Zum E-Paper
Energieunabhängige Gebäude 18.06.2025, 14:31 Uhr

Netzwerk präsentiert Ansatz für bezahlbaren Wohnraum

Vier Unternehmen aus der Immobilien- und Energiebranche wollen mit dem „Energy Flat Living“-Modell bezahlbaren Wohnraum in Großstädten schaffen. Die konsequente Nutzung von Photovoltaik und Infrarotheizungen sind dafür maßgebliche Voraussetzungen und sollen eine Pauschalmiete von 12,50 Euro je Quadratmeter garantieren.

Fragerunde nach den Vorträgen (v. l.): Alan Luksic (Gesellschafter Nane Bau GmbH), Sven Keussen (geschäftsführender Gesellschafter Rohrer Immobilien GmbH), Lars Keussen (Gründer des Kompetenzzentrums 3lectrify) und Energieexperte Professor Dipl.-Ing. Timo Leukefeld (Timo Leukefeld GmbH). Foto: 3lectrify

Fragerunde nach den Vorträgen (v. l.): Alan Luksic (Gesellschafter Nane Bau GmbH), Sven Keussen (geschäftsführender Gesellschafter Rohrer Immobilien GmbH), Lars Keussen (Gründer des Kompetenzzentrums 3lectrify) und Energieexperte Professor Dipl.-Ing. Timo Leukefeld (Timo Leukefeld GmbH).

Foto: 3lectrify

Wie dramatisch die Wohnsituation für viele Mieterinnen und Mieter derzeit ist, zeigt das Beispiel München. Der durchschnittliche Kalt-Mietpreis liegt hier laut Mietspiegel aktuell bei rund 20 Euro je Quadratmeter, Tendenz steigend. Es fehlen rund 80.000 Wohnungen, gleichzeitig wird die Einwohnerzahl Schätzungen zufolge von derzeit 1,6 Millionen bis zum Jahr 2040 auf über 1,8 Millionen Menschen steigen. Vergleichbare Herausforderungen haben nahezu alle deutschen Großstädte zu bewältigen. Unweit der bayerischen Metropole präsentierte ein privatwirtschaftliches Netzwerk im oberbayerischen Sauerlach jetzt ihren Ansatz für einen Ausweg aus dieser Misere. „Wir wollen einen Weg aus der Wohnungsnot aufzeigen“, so Lars Keussen, Gründer des Kompetenzzentrums 3lectrify und Gastgeber der Veranstaltung. „Wir“, dass sind das über 100 Jahre alte Immobilienunternehmen Rohrer Immobilien (München), das Berliner Bauunternehmen Nane Bau, das Kompetenzzentrum 3lectrify und Energieexperte Professor Dipl.-Ing Timo Leukefeld.

Wesentliche Kostenblöcke des Baus reduzieren

Der Dreh- und Angelpunkt, mit dem die Beteiligten ohne staatliche Förderung Pauschalmietpreise von 12,50 Euro je Quadratmeter inklusive der Energie- und Nebenkosten realisieren wollen, ist die Wärme- und Stromversorgung in den Mehrfamilienhäusern. Der Ansatz: Große Photovoltaikanlagen sollen über 50 Prozent des elektrischen und thermischen Energiebedarfs decken, elektrische Infrarotheizungen ohne aufwendige Verrohrung sollen kostensparend für Wärme sorgen. Dadurch würden wesentliche Kostenblöcke des Baus und der laufenden Kosten reduziert. Hinzu kommen weitere Sparfaktoren wie serielles Bauen mit vorgefertigten Elementen sowie der Verzicht auf Tiefgarage und Keller. Essenziell ist weiterhin die Finanzierung der Bauprojekte über ESG-Bonds.

Mit Photovoltaikanlagen auf dem Dach und an den Fassaden lassen sich hohe solare Deckungsgrade für die Strom- und Wärmeversorgung erreichen.

