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Lagerautomatisierung 29.11.2022, 11:18 Uhr

Diese Trends werden Warehouse Automation im Jahr 2023 bestimmen

Cobots, autonom fahrende Regale oder Pick-by-Vision-Brillen für Kommissionierer – in Sachen KI und digitale Transformation gibt es nur wenige Bereiche, die so weit sind wie die Lagerlogistik. Der Markt boomt. Ramie Smith, Senior Director Industrial EMEA beim EMS-Dienstleister Plexus, wirft einen Blick auf die sechs wichtigsten Trends.

Der Markt boomt: Cobots, autonom fahrende Regale oder Pick-by-Vision-Brillen für Kommissionierer – in Sachen KI und digitale Transformation gibt es nur wenige Bereiche, die so weit sind wie die Lagerlogistik. Foto: PantherMedia/phonlamai

Der Markt boomt: Cobots, autonom fahrende Regale oder Pick-by-Vision-Brillen für Kommissionierer – in Sachen KI und digitale Transformation gibt es nur wenige Bereiche, die so weit sind wie die Lagerlogistik.

Foto: PantherMedia/phonlamai

So lassen sich Lieferengpässe vermeiden

Die Goldgräberstimmung rund um Warehouse Automation ist nicht ganz neu. Intelligente Lagersysteme sorgen als Rädchen im zunehmend schnelleren, global vernetzten Warenverkehr seit jeher für eine zeitnahe Bereitstellung und damit für wachsende Gewinne auf Unternehmensseite. Der Siegeszug der großen Online-Händler wie Amazon, eBay, Otto oder Zalando bescherte der Branche in den letzten zehn Jahren einen zusätzlicher Automatisierungsschub. Und spätestens seit COVID-19 denken nun auch Hersteller im Maschinenbau, in der Automotive-Branche und in der Elektronikindustrie verstärkt über den Auf- bzw. Ausbau lokaler Lagerkapazitäten nach.

Der Warehouse Automation kommt hier eine Schlüsselrolle zu. Nach einem Bericht von Gartner soll sich die Zahl der robotergestützten Goods-to-Person-Systeme (G2P) in Lagerhallen bis 2023 vervierfachen. Bis Ende 2024 will die Hälfte der Logistik- und Lieferkettenunternehmen in Anwendungen investieren, die künstliche Intelligenz (KI) und Advanced Analysefunktionen (AA) unterstützen. Ziel ist es, volatile Marktbewegungen, Engpässe in der Lieferkette und personale Ausfälle, wenn nicht zu verhindern, so doch zumindest abzufedern.

Ob die weitere Digitalisierung und Automatisierung von Lagersystemen Erfolg hat, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Unternehmen sollten bei der Implementierung smarter Lagerlogistik deshalb folgende Trends berücksichtigen.

Trend eins in der Lagerautomatisierung: Supply Chain-Krise – Es bleibt eng

Die Materialengpässe halten nicht nur an, die Lage scheint sich mit dem Russland-Ukraine-Krieg, der drohenden Rezession und den steigenden Energie- und Transportpreisen sogar noch auszuweiten. Laut ifo-Geschäftsklimaindex berichten fast drei Viertel aller Unternehmen in Deutschland von Problemen in der Lieferkette. In den Kernbranchen trifft es neben der Elektroindustrie auch den Maschinenbau und die Automobilbranche (90%). Anzeichen für eine Erholung gibt es vorerst nicht.

In der Lagerlogistik rückt angesichts dieser Engpässe eine Fähigkeit in den Vordergrund: Skalierbarkeit. Logistikunternehmen müssen sich auf längere Lieferfristen, hohe Liegezeiten und kurzfristige Änderungen einstellen und in der Lage sein, ihre Kapazitäten agil anzupassen. Gleichzeitig gilt es Partner zu suchen, die über eine hohe globale Supply Chain-Expertise verfügen und auf etablierte Lieferketten zurückgreifen können. Die anhaltenden Probleme lassen sich damit zwar nicht aus der Welt schaffen. Unternehmen erhalten aber zumindest ein wenig Spielraum, um agiler zu planen und schneller zu reagieren.

