Ultraschneller 3-D-Druck 08.05.2018, 00:00 Uhr

Additive Herstellung von Kunststoffbauteilen im High-Speed-Verfahren unter Einsatz von Standardgranulat

Der 3-D-Druck ist ein sehr stark wachsender Markt, welcher für Kunden und die Industrie völlig neue Produkt- und Fertigungsansätze eröffnet. Neue innovative Ansätze für die additive Fertigung von Kunststoffbauteilen entwickelt das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) in Zusammenarbeit mit der BMW Group. Auf Basis einer extrusionsbasierten Plastifiziereinheit zur Verarbeitung von Kunststoff-Standardgranulaten erfolgt in Kombination mit einer Pentapod 5-Achs- Parallelkinematik einer METROM-Werkzeugmaschine das 3-D-Drucken von Kunststoffbauteilen. Dabei werden bestehende Verfahrensgrenzen überschritten und eine neue Generation von 3-D-Druckverfahren mit deutlich gesteigerter Prozessgeschwindigkeit geschaffen.

Bild 1 SEAM-Versuchsaufbau: Extrusionsbasierte Plastifiziereinheit zur Verarbeitung von Kunststoff-Standardgranulaten in Kombination mit einer Pentapod 5-Achs-Parallelkinematik von Metrom. Bild: Fraunhofer IWU

Bild 1 SEAM-Versuchsaufbau: Extrusionsbasierte Plastifiziereinheit zur Verarbeitung von Kunststoff-Standardgranulaten in Kombination mit einer Pentapod 5-Achs-Parallelkinematik von Metrom. Bild: Fraunhofer IWU

Das 3-D-Drucken von Kunststoffbauteilen wird derzeit durch eine Vielzahl von Verfahren wie Laser- sintern (SLS), Schmelzstrangablegen (FDM, FLM) oder Polyjet, Stereolithographie (SL) bestimmt. Vor allem das FDM-/FLM-Verfahren besticht durch sein einfaches und kostengünstiges Verfahrensprinzip sowie der Verarbeitung von ausgewählten Standardmaterialien. Über eine Vorschubeinheit wird das Kunststofffilament durch eine Schmelzdüse (Hot-End) plastifiziert und schichtweise auf der Bauplattform aufgetragen. Einer höheren Prozessgeschwindigkeit stehen jedoch die geringe Plastifizierleistung der Hot-Ends sowie ein relativ langsames Bewegungssystem des Druckkopfs entgegen.

Hohe Prozessgeschwindigkeit

In Zusammenarbeit mit der BMW Group wurde am Fraunhofer IWU ein neuartiges extrusionsbasiertes 3-D-Drucksystem entwickelt, das in Kombination mit dem Bewegungssystem einer Werkzeugmaschine eine deutlich um den Faktor 12 gesteigerte Prozessgeschwindigkeit erzielt. Das SEAM- (Screw Extrusion Additiv Manufacturing) Verfahren arbeitet auf Basis einer in der Kunststofftechnik bekannten Extrusionsschnecke und generiert Austragsleistungen beispielsweise bei einer 1-mm-Düse bis zu 5 kg/h. Im Vergleich benötigt ein filamentverarbeitender FLM-Prozess circa 20 h für ein 1 kg gedruckte Bauteilmasse, was einem Masseaustrag von lediglich 0,1–0,2 kg/h entspricht. Das Kunststoffgranulat wird über die modifizierte Einschnecke plastifiziert und in der Versuchsanlage über ein um 90° abgewinkeltes Düsenwerkzeug auf eine Arbeitsplattform extrudiert (Bild 1). Der Antrieb der Bauplattform erfolgt in einem ersten Schritt über eine Pentapod-5-Achs-Parallelkinematik von Metrom, bei der Prozessgeschwindigkeiten bis 560 mm/s erreicht werden können. Das Pentapod-Bewegungssystem zeichnet sich vor allem durch eine hohe Dynamik, geringe bewegte Massen und die damit einhergehende hohe Positionier- und Bahngenauigkeit aus und ist ideal für die Bewegungssteuerung der Bauplattform oder des Extruders geeignet.

Niedrige Materialkosten

Das neu entwickelte SEAM-Verfahren verarbeitet statt einem teuren FLM-Filament Standard-Kunststoffgranulat zu belastbaren Bauteilen. Damit ergibt sich im Vergleich zu dem bekannten FLM-/FDM-Verfahren eine bis 200-fache Einsparung der Materialkosten. Erste Versuche wurden vorrangig mit einem kohlenstofffaserverstärkten Polyamid (PA 6 CF) durchgeführt, mit dem circa 80 % des Eigenschaftsniveaus von spritzgießtechnisch hergestellten Proben erreicht werden konnten. Darüber hinaus wurden gute Ergebnisse auch mit anderen Standard-Kunststoffen, wie Polypropylen oder thermoplas- tische Elastomere (TPE) zur Herstellung von elastischen Bauteilen erzielt. Weitere Untersuchungen mit anderen Kunststoffen sowie Kooperationen zu Materialherstellern befinden sich in Vorbereitung.

