Stromverteilnetze: Algorithmen zur Reduzierung von Lastspitzen entwickelt
Die Wärmepumpe gilt als Schlüsseltechnologie für das Gelingen einer Wärmewende, die Absatzzahlen der Geräte steigen von Jahr zu Jahr. Experten befürchten jedoch, dass die deutschen Stromverteilnetze für diese Entwicklung nicht passend ausgelegt sind. Am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg entwickelte Algorithmen, könnten helfen auftretende Lastspitzen zu reduzieren. Getestet wurde das Verfahren bereits in Schweden.

Foto: panthermedia.net/ thomberlin
Prognosen gehen davon aus, dass der Anteil der Wärmepumpe am deutschen Heizungsmix in den kommenden Jahren stark steigen wird. Rund 53 % aller Neubauten wurden im vergangenen Jahr bereits mit der Technologie ausgestattet. Für die Niederspannungsverteilnetze in Wohngebieten könnte dieser Trend ohne Nachjustierung zu einer Belastung werden. Denn: Wird es draußen kalt, liefern alle Wärmepumpen gleichzeitig eine hohe Heizleistung. Entsprechend stark steigt der Strombedarf im Verteilnetz. In den Netzen und an den Transformatoren, die die Spannung im vorgelagerten Mittelspannungsnetz auf die Spannung im Verteilnetz umwandeln, treten dann höhere Lastspitzen auf. Das könnte sie überlasten. Die Forschenden am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) haben daher Algorithmen entwickelt, um die Gleichzeitigkeit der Wärmepumpenlasten in einem Netzgebiet zu verringern. „Die Herausforderung ist, am frühen Morgen und am Abend für alle ein warmes Haus bereitzustellen, ohne dass alle Wärmepumpen gleichzeitig anspringen – und das auch an Tagen mit minus zehn Grad Celsius Außentemperatur“, erklärt Dr. Jann Binder vom ZSW.
Das neue Verfahren ist eines von vielen, die die Baden-Württemberger für Netzbetreiber, Hersteller und Anwender erdacht haben. Ziel ist es, große Verbraucher wie Wärmepumpen und E-Ladesäulen in bestehenden Netzen durch intelligenten Betrieb möglichst ohne spürbare Einschränkung nutzen zu können. Das ZSW gehört zu den führenden Instituten für angewandte Forschung auf den Gebieten Photovoltaik, regenerative Kraftstoffe, Batterietechnik und Brennstoffzellen sowie Energiesystemanalyse.
Zwei Ansätze für eine passgenaue Stromversorgung
Und so funktioniert das Verfahren: Bei einer absehbaren Netzbelastung schaltet sich die Wärmepumpe früher ein und läuft länger, dafür aber mit geringerer Leistung. Das Verfahren nutzt die Wärmekapazität des Hauses als Speichermedium und entlastet so das Netz. Die Forschenden setzen dies wohldosiert ein, um den Wärmeverlust nicht wesentlich zu erhöhen und die entstehende Temperaturabweichung vom Sollwert in Grenzen zu halten.
Zur Auswahl standen zwei Ansätze: ein zentraler Ansatz, bei dem die Wärmepumpen der Haushalte von einer Zentrale über virtuelle Energiepreise einen Anreiz zu einem verteilten Betrieb erhalten, und ein dezentraler Ansatz, bei dem die Wärmepumpen lediglich auf die lokal erfassten Temperaturschwankungen und Verringerungen der Netzspannung reagieren, ohne Verbindung zu einer Zentrale. Der zentrale Ansatz erreicht die geforderte Netzentlastung von zehn Prozent mit drei Prozent weniger Mehraufwand an Heizenergie als der dezentrale Ansatz, da er den Bedarf zum „Vorheizen“ und die Gleichzeitigkeit des Wärmepumpenbetriebs passgenauer vermeiden kann. Er erfordert jedoch eine hohe Zahl von Berechnungen zur Festlegung der individuellen Fahrpläne und dadurch mehr Kommunikationsaufwand zwischen allen Wärmepumpen und der Zentrale.
Das Ergebnis für den einfacheren dezentralen Ansatz: Bei der zehnprozentigen Reduktion der Trafolast zu Spitzenzeiten veränderte sich die Spreizung der Innentemperatur nur minimal; von 20 bis 22 Grad Celsius auf 19,2 bis 22,2 Grad Celsius. Nutzt man zusätzlich eine Prognose des Trends der Außentemperatur wird die niedrigste Temperatur sogar auf 19,4 Grad Celsius begrenzt. Würde man dieselbe Reduktion der Trafolast allein durch lineare Reduktion der Wärmepumpenleistung erreichen wollen, so würde die minimale Innentemperatur 17 Grad Celsius betragen, also drei Grad und nicht nur 0,6 Grad weniger. Bei der Entwicklung des dezentralen Ansatzes achtete das ZSW auf eine einfache Ausgestaltung. „Der Algorithmus braucht keine externe Kommunikationsanbindung für die Fernsteuerung der Wärmepumpen. Als Informationsquelle wird die lokal gemessene Netzspannung verwendet“, berichtet Binder. Sinkt die Spannung unter einen Grenzwert, ist das ein Anzeichen für eine zu hohe Netzbelastung. In der Folge springt der Algorithmus an und moduliert die Wärmepumpenleistung. Gegenüber einer zentralen Steuerung von Wärmepumpen ohne aufwendige bidirektionale Kommunikation kann ein dezentraler Algorithmus die Fähigkeit des Hauses, Wärme zu speichern, individuell und wohl dosiert nutzen. Damit verringert sich die entstehende Temperaturabsenkung gegenüber derjenigen, die bei einer zentralen Abschaltung von Wärmepumpen bei Netzengpässen entstehen würde.
Verfahren in Skandinavien getestet
In Schweden können der Einfluss von Wärmepumpen auf die Belastung des Stromnetzes und ihr netzdienlicher Betrieb bereits heute sehr gut untersucht werden. Das skandinavische Land verfügt über eine hohe Kohlendioxid-Steuer, der Einsatz von Wärmepumpen ist daher bereits weit verbreitet. Die ZSW-Forschenden entschieden sich für das Testgebiet Ramsjö in der Nähe von Stockholm. Hier werden die Häuser vorwiegend mit Wärmepumpen geheizt. Ideal: Im Winter gibts es bei besonders kalten Wetterlagen eine starke Belastung der Transformatoren. Das Forschungsvorhaben war Teil des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Projektes NEMoGrid (Förderkennzeichen 0350016A). Die Laufzeit betrug gut drei Jahre und endete am 31. Dezember 2020.
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