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Trend zwei in der Lagerautomatisierung: Fachkräftemangel & das Zero People Warehouse

Die angeschlagene Supply Chain trifft auf einen boomenden E-Commerce. Neue Modelle wie Citylogistik (Ballungsraumlogistik im städtischen Güterverkehr) und Quick Commerce (Online-Bestellungen von Lebensmitteln) sind auf extrem schnelle und gleichzeitig effiziente Zustellprozesse angewiesen. Das Problem sind nicht nur Lieferengpässe. Die Branche sieht sich nach der Pandemie auch einem massiven Fachkräftemangel gegenüber. Es fehlt wie in fast allen Branchen an qualifiziertem Personal – angefangen von IT-Experten über Kommissionierer und Logistik-Disponenten bis hin zu (LKW-)Fahrern.

Nach einer Umfrage des Bundesvereinigung Logistik (BVL) und GreyOrange klagen mehr als die Hälfte (51%) der Speditions- und Logistikunternehmen (51%) über fehlende Ressourcen. Bei 27% führte der Mangel an operativem Lagerpersonal zu Störungen – bei 13% sogar zu signifikanten Unterbrechungen und Ausfällen. Angesichts der vielen offenen Stellen rückt die Automatisierung und die schnelle Skalierung des operativen Betriebs für viele Logistiker auf der Prioritätenliste nach oben. Das „Zero People Warehouse“ (ZPW), in dem Prozesse vollkommen autonom und ohne Personal ablaufen, ist in der Lagerwirtschaft zwar noch eine Vision. Die ersten Schritte sind jedoch mit dem wachsenden Einsatz von KI und Robotern bereits gemacht.

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Trend drei in der Lagerautomatisierung: Robotertechnologien – Digitale Wichtel bei der Arbeit

Apropos Roboter: Die Bandbreite an Robotertechnologien hat sich in den letzten Jahren enorm erweitert. Autonome Mobile Roboter (AMR) navigieren frei innerhalb eines definierten Bereichs. Autonome fahrerlose Transportsysteme (AGV), Drohnen und automatisierte Fördersysteme legen lange Wege zurück und liefern Waren sicher und schnell an den richtigen Ort. Kollaborierender Roboter (Cobots) wiederum arbeiten mit menschlichen Kollegen „Hand in Hand“ und vereinfachen Arbeitsabläufe.

Unternehmen tasten sich schrittweise an die neuen Automatisierungstechnik heran und testen die jeweiligen Robotertechnologien in unterschiedlichen Einsatzbereichen. Grundsätzlich stehen ihnen zwei Wege offen: Sie entwickeln die Robotik-Systeme entweder in-house oder greifen auf kommerzielle Lösungen eines Drittanbieters zurück. Beides kann Vor- und Nachteile mit sich bringen. Eigenentwickelte Robotertechnologien lassen sich zwar möglicherweise besser den individuellen Anforderungen anpassen und nahtlos in bestehende Systeme integrieren. Der Entwicklungs- und Kostenaufwand kann jedoch sehr hoch sein. Zudem fehlt in vielen Fällen auch die nötige Engineering-Expertise. Da sich die Technologien außerdem rasant weiterentwickeln, ist es hilfreich auf einen Partner zu vertrauen, der nicht nur über entsprechende Erfahrung verfügt, sondern auch weiterführende Services (z. B. Wartung) anbietet.