Foto: Nane Bau

Keussen appellierte im Rahmen der Veranstaltung zudem an die Eigentümer von ungenutzten Grundstücken: „Sie können eine gesellschaftlich notwendige Aufgabe erfüllen, indem sie mit der Verpachtung ihrer Grundstücke die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum ermöglichen.“ Dabei gingen sie kein Risiko ein, da sie die erschlossenen, baureifen Grundstücke gegen ein Nutzungsentgelt im Rahmen eines Erbpacht-Vertrages zur Verfügung stellen – jahrzehntelange Einnahmen seien auf diese Weise gesichert.

Im Fokus stehen Wohnungen für Haushalte mit mittlerem Einkommen in Großstädten. 1.000 Wohnungen sollen zunächst in Bayern entstehen, langfristig sollen es 100.000 Wohnungen in deutschen Metropolen sein.

Erprobtes Energiekonzept für hochgradig energieunabhängige Gebäude

Das solare Bau- und Energiekonzept, das dem „Energy Flat Living“-Modell zugrunde liegt, ist bereits erprobt. Seit 2018 hat Professor Dipl.-Ing. Timo Leukefeld nach eigenen Angaben Energiekonzepte für hochgradig energieunabhängige Gebäude mit rund 1.200 Wohnungen geplant, davon etwa 900 mit Photovoltaikanlagen, Batteriespeichersystemen, Infrarotheizungen und dezentralen Autarkieboilern. In den neuen und sanierten Gebäuden zahlen die Mietenden nach Leukefeld Pauschalmietpreise inklusiv Strom- und Wärmekosten (Heizung und Warmwasser) zwischen 11,50 Euro und 14,50 Euro je Quadratmeter. Diese würden durch die niedrigen und weiter sinkenden Gestehungskosten für selbst erzeugten Solarstrom ermöglicht. In der Regel seien die Pauschalmietpreise zunächst für fünf Jahre vereinbart.

In Aschersleben in Sachsen-Anhalt wurden zwei Plattenbauten aus der DDR-Zeit zu hochgradig energieunabhängigen Mehrfamilienhäusern saniert. Der dritte Plattenbau, der nach dem gleichen Konzept saniert wird, soll Ende dieses Jahr bezugsfertig sein.

Foto: Timo Leukefeld GmbH

Durch die Pauschalmiete brauchen die Vermieter keine Nebenkostenabrechnung mehr zu erstellen, auch das Ablesen der Verbrauchszähler in den Wohnungen ist nicht mehr nötig. Damit entfallen zwei wesentliche Kostenfaktoren in den laufenden Verwaltungskosten. Voraussetzung für die Pauschalmiete ist, dass mindestens 50 Prozent des Energiebedarfs solar gedeckt werden. „Dann fällt das Gebäude aus der Heizkostenverordnung“, erklärt Leukefeld. Weiterhin sei die Enttechnisierung der Heiztechnik zentral: Statt der üblichen Heizungen mit wasserführender Wärmeverteilung werden Infrarotheizgeräte installiert, die sich durch niedrigere Anschaffungs- und Folgekosten auszeichnen und deren Leitungen nur in die ohnehin vorhandenen Steckdosen eingesteckt werden müssen. „Kabel statt Rohre“ laute das Prinzip, so Leukefeld. Auch durch die garantierte 30-jährige Lebensdauer für die im Konzept eingesetzten Infrarotheizungen sowie ihre Wartungsfreiheit würden Kosten eingespart.

Lars Keussen wies auf den präsenzorientierten Betrieb von Infrarotheizungen hin. Sie laufen vor allem dann, wenn Personen im Raum sind und Wärme benötigen. Geregelt werden die Heizgeräte durch Thermostate. Durch die sehr gute Gebäudehülle – aktuell mit Effizienzhaus-Standard KfW 40 – sei der Heizenergiebedarf sehr niedrig, was einfache und kostengünstige Heizsysteme begünstigt. Für die Warmwasserbereitung werden dezentrale Autarkie-Boiler eingeplant, die bevorzugt Solarstrom nutzen.