Prozessparameter

Klassische Kunststoffspritzgießbauteile sind in der Regel prozess- und designbedingt als dünnwandige Strukturen ausgeführt. Der SEAM-Prozess erlaubt, abhängig von der Tischgeschwindigkeit sowie Austragsleistung des Extruders, unterschiedliche Wandstärken in einer gedruckten Spur zu erzeugen. So können beispielsweise mit einer 1-mm-Düse und dem PA-6 CF-Material Strangbreiten zwischen 1,2 und 3,1 mm realisiert werden.

An der Prozessgrenze bei minimalen Strangbreiten tritt ein Strangabriss auf. Ist die Tischgeschwindigkeit größer als die Stranggeschwindigkeit eingestellt, wird der Schmelzestrang beim Austritt aus der Düse beschleunigt und in der Länge gedehnt. Bei Überschreiten einer kritischen Dehnung reißt dieser ab und es ist kein lückenloser Bauteilaufbau mehr möglich (Bild 2).

Bild 2 Modell Fließverhalten des Strangs beim Austritt aus der Düse (oben), Fotografien der auftretenden Effekte (unten). Bild: Fraunhofer IWU

Bild 2 Modell Fließverhalten des Strangs beim Austritt aus der Düse (oben), Fotografien der auftretenden Effekte (unten). Bild: Fraunhofer IWU

Ist die Geschwindigkeit des Schmelzestrangs größer als die des Tisches, wird der Strang beim Austritt aus der Düse abgebremst. Dadurch findet ein radiales Fließen der Schmelze in die Breite und in Strangrichtung statt, welche sich zusätzlich mit der Tischbewegung überlagert. Mit Erreichen einer kritischen Stauchung eilt die Schmelze so weit voraus, dass beim Überfahren des ausgetragenen Materials mit der Düse Turbulenzen entstehen. Dies äußert sich zum einen in einer rauen Bauteiloberfläche und zum anderen in einer hohen Porosität in der Grenzschicht zwischen den Schichten. Dieser Effekt begrenzt entsprechend die maximal mögliche Strangbreite.

Mittels Parameterstudien (Bild 3) konnte gezeigt werden, dass die Prozessgrenzen der Strangbreite auch stark abhängig vom eingestellten Schmelzestrom sind.

Bild 3 Parameterabhängigkeit der Prozessgrenzen bei Variation des Massestroms (links) und der Stranghöhe (rechts). Bild: Fraunhofer IWU

Bild 3 Parameterabhängigkeit der Prozessgrenzen bei Variation des Massestroms (links) und der Stranghöhe (rechts). Bild: Fraunhofer IWU

Bei höheren Masseströmen beziehungsweise Stranggeschwindigkeiten wird das Prozessfenster kleiner. Dies äußert sich etwa dadurch, dass der ausgetragene Strang früher abreißt beziehungsweise Turbulenzen in der Austragszone bereits bei schmaleren Strängen auftreten. Ist bei einem Massestrom von 500 g/h noch eine Strangbreite zwischen 1,2 und 3,1 mm realisierbar, reduziert sich diese bei 2 kg/h auf 1,8 bis 2,4 mm.

Mit einer 1-mm-Düse konnte ein stabiler Prozess bei Schichthöhen zwischen 0,3 und 0,5 mm erreicht werden. Auch hier zeigt sich eine ausgeprägte Abhängigkeit der Prozessgrenzen etwa dadurch, dass bei größeren Schichthöhen das Prozessfenster größer wird. Beispielsweise werden bei einem Massestrom von 0,9 kg/h bei einer Schichthöhe von 0,5 mm Strangbreiten zwischen 1,3 mm bis 3,4 mm erreicht. Wohingegen sich für eine Schichthöhe von 0,3 mm Strangbreiten zwischen 1,9 mm bis 2,9 mm ergeben.

Bezüglich der maximal möglichen Tischgeschwindigkeiten zeigten die Parameterstudien bisher noch keine Begrenzungen. Versuche mit 560 mm/s beziehungsweise 33,6 m/min resultierten darin, dass die Grenzgeschwindigkeit der Bauplattform erreicht wurde, jedoch die Prozessgrenze „Strangabriss“ nicht erreicht werden konnte.