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Trend vier in der Lagerautomatisierung: Lange Lebensdauer und Zuverlässigkeit

Egal welche Roboter zum Einsatz kommen, wichtig ist hohe Zuverlässigkeit und Langlebigkeit. Ausfallzeiten haben in einem auf High-Speed ausgelegten Warehouse nichts zu suchen. Die eingesetzten Lösungen müssen daher einige technische Grundvoraussetzungen erfüllen. Dazu gehören langlebige Energiespeicher und ein robustes Produktdesign für wiederholbare Prozesse. Feldtests nehmen in dieser Hinsicht eine Schlüsselrolle ein, um die Qualität von Prozessen und autonomen Systemen unter Realbedingungen zu prüfen.

Doch Vorsicht: Werden beim Testen selbst Fehler gemacht, lassen sich auch Fehler im Smart Warehouse entweder gar nicht oder erst zu spät erkennen. Zumal selbst das beste Test-Verfahren nicht gänzlich verhindern kann, dass Robotersysteme ausfallen oder kränkeln. Wer beim Einsatz von Warehouse-Technologien auf einen Partner mit individuellen Produkt-Know-how sowie branchenspezifische Erfahrung setzt, erspart sich viel Kopfzerbrechen. Das gilt sowohl beim Design und der Implementierung als auch beim Testen und Warten der Lösungen (Stichwort: Aftermarket Services). Je früher der Partner in den Entwicklungsprozess eingebunden ist, desto besser.

Trend fünf in der Lagerautomatisierung: Industrial Internet of Things (IIoT) – Glasklare Prozesse

Ein weiterer wichtiger Baustein von Warehouse Automation: ein smartes, industrielles Internet of Things (IoT). Transparenz ist das A und O des Lagermanagements. Reichte es früher aus, den Lagerbestand zu kennen, heißt es heute, enorme Mengen an Daten aus den unterschiedlichsten Quellen und Systemen zusammenzuführen und in Echtzeit zu verarbeiten. Die IIoT-Plattformen erfassen, sammeln und werten deshalb kontinuierlich Anlagen-, Sensor- und Prozessdaten in der Lagerhalle aus, steuern Systeme, melden Fehler, planen Reparaturarbeiten ein (Vorausschauende Wartung) und reduzieren Ausfallzeiten. Prädiktive Analysen geben Hinweise auf zukünftige Nachfrageschwankungen und legen das optimale Routing von Materialströmen und Lieferungen fest. Je besser die Vernetzung innerhalb der einzelnen Warehouse-Prozesse, desto deutlicher treten zudem Optimierungsmöglichkeiten hervor. Wo fehlen Daten zur besseren Entscheidungsfindung? Wo hakt es bei der Kommissionierung? Und wie lassen sich Transport- und Arbeitswege kürzer gestalten?

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Trend sechs in der Lagerautomatisierung: Lager- und Fördertechniken auf kleinstem Raum

Auch wenn Lagerhäuser derzeit wie Pilze aus dem Boden zu schießen scheinen: Die Lagerkapazität ist oft bereits schon verplant, bevor das Gebäude überhaupt steht. Kunden von Logistikdienstleistern zahlen Premium-Preise zur Lagerung ihrer Komponenten und Waren. Jeder Quadratmeter wird daher bis auf das Äußerste genutzt und ist hinsichtlich der eingesetzten Lager- und Fördertechniken komplett durchkonzipiert. Je sparsamer und effizienter die Lagerhaltung, desto komplexer ist die Planung und Implementierung von Warehouse Automation.

Auch hier empfiehlt sich die Zusammenarbeit mit einem Partner, um bereits früh die jeweiligen Design-Optionen für das eigene Lagerhaus auszuloten – egal wie groß die Fläche letztendlich tatsächlich ist. Skalierbarkeit und Flexibilität gehören zu den entscheidenden Faktoren, um langfristig von der Automatisierung und „Miniaturisierung“ der Lagerlogistik profitieren zu können. Aber auch Aspekte der Nachhaltigkeit gewinnen angesichts steigender Energiekosten, strengerer gesetzlicher Vorschriften und einem wachsendem Bewusstsein auf Verbraucherseite an Bedeutung.

Von Autor: Ramie Smith, Senior Director Industrial – EMEA, Plexus