Baureife Grundstücke für schnellen Start gesucht

Sven Keussen, geschäftsführender Gesellschafter der Rohrer Immobilien GmbH, erläuterte den Zuhörenden weitere Voraussetzungen für die Umsetzung des „Energy Flat Living“-Modells. Grundstückseigentümer können ihren Grund beispielsweise mit einer 99-jährigen Erbpacht zur Verfügung stellen und bleiben so Eigentümer. Sie könnten zwischen 1 und 1,50 Euro je Quadratmeter und Monat erhalten. „Wichtig ist, dass das Grundstück vollständig erschlossen ist“, betonte Sven Keussen. So sollte beispielsweise der Anschluss an Wasser, Strom und Abwasser vorhanden sein. Um einen schnellen Baustart zu ermöglichen, solle das Grundstück „baureif“ sein. Weiterhin sollte der Baustart rechtlich geklärt sein, um Abstimmungsprozesse zu vermeiden. Zudem sollte eine Befreiung von der Tiefgaragen-Pflicht existieren. Im Idealfall sei es möglich mit Pultdach zu bauen, um viel Fläche für die Solarstrommodule zu schaffen.

Nachhaltiges Vorhaben: Finanzierung über ESG-Anleihen möglich

Informationen rund um die Finanzierung und Rentabilität eines „Energy Flat Living“-Bauprojektes kamen von Alan Luksic, Gesellschafter der Nane Bau GmbH. Er erläuterte zunächst, weshalb die Finanzierung über ESG-Bonds (Environmental, Social and Governance Bonds) erfolgen soll. Die Anleihen werden für Projekte emittiert, die Ziele der 17 Sustainable Development Goals (SDG) der United Nations erfüllen. „Energy Flat Living“ erfülle direkt mehrere davon: zum Beispiel stabilen Wohnraum zu schaffen, innovative Wohn- und Energiekonzepte für nachhaltige Stadtentwicklung zu entwickeln sowie durch energieeffiziente, fossilfreie Gebäude CO2-Emissionen zu reduzieren.

Dann wird Luksic konkret: Wenn ein 1.500 Quadratmeter großes Grundstück unter den genannten Voraussetzungen bebaut werden kann, könne in etwa zwölf Monaten ab Baubeginn ein Mehrfamilienhaus mit 15 bis 20 Wohnungen (jeweils rund 70 Quadratmeter Wohnfläche) entstehen. Mit Verzicht auf eine Tiefgarage und einen Keller, die teuren Tiefbau erfordern, könne sich die Gesamtinvestition ohne staatliche Förderung auf rund 2,1 Millionen Euro für 15 Wohnungen belaufen, so Luksic.

„Vielleicht müssen Hürden wie die Stellplatzpflicht und die Vorgabe, mit Satteldach zu bauen, überwunden werden. Aber der Punkt ist eben, dass alle sich bewegen müssen“, appellierte Lars Keussen an die Anwesenden. „Es muss der gemeinsame Wille von allen Beteiligten vorhanden sein, um bezahlbaren Wohnraum in Metropolen zu schaffen.“ Dies könnten zum Beispiel Kommunen mit Programmen für Einheimische sein, aber auch Kirchen, die einen sozialen Auftrag erfüllen wollen, oder Unternehmen, die Wohnungen als Incentives für ihre Mitarbeiter schaffen wollen. Bei Veranstaltungen am 29./30. September 2025 und am 12./13. November 2025 möchte er weiter für sein Vorhaben werben.

Ebenfalls interessant:

  1. Privatisierung von Nord Stream 2 im Gespräch
  2. Welche fünf KI-Tools jeder SHK-Handwerker kennen sollte
  3. Delabie plant Übernahme von KWC Professional
  4. Vertragsrecht am Bau: Verfallen Mängelansprüche durch zweiten Werkvertrag?
  5. Fraunhofer-Ausgründung unterstützt bei Agri-Photovoltaik
  6. Heizungsmarkt: Trendwende oder Allzeittief?
  7. Studie: Wer BIM nutzt, und wer nicht
Von 3lectrify / Marc Daniel Schmelzer