicher geworden. Schrägzug ist hingegen nie so genau definierbar,“ erklärt Ludwig Förder. „Mit der neuen Maschine und ihren präzisen Einstellmöglichkeiten können beispielsweise auch Korrekturen leichter vorgenommen werden als zuvor.“

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2. Endlackierte Teleskoprohre

Aufgrund eines geänderten Lackierprozesses kommen die Teleskoprohre nun größtenteils schon endlackiert und mit Schonelementen aus Kunststoff in die Ausleger-Montage. Das passt gut, denn das Genkinger-Montagegerät ermöglicht ein genaueres und damit schonenderes Handling. Schrammen oder Beschädigungen sind deshalb so gut wie ausgeschlossen.

3. Komfortablere Ergonomie

Der gesamte Montage-Prozess ist ruhiger, gleichmäßiger und komfortabler geworden. Die Mitarbeiter arbeiten aufrechter und ergonomisch vorteilhafter. Früher musste der Mitarbeiter sich mehr bücken, heute arbeitet er mehr auf gleicher Ebene. So gibt es auch einen langfristig positiven Effekt durch Schonung von Rücken und Gelenken, wodurch Ausfallrisiken minimiert werden.

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4. Übersichtlichere Arbeitssituation

Die Arbeitssituation ist dadurch, dass frühere Aufgaben des Deckenkrans nun vom ebenerdigen Montage-Gerät per Funkfernbedienung gesteuert werden, übersichtlicher und damit auch sicherer geworden. Das Arbeiten unter hängender Last konnte deutlich reduziert werden.

Resümee

Nach knapp einem Jahr mit dem Montage-Gerät zieht Ludwig Förder folgendes Fazit: „Die Qualität ist ausgezeichnet. Wir konnten die Maschine gleich im Januar 2021 voll einsetzen, und nach kleineren Anpassungen läuft sie seither zuverlässig“. Die Mitarbeiter seien von Anfang an sehr zufrieden mit der Neuentwicklung. „Sie ist robust, wartungsarm und einfach zu bedienen.“ Die Inbetriebnahme von drei weiteren Genkinger-Montagegeräten sei nach der erfolgreichen Bewährungsprobe des ersten Gerätes im Praxiseinsatz für das Frühjahr 2023 geplant.

Die Rädermontage für die bis zu neunachsigen Kranfahrzeuge läuft bei Liebherr mit einem Rädermanipulator von Genkinger entspannt und sicher ab.

Foto: Genkinger

Schwere Räder einfach gehandelt

Eine weitere Sondermaschine aus dem Hause Genkinger kommt in der Liebherr-Kranproduktion bei der Reifenmontage zum Einsatz und optimiert dort die Produktionsabläufe. Denn schon das Montieren neuer Räder für den eigenen Pkw kann mühsam sein. Sind die Räder – wie in der Kranproduktion – aber 1 000 Kg schwer und haben einen Durchmesser von bis zu 1,85 m, dann wird dies zu einer ungleich größeren Herausforderung.

Sichere Prozesse mit Einsparpotenzial

Doch die dortige Rädermontage für bis zu neunachsige Kranfahrzeuge läuft mit einem Rädermanipulator von Genkinger entspannt und sicher ab. Dabei werden zunächst die Palettenstapel mit den Rädern für ein Kranfahrzeug mit einem Standardstapler aus dem Lager an die Produktionsstraße befördert. Das Genkinger-Fahrzeug klammert die waagerecht liegenden Räder einzeln, schwenkt sie senkrecht in die Montageposition und transportiert sie zum Kran. Für die eigentliche Montage hat der Mitarbeiter die Möglichkeit, die Maschine mittels Funkfernbedienung zu kontrollieren. Der Bediener setzt das Rad genau auf die Radbolzen des Krans. Dies geschieht feinfühlig mittels Drehgerät, Seitenschub- und Neigungsfunktion. Diese Vorgehensweise hat zwei gravierende Vorzüge: So findet der Bediener den perfekten Sichtwinkel leichter und setzt das Rad mithilfe der Funkfernsteuerung aus sicherer Entfernung auf. Gegenüber dem vorherigen Prozess wird Zeit eingespart, Sicherheit hinzugewonnen, Beschädigungen am Kran und Radbolzen werden vermieden und dies für ganz verschiedene Rädergrößen und -gewichte.

