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Kreislaufwirtschaft Bauindustrie 05.06.2025, 12:00 Uhr

EU-Projekt „Reincarnate“ transformiert Ressourcenmanagement im Bauwesen

Kreislaufwirtschaft Bauindustrie neu gedacht: Das EU-Projekt „Reincarnate“ revolutioniert den Umgang mit Baumaterialien, entwickelt innovative digitale Tools und demonstriert in internationalen Praxisprojekten, wie aus Abfall neue Ressourcen werden.

Timo Hartmann an einem Roboterarm. Mit dem Roboterarm wird erforscht, wie das Prinzip des Recyclings in der Bauwirtschaft verankert werden kann. Der Roboterarm steht in der Peter-Behrens-Halle der TU Berlin, einer weltweit einmaligen Versuchshalle. Foto: Kevin Fuchs

Timo Hartmann an einem Roboterarm. Mit dem Roboterarm wird erforscht, wie das Prinzip des Recyclings in der Bauwirtschaft verankert werden kann. Der Roboterarm steht in der Peter-Behrens-Halle der TU Berlin, einer weltweit einmaligen Versuchshalle.

Foto: Kevin Fuchs

Kreislaufwirtschaft Bauindustrie – unter diesem Schlagwort beginnt eine fundamentale Transformation im europäischen Bausektor. Das EU-Forschungsprojekt „Reincarnate“ zielt darauf ab, eine jahrzehntelang lineare und ressourcenintensive Branche in ein zirkuläres, ressourcenschonendes System zu überführen. Im Zentrum stehen zehn digitale Innovationen, die nicht nur neue Wege des Bauens aufzeigen, sondern auch einen systemischen Wandel einläuten – weg von der Deponie, hin zu einem geschlossenen Stoffkreislauf.

Digitalisierung als Schlüssel zur Materialtransparenz

Beim schwedischen Entsorgungs- und Recyclingunternehmen Ragn Sells entsteht derzeit eine hochmoderne Datenbank, die sämtliche Rohmaterialien erfasst, die beim Rückbau von Gebäuden anfallen. Diese digitale Infrastruktur ist ein zentraler Baustein des Projekts. Parallel dazu haben deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein KI-gestütztes Tool entwickelt, mit dem sich aus den erfassten Materialien neue Baustoffe erzeugen lassen. Die Kombination aus Datenerhebung und Künstlicher Intelligenz ermöglicht eine präzise Wiederverwertung von Ressourcen, die bisher als Bauabfall galten.

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Von der Forschung in die Praxis: 13 europäische Pilotprojekte

Das genannte KI-basierte Tool ist nur eines von zehn digitalen Innovationsmodulen, die im Rahmen von „Reincarnate“ entstanden sind. Diese Lösungen werden aktuell in dreizehn realen Bauprojekten in Europa und China getestet – von der digitalen Materialverfolgung über automatisierte Rückbautechnologien bis hin zur Wiederverwendung von Bauteilen. Auch die Ragn-Sells-Datenbank zählt zu diesen Demonstratoren und zeigt exemplarisch, wie digitale Werkzeuge in der Bauabfallwirtschaft der Zukunft zum Einsatz kommen können.

Der Bauwirtschaft eine neue Richtung geben

„Bislang funktioniert die Bauwirtschaft nach der Devise: bauen, nutzen, abreißen“, sagt Timo Hartmann, Professor für Systemtechnik baulicher Anlagen an der TU Berlin und Koordinator des Projekts, in dem Wissenschaft und Wirtschaft eng kooperieren. „Von dem linearen, umweltfeindlichen Bauen müssen wir uns verabschieden – dem Planeten zuliebe, aber auch, weil Europa vor dem Problem knapper werdender Ressourcen steht und aufgrund geopolitischer Veränderungen nicht mehr, wie bisher, ohne Weiteres Zugriff auf Ressourcen haben wird.“

Die Dringlichkeit für einen Wandel ist enorm: Rund 25 bis 30 % des gesamten Abfallaufkommens in Europa stammen aus dem Bauabriss. Obwohl viele Materialien prinzipiell wiederverwertbar wären, landen Fenster, Türen, Leitungen oder Gipskartonplatten häufig direkt auf der Deponie. Bestenfalls werden sie noch als Füllmaterial im Straßenbau genutzt – ein Verlust an Rohstoffen und Energie.

