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Simulationsmodelle 24.04.2022, 20:00 Uhr

So gelingt Prozessoptimierung durch Data Farming

Mit Data Farming können spezielle Analysen von Produktions- und Logistiksystemen durchgeführt werden, um so durch Simulation die beste Option zu ermitteln. Solche Simulationsmodelle in der betrieblichen Praxis anzuwenden scheitert allerdings oft an einer integrierten Softwarelösung, die auch von Nicht-Data-Farming-Experten bedient werden kann.

„Farmarbeit“ geschieht heute nicht mehr nur auf dem Feld: Beim „Data Farming“ werden mithilfe von entworfenen Computerexperimenten Daten „vergrößert“, die dann mithilfe von Statistik- und Visualisierungstechniken analysiert werden können, um Einblicke in komplexe Systeme zu erhalten. Foto: panthermedie.net/pamai (YAYMicro)

„Farmarbeit“ geschieht heute nicht mehr nur auf dem Feld: Beim „Data Farming“ werden mithilfe von entworfenen Computerexperimenten Daten „vergrößert“, die dann mithilfe von Statistik- und Visualisierungstechniken analysiert werden können, um Einblicke in komplexe Systeme zu erhalten.

Foto: panthermedie.net/pamai (YAYMicro)

Simulation ist ein etabliertes Werkzeug zur Planung und Steuerung komplexer Produktions- und Logistiksysteme. Heute, in Zeiten der Industrie 4.0, stehen Unternehmen durch Big-Data-Infrastrukturen, cloudbasierte Lösungen und steigende Rechenleistungen viele Möglichkeiten zur Verfügung, um Simulationsmodelle zu erstellen. Wichtiges Instrument hierfür ist das Data Farming. Dabei wird ein vorab validiertes Simulationsmodell als Datengenerator genutzt, um mit Hilfe von intelligentem Experimentdesign und High Performance Computing ein möglichst großes oder gar vollständiges Spektrum an Modell- beziehungsweise Systemverhalten (Wirkungsraum) abdecken zu können [1]. Beim Data Farming geht es also darum, mit Hilfe von entworfenen Computerexperimenten Daten zu vergrößern und den Datenertrag des Simulationsmodells zu maximieren; ähnlich einem Farmer, der sein Land effizient bewirtschaftet, um den Ernteertrag zu maximieren.

So lassen sich Leerkilometer und Emissionen entlang der Lieferkette vermeiden

Data Farming: Großes Potenzial für Logistik und Produktion

Die Vorteile der Simulation mit Data Farming: Das Durchführen einer sehr großen Bandbreite von Experimenten kann versteckte, vorher unbekannte und möglicherweise nützliche Wirkzusammenhänge aufdecken. So werden Lösungen gefunden, die über das definierte Projektziel einer klassischen Simulationsstudie hinausgehen und so zur Entscheidungsunterstützung beitragen. (Horne und Meyer 2010). Das wird seit Feldkamp „Wissensentdeckung in Simulationsmodellen“ genannt [2]. Diese Wissensentdeckung hat erhebliches Potenzial für Logistik und Produktion, kann aber nicht in die Praxis umgesetzt werden, weil die Simulation nur von Data-Farming-Experten durchgeführt werden kann.

Einzelmethoden: Prozessoptimierung auch für Nicht-Experten

Seit zwei Jahren forschen deswegen Experten des Projektes DaWiS an der Entwicklung einer integrierten Lösung für das Data Farming und die Wissensentdeckung in Simulationsdaten (DaWiS). Das DaWiS-Konsortium setzt sich aus der SimPlan AG, dem Fachgebiet Informationstechnik in Produktion und Logistik der TU Ilmenau (ITPL), der C-P-S Holding GmbH & Co. KG sowie als assoziiertem Partner die Maschinenfabrik Reinhausen GmbH (MR) zusammen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt. Alle Projektbeteiligten sind sich einig, dass die grundlegenden Einzelmethoden (Data Farming, Intelligentes Experimentdesign, Data Mining und Visual Analytics) durchaus gut erforscht sind, dass es bisher aber keine ganzheitliche Lösung zur Übertragung der Methoden als Ganzes oder zumindest in wesentlichen Teilen in ein von Nicht-Experten bedienbares Framework gibt.