Theoretisch hätte diese Aufgabe auch ein Deichselgerät von Genkinger bewältigen können, wie es am Liebherr-Standort in Kirchdorf im Einsatz ist. Doch sind in Ehingen die zurückzulegenden Wege länger, was dann die komfortablere und Zeit sparende Lösung mit der Fahrerkabine nahe legte.

Das Genkinger-Sonderfahrzeug klammert die waagerecht liegenden Räder einzeln, schwenkt sie senkrecht in die Montageposition und transportiert sie zum Kran.

Foto: Genkinger

Gerät wurde an die Arbeitsumgebung exakt angepasst

Die Betriebsmittelkonstruktion von Liebherr wirkte bei der Geräte-Entwicklung mit und definierte die Anforderungen: Das Genkinger-Gerät war mit niedriger Bauweise herzustellen, damit es unter der Sternabstützung der Großkrane hindurchfahren konnte. „Das Sondergerät ist exakt an die Umgebungsbedingungen angepasst und kann alle gewünschten Funktionen voll erfüllen“, erklärt Elmar Mößlang, Kundenberater bei Genkinger.

Die Liebherr-Mitarbeiter, die von Genkinger eine Einweisung in den Rädermanipulator erhielten, gewöhnten sich schnell an die komfortable Montage-Methode.

Dafür, dass die Umsetzung wirtschaftlich im gesteckten Rahmen blieb, sorgte das modulare System von Genkinger. Es erlaubt, vorhandene Komponenten aus einem Baukasten mit sondergefertigten Teilen, in diesem Fall den Vorbau für die Räderaufnahme, zu kombinieren.

Interview:

Losgröße „1“ ist bei uns ein Standard

Herr Ludwig, die Genkinger GmbH durfte im vergangenen Jahr ihren 100sten Geburtstag feiern. Ein Alter, das sehr viele Unternehmen nicht erreichen. Dazu möchten wir Ihnen zunächst herzlich gratulieren. Vielleicht erzählen Sie uns kurz, wie Sie Ihren dauerhaften Erfolg begründen.

Richard Ludwig, Geschäftsführer der Genkinger GmbH.

Foto: Genkinger

Ludwig: Vielen Dank für Ihre Glückwünsche. Und ja – es liegen viele außergewöhnlich erfreuliche Jahre hinter uns, und sollen auch noch vor uns liegen. Wir sind ein bodenständig geführtes mittelständisches Unternehmen mit internationaler Ausrichtung, u.a. mit einer Beteiligung an einem Hubwagenproduzenten in der Slowakei und einer Tochter in den USA. Wesentlicher Erfolgsfaktor ist neben der erstklassigen technischen Beratung und der innovativen Technik vor allem die Sicherheit, dass es mit Genkinger einfach funktioniert. Mit den Menschen und den Maschinen. So haben wir uns in der Marktnische der Sondergeräte fest etablieren können. Aufbauend auf unserem enormen Erfahrungsschatz erschließen wir gemeinsam mit unseren Kunden stets neue Potenziale für gesteigerte Effizienz, Sicherheit und Ergonomie.

Dann sind Sie also in einer Nische gewachsen. Könnten Sie Ihr Marktumfeld bitte etwas genauer umschreiben?

Unsere Kunden beschreiben uns als Umsetzer von anspruchsvollen technischen Aufgaben, auch als Ideengeber und manchmal sogar als Pionier. Unsere Arbeit fängt meist dort an, wo Standardlösungen aufhören. Wir entwickeln, beraten und produzieren kundenspezifisch für die Produktionslogistik und den innerbetrieblichen Materialumschlag generell. Unsere Flurförderzeuge transportieren, stapeln, manipulieren – und automatisieren immer mehr. Das sind z.B. Stapler, Schlepper, Werkzeugwechsler, Hubtische, Hubwagen. Lasten sind u.a. Werkzeuge, Coils, Langgut, Paletten und viele Sonderformen. Sie reichen von 300 Kilogramm bis zu 100 Tonnen. Damit zählen wir in unserem Segment zu den führenden Herstellern weltweit.

