Digitalisierung eines Bootes aus der Kolonialzeit
Grabungsarbeiten für eine neue Metrostation im australischen Sydney führten zum Fund eines archäologischen Unikats; digitalisiert wurde es mit 3D-Scans.

Fundstelle und Ausgrabungsort des Barangaroo Boat.
Foto: Silentworld Foundation / Sydney Metro
Wenn man von außergewöhnlichen Begegnungen in Australien berichtet, so denkt man wohl zuerst an ein ungewöhnliches, womöglich gefährliches Säuge- oder Kriechtier, das sich seinen Weg in die Stadt gebahnt hat. In diesem Fall ist die Begegnung weniger lebensbedrohlich, denn es handelt sich um den Fund eines Bootes, das aus Zeiten der europäischen Kolonisierung stammt. Am Standort der zukünftigen Barangaroo Metro Station stieß das Team der Silentworld Foundation auf eine historische Schiffswerft. Die Silentworld Foundation ist eine australische Non-Profit-Organisation, die sich auf Meeresarchäologie, Geschichte, Kultur und deren Erbe konzentriert. Das Gebiet ist nach Barangaroo benannt, einer Aborigine-Frau des Cammeraygal-Clans, die zur Zeit der europäischen Kolonisierung eine mächtige Anführerin war.
Moderne 3D-Scantechnik sorgt für effiziente Verarbeitung historischer Artefakte
Es gab lange Diskussionen darüber, wie das 12 m lange und 3 m breite Boot, das vermutlich aus der Zeit um 1820 stammt, ausgegraben werden sollte – in einem Stück oder in kleineren Teilen. Schließlich wurde es als sicherer erachtet, das Objekt zu zerlegen, jedes Teil zu entfernen, vor Ort zu erfassen und zu verpacken, um es später in gekühlten Versandcontainern zu transportieren. Die Aufgabe des Teams bestand nun darin, alle Einzelheiten über das Boot in Erfahrung zu bringen, es digital zu erfassen und nachzubauen, während das Originalboot für die Ausstellung vorbereitet wurde. Dieses Vorhaben wurde mit 3D-Scannern von Artec 3D und der zugehörigen Scansoftware umgesetzt. Alternativ wären dabei auch 2D-Zeichnungen möglich gewesen, die zwar kostengünstiger, aber dafür wesentlich zeitaufwändiger und ungenauer sind.

Die in Chemikalien und Wasser konservierten Einzelteile des Bootes.
Foto: Silentworld Foundation / Sydney Metro
Ein besonders interessantes Projekt ist es nicht nur aufgrund der Tatsache, dass das ausgegrabene Boot das älteste in der australischen Kolonialzeit gebaute Schiff ist, sondern auch wegen der Art und Weise, wie die Digitalisierung und Konservierung vonstattengingen. Mit dem Einsatz von 3D-Scannern erhält man eine objektive 3D-Reproduktion des Holzes selbst, sowohl mit dessen Geometrie wie auch seiner Farbe. Artec Eva ist das Flaggschiff unter den Scannern von Artec 3D, teilt das Unternehmen mit. Der leichte, tragbare 3D-Scanner sei vielseitig einsetzbar und die ideale Wahl für das Erstellen präziser, strukturierter 3D-Scans. Das Scannen mit dem Strukturlicht eigne sich besonders für kleine bis mittelgroße Objekte in den unterschiedlichsten Branchen, von Wissenschaft und Bildung bis hin zur Kunst- und Designszene. Dabei seien die zu scannenden Objekte sehr vielfältig, ganz gleich, ob es sich um eine menschliche Büste oder ein 200 Jahre altes Boot handelt.
Komplexe Verarbeitung der Teile
Weil jedes der fast 300 Teile so verpackt und gelagert wurde, dass seine ursprüngliche Form beziehungsweise die Form, in der es gefunden worden war, erhalten blieb, mussten die Teile unmittelbar nach dem Auspacken erfasst werden. Im Anschluss kamen die einzelnen Teile wieder ins Wasser, wobei sie ihre Form verändern hätten können. Das bedeutet, dass alles äußerst effizient und präzise vonstattengehen musste. Dabei wurden einige der dünneren Teile, wie beispielsweise die Planken, aufgehängt. So wurde sichergestellt, dass das Scannen in nur einem Durchgang erfolgen konnte.

Das Team erfasste die einzelnen Teile mit dem 3D-Scanner Artec Eva.
Foto: Silentworld Foundation / Sydney Metro
Digitalisierung und Nachbearbeitung mit intelligenter Software
Nach der Verarbeitung der Scandaten in der Software Artec Studio importierte das Team die 3D-Modelle in die Modellierungssoftware Rhino, wo sie die wichtigsten Merkmale noch einmal betonten. Der Vorgang des 3D-Scannens sowie die spätere Bearbeitung ist ein einfacher Prozess, der sofort digitale Volumenkörper liefert, sodass die Kanten nicht nachgezeichnet werden müssen. Durch dieses Verfahren waren alle Arbeiten innerhalb eines Monats erledigt – ein großer Unterschied zu herkömmlichen Prozessen, die über ein Jahr gedauert hätten.

Nach der Verarbeitung der Scandaten in der Software Artec Studio importierte das Team die 3D-Modelle in die Modellierungssoftware Rhino.
Foto: Silentworld Foundation / Sydney Metro
Während die Teile des Bootes behandelt und einem Prozess unterzogen wurden, bei dem das Wasser im Holz durch flüssiges Wachs ersetzt wird – eine Methode, die bei berühmten Schiffen wie der englischen Mary Rose und der schwedischen Vasa angewandt wurden – fanden zeitgleich weitere Arbeiten statt, um die Ankunft des Bootes in seinem neuen Zuhause im Australian National Maritime Museum vorzubereiten. Nach einer Beize in Chemikalien kamen die Hölzer schubweise in einen Gefriertrockner. Danach wurden sie weiter gereinigt und gepflegt, bis der Wiederaufbau innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre erfolgen kann. Dazu müssen anhand der 3D-Modelle maßstabsgetreue Versionen jedes einzelnen Teils gedruckt werden, bevor der Zusammenbau der Hölzer im Galerieraum beginnt. Es wird also eine kleine maßstabsgetreue Puzzleversion des Bootes geben. Und wenn dieses zusammengesetzt ist, geschieht dies auch mit dem originalen Boot.
Während der gewaltige Kraftakt zur Aufbereitung dieses Oldtimer-Bootes für das heutige Publikum seinen Lauf nimmt, regt die Geschichte dahinter Ideen an, wie das Leben damals gewesen sein könnte. Zwar erfüllte das Boot keinen kommerziellen Zweck, doch war es robust gebaut und wurde für kleine Fährfahrten flussauf- und abwärts, innerhalb der Hafenperipherien und vielleicht sogar entlang der Küste genutzt. Man kann sich heute nur vorstellen, was der Bootseigner wohl sagen würde, wenn er Jahrhunderte später sein starkes und doch bescheidenes Boot sehen könnte, in seinem neuen Zuhause, wo es durch modernste 3D-Scantechnik so aufbereitet wurde, damit sich in Zukunft viele Besucher ein Bild davon machen können.