Hohes Potenzial für lernende Systeme in logistischen Entscheidungsprozessen

Anwendungsbeispiel: Prozessoptimierung in der Supply Chain

Besonders wertvolle Erkenntnisse kann die Simulation mit Einsatz von Data Farming in den Bereichen Produktion und Logistik liefern. Ein Anwendungsbeispiel des Forschungskonsortiums konzentrierte sich daher auf die Ausarbeitung eines Anlieferdocks für die Montagezuführung. Die Herausforderung: Die Versorgung mit zwei verschiedenen Batterietypen und die anschließende Entsorgung der anfallenden leeren Ladungsträger so effizient wie möglich zu gestalten. Die C-P-S hat als Pilotanwender gemeinsam mit einem Automobilhersteller die Entwicklung der integrierbaren Software-Lösung unterstützt. Um die verschiedenen Szenarien zu simulieren haben sich die Forscher Fragen gestellt wie: Unter welchen Rahmenbedingungen ist die gewählte Anzahl an eingesetzten Staplern ausreichend, um Stillstandzeiten der Produktion und Montage zu verhindern beziehungsweise zu minimieren? Welchen Einfluss haben der Staplertyp und die damit verbundenen Limitierungen auf die Systemleistung? Welche Rolle spielt der Anlieferzyklus sowie der prozentuale Anteil der beiden Batterietypen? Aus diesen Fragestellungen haben sich 31 Ergebnisparameter ergeben, die für die Analyse gespeichert wurden.

Data Farming: AddOn bietet viel Potenzial für die Produktion

Für die prototypische Experimentverteilung setzten die Anwender beim Pilotprojekt auf die bereits vorhandene Software SimController, die in einem vorangegangenen Forschungsvorhaben entstanden ist. Mit dieser Softwarekomponente können Simulationstools untereinander oder mit anderen Softwareanwendungen in Verbindung gesetzt werden. Die neue integrierte Lösung für das Data Farming wird als AddOn mit dem Namen 4farm das bestehende Framework ergänzen. „Das prototypische Modul ist für den deutschen Markt sehr interessant. Besonders Dienstleister, die mit Simulationsmethoden arbeiten, können daraus enormes Potenzial schöpfen”, erklärt Matthäus Esterházy, Geschäftsführer der C-P-S Group die Vorteile des AddOns.

Der Fokus des Forschungsprojektes lag auch darauf, die Anwendung möglichst nutzerfreundlich zu gestalten. Deswegen werden vor dem Endanwender möglichst viele technische Details insbesondere des Experimentdesigns, der Data-Mining- und Visual-Analytics-Methoden verborgen. Erforderliche Entscheidungen werden – basierend auf Best-Practices – vorweggenommen. Muss der Anwender dennoch aktiv werden, werden ihm intuitiv verständliche Optionen und Listen mit Auswahlmöglichkeiten präsentiert. „Vor- und Nachteile jeder Entscheidung sind in der Software in Form von Informationstexten oder Entscheidungsbäumen hinterlegt. Der Anwender kann sich somit vollständig auf das Modell und die fachliche Aufgabe fokussieren”, so Esterházy.

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Fazit: Prozessoptimierung durch Data Farming ist auch von Laien beherrschbar

Mit Data Farming und Simulationsmodellen können Unternehmen wertvolle Erkenntnisse hinsichtlich Produktions- und Logistiksystemen gewinnen. Das Ziel des Forschungsprojektes DaWiS ist es daher, eine integrierte Softwarelösung für die Wissensentdeckung in Simulationsdaten zu entwickeln. Nach beinahe zwei Jahren Projektlaufzeit ist das Resümee aller Beteiligten positiv. Mittels des AddOns 4farm wird es möglich sein, dass auch Nicht-Experten Wissen auf Basis von Data Farming mittels Data-Mining- und Visual-Analytics-Methoden erwerben können. Bevor das Produkt vermarktet werden kann, stehen noch weitere Entwicklungsschritte und Tests in Anwendungsfällen aus der Praxis an. Aber ein breiter Transfer in die betriebliche Praxis ist nur noch eine Frage der Zeit.

Literatur

[1] Horne, G.E.; Meyer, T.: Data farming and defense applications. In: Armstrong, R.; McNamara, J.; Pinelli, T.E. (Hrsg.): MODSIM World Conference and Expo, Hampton, VA, USA, 13–15.10, 2010, S. 74–82.

[2] Feldkamp, N.; Bergmann, S.; Straßburger, S.; Schulze, T.: Data Farming im Kontext von Produktion und Logistik. In: Wenzel, S.; Peter, T. (Hrsg.): Simulation in Produktion und Logistik 2017, Kassel, 20–22.09, 2017

 

Von Claudia Ballhause, IT-Journalistin