„Maschinen von der Stange“ gibt es bei Ihnen also nicht?

(lachend) Eher nicht. In der Regel liefern wir maßgeschneiderte Lösungen für individuelle Anforderungen. Dem gehen umfassende Beratungsgespräche über gewünschte Gerätefunktionen, Machbarkeit, Budget und Projektierung einschließlich Terminierung voraus. Die Umsetzung richtet sich nach den Kundenanforderungen; deshalb ist bei uns kaum ein Gerät wie das andere.

Demnach haben Sie auch keine Angst vor der berüchtigten „Losgröße 1“?

(lächelnd) Für uns und, soweit ich das sagen kann, auch für unsere Kunden liegen in Losgröße 1 die Vorteile gerade in einer möglichst perfekten Anpassung an den jeweiligen Prozess. Losgröße 1 ist bei uns ein Standard. Daneben haben wir Kleinserien, die wir mit unserem Baukasten ebenfalls flexibel konfigurieren können.

Aus welchen Branchen kommen denn Ihre Kunden, die Sie mit Sondermaschinen beliefern?

Kunden haben wir u.a. in fast sämtlichen industriellen Branchen von mittelständischen Unternehmen bis hin zu Großkonzernen. Den Anfang machte die Textilbranche vor 70 Jahren. Heute haben wir weltweit Kunden in den Bereichen Automotive, Gießereien, Holz, Kabel-/Elektroindustrie, Luftfahrt, Metall, Maschinenbau, Papier – diese Aufzählung könnte ich noch weiter ausführen.

Das klingt so, als ob Sie sehr viele Kunden mit einem eher kleineren Auftragsvolumen haben – oder?

Unser Kundenstamm ist breit gefächert, doch in der Regel erwirtschaften wir mit keinem unserer Kunden mehr als fünf Prozent des Jahresumsatzes. Anfragen aus aller Welt bringen uns täglich neue Beratungs- und Produktherausforderungen. Dadurch sind über die Jahre zahlreiche Synergien entstanden, von denen wiederum jeder einzelne Kunde für seine Lösung profitiert.

Natürlich bleibt Ihnen auch die obligatorische Frage nach der wirtschaftlichen Situation in Zeiten von Corona, Ukrainekonflikt und Energiekrise nicht erspart. Wie steuern Sie Genkinger durch die aktuell schwierigen Zeiten?

Von allen genannten Einflussfaktoren sind wir als international agierendes Unternehmen stark getroffen worden. Unterm Strich sind wir dennoch relativ gut durch die Krisen gekommen. In 2022 haben wir mit 160 Beschäftigten etwa 1 200 Maschinen produziert und einen Umsatz von rund 20,5 Millionen Euro generiert. Das Ergebnis ist sehr akzeptabel angesichts der Aussichten zu Beginn des Wirtschaftsjahres.

Sie haben gerade Ihre 160 MitarbeiterInnen angesprochen – darunter dürften angesichts Ihrer enormen Entwicklerleistung sicherlich einige Ingenieure sein – oder?

Das stimmt. Von unseren Beschäftigten sind aktuell 67 angestellt, darunter ein großer Teil in der Entwicklungsabteilung. 76 arbeiten in der Produktion. Weitere 17 sind Auszubildende.

Das Durchschnittsalter unserer Beschäftigten ist in den vergangenen Jahren gesunken. Noch 2012 lag es bei 50 Jahren gegenüber 39 Jahren in 2022. Die Verjüngungstendenz wird sich in Zukunft noch leicht fortsetzen.

Der viel zitierte Fachkräftemangel ist für Genkinger also kein Thema?

Bis jetzt können wir uns auch in dieser Beziehung nicht beklagen. Unser Unternehmen ist für viele junge Menschen offenbar so interessant, dass sie uns als Arbeitgeber auswählen. Und meine Teams und ich tun alles, dass dies auch in den nächsten Jahren so sein wird, denn dies ist für Genkingers Zukunft essenziell.

Von RMW