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Lebende Fassadenfarbe 03.06.2025, 09:13 Uhr

Mikrobielles Fassadenkonzept: Wie lebende Farbe CO2 bindet und Luft reinigt

Ein internationales Forschungsteam entwickelt ein richtungsweisendes Fassadenmaterial: Lebende Farbe mit Mikroorganismen, die CO2 speichern, Schadstoffe filtern und Gebäudefassaden aktiv schützen. Die Innovation könnte Millionen Quadratmeter Baustruktur nachhaltig transformieren.

Verschiedene Pilzarten, isoliert von Gebäudefassaden in der slowenischen Küstenstadt Izola. Foto: Ana Gubenšek

Verschiedene Pilzarten, isoliert von Gebäudefassaden in der slowenischen Küstenstadt Izola.

Foto: Ana Gubenšek

Gebäudefassaden haben bislang vor allem eine ästhetische und schützende Funktion. Doch ein interdisziplinäres Forschungsteam will diese Flächen in aktive Systeme verwandeln, die das Klima schützen und zur Luftreinigung beitragen. Im EU-geförderten Projekt REMEDY arbeitet ein Konsortium aus Forschungseinrichtungen und Unternehmen daran, funktionale Mikroorganismen in Spezialfarben zu integrieren. Ziel ist eine lebende Fassadenfarbe, die CO2 speichert, Oberflächen schützt und Luftschadstoffe abbaut.

Riesiges Potenzial: 9,4 Milliarden Quadratmeter nutzbare Fläche

Laut der Europäischen Umweltagentur werden in den kommenden 25 Jahren rund 9,4 Milliarden Quadratmeter an Fassaden und Dächern in der EU saniert oder neu gebaut. Das Projekt REMEDY will dieses Potenzial nutzen, ohne neue Flächen zu beanspruchen. „Das ist ein sehr großes Potenzial, das wir nutzen sollten. Mikrobiologische Lebensgemeinschaften auf Dächern und Fassaden könnten zahlreiche Funktionen übernehmen, ohne dabei knappe, unbebaute Flächen zu beanspruchen“, bestätigt Carole Planchette von der TU Graz.

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Ein nützliches Mikrobiom für Gebäude

Die Projektpartner erforschen die Integration gezielt ausgewählter Mikroorganismen wie Pilze und Algen in eine druckfähige Farbe. Das Ziel: ein stabiles, widerstandsfähiges Mikrobiom, das nicht nur schädliche Mikroben verdrängt, sondern auch kleine Risse in der Fassade selbst reparieren kann. Nina Gunde-Cimerman von der Universität Ljubljana leitet die Mikrobiologie-Arbeiten.

Technologische Hürden: Tinte mit lebenden Zellen

Carole Planchette ist am Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung der TU Graz für die Entwicklung einer geeigneten Tinte verantwortlich. „Wir haben uns für den Inkjet-Druck entschieden, weil wir damit die lebende Tinte sehr präzise, kontrolliert und schnell zugleich auftragen können“, so Planchette. Die Herausforderung liegt in der Größe der Mikroorganismen: Mit mehreren Mikrometern sind sie für klassische Inkjet-Technik zu groß. Deshalb arbeitet die TU Graz mit dem slowakischen Druckspezialisten Qres Technologies und Tiger Coatings an technischen Anpassungen.

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REMEDY verbindet Biologie und Materialwissenschaft

Die Projektkoordination liegt bei Anna Sandak vom slowenischen Forschungsinstitut InnoRenew CoE. Sie betont: „Im Projekt REMEDY wollen wir grundlegende Fortschritte im Bereich der Mikrobiologie und synthetischen Biologie erzielen und das Know-how in die Materialwissenschaft übertragen.“ Ziel sei es, Biofabrikationsverfahren zu entwickeln, mit denen personalisierte, biologisch aktive Architekturoberflächen realisierbar werden.

Design trifft Funktionalität: Lebende Tattoos für Gebäude

Die sogenannte „lebende Tinte“ soll sich auf unterschiedlichsten Materialien wie Beton, Metall oder Holz auftragen lassen. Dabei entsteht eine Art Tattoo für die Gebäudehülle: sichtbar, individuell gestaltbar, aber zugleich funktional und aktiv. Diese Mischung aus Gestaltung, Funktion und Ökologie könnte die Art, wie wir Architektur denken und bauen, grundlegend verändern.

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Wissenschaftlicher Anspruch trifft industrielle Machbarkeit

„Ich bin zuversichtlich, dass wir innerhalb der Projektlaufzeit geeignete Tinten und die angepasste Inkjet-Technologie entwickeln“, sagt Planchette. Sie rechnet auch damit, widerstandsfähige Mikroorganismen zu identifizieren, die die Belastung des Druckprozesses überstehen. Die größte Herausforderung: Reproduzierbarkeit. „Denn lebende – also sich wandelnde – Tinten für industrielle Prozesse wie den Tintenstrahldruck zu verwenden, die nur sehr geringe Parameterschwankungen tolerieren, ist absolutes Neuland.“

Zukunftspotenzial: Nachhaltigkeit auf zellulärer Ebene

Die Vision von REMEDY geht weit über technische Innovation hinaus. Es geht um eine neue Schnittstelle zwischen belebter Natur und gebauter Umwelt. Eine Verbindung, die nicht nur die Funktionalität von Fassaden verbessert, sondern auch einen direkten Beitrag zum Klimaschutz leistet – etwa durch CO2-Speicherung oder die Bindung von Feinstaub.

Von Text: TU Graz / RMW