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Verlängern, Wiederverwenden, Aufwerten: Drei Prinzipien der Kreislaufwirtschaft

Um die Kreislaufwirtschaft in der Bauindustrie systematisch zu etablieren, setzt das Projekt „Reincarnate“ auf drei Kernprinzipien: die Verlängerung der Nutzungsdauer bestehender Gebäude, die Wiederverwendung von Bauteilen und die qualitative Aufwertung recycelter Materialien. Die TU Berlin erforscht hierzu etwa, wie sich Türen zerstörungsfrei demontieren und in neuen Gebäuden wieder einbauen lassen. Oder wie sich einfachverglaste Fenster robotergestützt zu modernen Mehrfachverglasungen kombinieren lassen, die anschließend in komplette Fassadenelemente integriert werden.

Innovationen entlang des gesamten Materialflusses

Die zehn im Rahmen von „Reincarnate“ entwickelten Technologien decken den gesamten Lebenszyklus von Bauprodukten ab. Dazu zählen:

  • Digitale Werkzeuge für Materialverfolgung und Abfallmanagement: Sie erfassen, klassifizieren und analysieren alle Baustoffe bereits vor dem Rückbau.
  • Automatisierte Rückbaulösungen und Trennsysteme: Roboter und KI-gestützte Systeme ermöglichen eine präzise und zerstörungsfreie Rückgewinnung von Bauteilen.
  • Branchenübergreifende Innovationen für neue Baustoffe: Materialien werden nicht nur recycelt, sondern funktional aufgewertet und für neue Baukonzepte eingesetzt.

Internationale Umsetzung: Von Berlin bis Hongkong

Die entwickelten Technologien werden in verschiedenen Pilotprojekten eingesetzt: Bei der Sanierung von Immobilien der Berliner Verwaltung, bei der automatisierten Gebäudeinspektion eines Hotels in Hongkong, beim Rückbau veralteter Gebäude in der niederländischen Stadt Amersfoort sowie beim Abriss und Neubau von Klärwerken in Spanien. Diese Praxisbeispiele zeigen, dass die Kreislaufwirtschaft in der Bauindustrie nicht länger Theorie ist, sondern bereits gelebte Realität an vielen Orten der Welt.

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Ein europäischer Impuls für globale Transformation

„Reincarnate“ steht für mehr als nur technische Innovationen – das Projekt ist ein Impulsgeber für eine tiefgreifende Transformation des Bauwesens. Es verbindet Wissenschaft und Praxis, Digitalisierung und Nachhaltigkeit, europäische Forschung und globale Herausforderungen. Vor allem aber stellt es eines klar: Die Zukunft des Bauens liegt nicht im Wegwerfen, sondern im Wiederverwenden, Weiterentwickeln und intelligenten Nutzen vorhandener Ressourcen.

Fazit: Nachhaltige Bauwirtschaft durch digitale Innovation sichern

Mit seinem integrativen Ansatz zeigt das Projekt „Reincarnate“, wie die Kreislaufwirtschaft Bauindustrie Realität werden kann – durch datenbasierte Materialtransparenz, automatisierte Rückbauprozesse und kreative Wiederverwendung bestehender Bauteile. Die europäische Bauwirtschaft steht nach Ansicht der Projektpartner an der Schwelle zu einer neuen Ära, in der Digitalisierung und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen – für eine ressourcenschonende, zukunftsfähige Architektur.

Text: TU Berlin / RMW