Hohe Varibilität

Im Vergleich zum FDM/FLM-Prozess, wo die realisierbare Strangbreite in engen Grenzen ungefähr dem Düsendurchmesser entspricht, zeichnet sich der SEAM-Prozess durch seine hohe Variabilität aus. Dies trifft auch dann zu, wenn eine ungünstige Parameterwahl – zum Beispiel niedrige Stranghöhe oder hoher Massestrom – getroffen wurde. Dadurch kann das sehr zeitaufwendige Ausschraffieren (infill) der Flächen vermieden und eine deutlich erhöhte Prozessgeschwindigkeit erzielt werden. Ein Bauzeitenvergleich zwischen einem etablierten FDM-Drucker und dem SEAM-Verfahren ergab eine mögliche Reduzierung um 60 % von 142,3 h auf unter 40,0 h inklusive Stützstruktur bei einem großvolumigen Gehäusebauteil. Bild 4 zeigt gedruckte Probekörper aus PA6 CF sowie erzielte Überhangwinkel von bis zu 46° ohne die Nutzung von Stützstrukturen.

Bild 4 Hergestellte Versuchsteile (links: Demonstratorbauteil auf Bauplattform H = 300 mm, Wanddicke 2 mm, Bauzeit 18 min; rechts: 1: verrippter Träger, Bauzeit 8 min; 2: diagonal gebautes Versuchsteil mit Überhang von 46°; 3: Versuchsteil zum Aufdrucken auf „kaltes Kunststoffbauteil“. Bild: Fraunhofer IWU

Bild 4 Hergestellte Versuchsteile (links: Demonstratorbauteil auf Bauplattform H = 300 mm, Wanddicke 2 mm, Bauzeit 18 min; rechts: 1: verrippter Träger, Bauzeit 8 min; 2: diagonal gebautes Versuchsteil mit Überhang von 46°; 3: Versuchsteil zum Aufdrucken auf „kaltes Kunststoffbauteil“. Bild: Fraunhofer IWU

Der Bauprozess erfolgte bei normalen Raumbedingungen unter Temperierung der Bauplattform beziehungsweise der Austragszone.

Zum geregelten Drucken in Kurven und Ecken sowie bei Positionssprüngen ohne Materialaustrag ist die Regelung der Austragsleistung in Abhängigkeit der Bahngeschwindigkeit erforderlich. Aufgrund des sehr trägen Plastifizierverhaltens eines Extruders ist eine Volumenänderung über die Extruderdrehzahl nicht sinnvoll möglich. Daher wurde eine vorgeschaltete Einheit entwickelt, die einen geschwindigkeitsabhängigen Materialaustrag von 0 bis 100 % erlaubt. Die sich derzeit in Erprobung befindende Einheit würde so die bekannte Bahnsteuerung von klassischen FLM-Prozessen und die Herstellung komplex gestalteter Strukturen erlauben.

Fazit

Das neu entwickelte SEAM-Verfahren erweitert die Möglichkeiten zur effizienten Herstellung von Kunststoffbauteilen in einem 3-D-Druck-Verfahren deutlich. Aufgrund der geringen Materialkosten und der kurzen Herstellungszeiten können die Bauteilkosten um ein vielfaches reduziert werden. Auch können mit diesem Verfahren Materialien verarbeitet werden, die bisher nicht möglich waren, wobei gleiche Oberflächenqualitäten wie beim Standard-FLM-Prozess erreicht werden. Das SEAM-Verfahren ist ebenfalls für die Herstellung von Großstrukturen geeignet. Hierzu wurden bereits erste Entwicklungen mit der italienischen Firma CMS-Industries zur Herstellung großformatiger Laminierformen und Bearbeitungsvorrichtungen für die Herstellung von großflächigen Faserverbundbauteilen gestartet. Dazu wird eine Extrusionseinheit in ein Portalbewegungssystem integriert und erreicht somit ein Bauvolumen von mehreren Kubikmetern. Das am Fraunhofer IWU entwickelte SEAM-Verfahren ist für die weitere Entwicklung der additiven Fertigungstechnologien für den industriellen Einsatz von zukunftsweisender Bedeutung und könnte einen entscheidenden Schritt zur Effizienzsteigerung der 3-D-Druckprozesse darstellen.

Dr.-Ing. Martin Kausch, Abteilungsleiter Fraunhofer IWU
Dipl.-Ing. (FH) Johannes Blase, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fraunhofer IWU
Dipl.-Ing. (FH) Christopher John, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fraunhofer IWU
Prof. Dr.-Ing. habil. Prof. h. c. Dr. h. c. Prof. Lothar Kroll, Hauptabteilungsleiter Fraunhofer IWU
Michael Holzinger, M. Sc., Forschung Bereich Neue Technologien und Innovationen bei der BMW Group
Dr.-Ing. Andreas Reinhardt, Forschung Bereich Neue Technologien und Innovationen bei der BMW Group

Kontakt: Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU), Reichenhainer Straße 88, 09126 Chemnitz
www.iwu.fraunhofer.de