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Energiesprong-Projekt 17.05.2025, 13:14 Uhr

Frische Raumluft trotz luftdichter Dämmung

Im Zuge eines Pilotprojekts wurde ein Mehrfamilienhaus im Kölner Stadtteil Zollstock vom energetischen Problemfall zum Vorzeigeprojekt mit KfW-Effizienzhaus 40 EE-Standard. Um trotz luftdichter Dämmung ein gesundes Raumklima zu gewährleisten, wurden alle Wohnungen mit Komfort-Lüftungsgeräten ausgestattet.

Mit der Aufstockung der Dämmung wäre eine ausreichende Luftzufuhr für die 16 Wohnungen nicht mehr gewährleistet gewesen. Foto: Zehnder Group Deutschland GmbH

Mit der Aufstockung der Dämmung wäre eine ausreichende Luftzufuhr für die 16 Wohnungen nicht mehr gewährleistet gewesen.

Foto: Zehnder Group Deutschland GmbH

Noch immer hat der Gebäudesektor die wenig schmeichelhafte Rolle als einer der weltweit größten Energieverbraucher inne. Das liegt unter anderem am allgegenwärtigen Sanierungsstau, von dem auch Deutschland nicht ausgenommen ist und dank dem das Erreichen der Klimaschutzziele bis 2045 erheblich gefährdet ist. Die Gründe für die geringe Sanierungsrate von unter einem Prozent sind vielfältig und liegen unter anderem in aufwendigen Planungen, hohen Investitionskosten, dem allgegenwärtigen Fachkräftemangel sowie geringer Akzeptanz von Mieterseite begründet. Das aus den Niederlanden stammende Energiesprong-Prinzip schickt sich an, der Sanierungsquote nun auch hierzulande auf die Sprünge zu helfen, indem es eine schnelle, minimalinvasive und kostengünstige Instandsetzung von Mehrfamilienhäusern verspricht. Die Deutsche Energie-Agentur (dena) hat den neuartigen Sanierungsansatz in Deutschland initiiert, finanziert wird er vom Wirtschaftsministerium. Unterstützung kommt zusätzlich vom Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW).

Energiesprong-Pilotprojekt : Lösungen sind energiesparend und gleichzeitig regenerativ und rückbaubar

Energiesprong-Sanierungen zeichnen sich durch eine Reihe von Besonderheiten aus: Ganze Mehrfamilienhäuser werden ähnlich dem Fertighausbau mit Hilfe von vorgefertigten Bau- und Technikelementen und auf Basis digitalisierter und standardisierter Prozesse auf den nachhaltigen und energieeffizienten NetZero-Standard gebracht. Dies hat nicht nur zur Folge, dass die Sanierung besonders schnell über die Bühne geht und damit auch günstiger ausfällt, sondern so wird auch verhindert, dass die Mieterinnen und Mieter mit einer Erhöhung der Kaltmiete konfrontiert werden. Denn dank der enormen Energiekosteneinsparung finanziert sich die Sanierung à la Energiesprong zu einem großen Teil von selbst.

Das 1961 erbaute Mehrfamilienhaus (992 Quadratmeter Fläche) wurde 2021 als Energiesprong-Pilotprojekt ausgewählt.

Foto: Zehnder Group Deutschland GmbH

Das 1961 erbaute Mehrfamilienhaus der als Bauherrin fungierenden „Wohnungsgenossenschaft am Vorgebirgspark“ im Kölner Stadtteil Zollstock wurde 2021 als Energiesprong-Pilotprojekt ausgewählt und ist eines der ersten Gebäude, das hierzulande nach dem Prinzip saniert wurde. Es entspricht dabei exakt der beschriebenen Kategorie an Gebäuden, die durch schlechte Dämmung sowie ineffiziente Wärmeerzeugung und -verteilung zum „Klimakiller“-Image des Gebäudesektors beitragen. Damit gehört es zu den rund 500.000 Gebäuden in Deutschland, die sich laut Auskunft der dena für eine Energiesprong-Sanierung eignen, nämlich „insbesondere Wohnhäuser, aus den 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahren mit bis zu drei Etagen, einfacher Hülle und einem hohen Energieverbrauch von rund 130 kWh/ma oder mehr“.

Mit der Konzeption und Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen betraute die Wohnungsgenossenschaft die Planer vom „energiebüro vom Stein“ sowie das Architekturbüro „Zeller Kölmel Architekten“. Beide Unternehmen sind für ihren ökologischen Anspruch bekannt und setzten sich für eine Lösung ein, die möglichst energiesparend und gleichzeitig regenerativ und rückbaubar funktioniert. Mit Korona Holzbau aus dem benachbarten Bergisch-Gladbach fand man zudem einen regional ansässigen Hersteller von nachhaltigen Fertighäusern und Hauselementen aus Holz, der aufgrund seiner ganzheitlichen Herangehensweise und Erfahrung im Bausektor hauptverantwortlich mit der Umsetzung betraut wurde. Durch die regionale Ansässigkeit konnten außerdem lange und energieintensive Transportwege vermieden werden. In der firmeneigenen Werkstatt wurde nicht nur die neue, stark gedämmte Gebäudehülle modelliert und hergestellt, die Firma übernahm auch die komplette SHK-Installation.

Lüftungslösung für spezielle Anforderungen gesucht

Mit der enormen Aufstockung der Dämmung wäre eine ausreichende Luftzufuhr für die 16 Wohnungen allerdings nicht mehr gewährleistet gewesen. Zwar ließen sich die Wohneinheiten wie zuvor per Fenster belüften, doch damit würde die aufwendige Abdichtung der Gebäudehülle nutzlos gemacht und wertvolle Heizenergie verschwendet werden. Die Planer- und Architektenbüros suchten also nach einer passenden Lösung zur kontrollierten Belüftung der einzelnen Mietparteien. Dabei stellte sich jedoch schnell heraus, dass der Markt schlicht keine Lüftungsgeräte bereithielt, die den Anforderungen gerecht wurden, wie Klaus Zeller, geschäftsführender Gesellschafter bei Zeller Kölmel Architekten, berichtet: „Zentrale Lüftungsgeräte in jeder Wohnung konnten wir logistisch nicht unterbringen, da hierfür ein gesonderter Technikraum oder anderweitig Wohnfläche notwendig gewesen wäre, und für dezentrale Lösungen fehlten die passenden Außenwandflächen“.

Einen Ausweg aus diesem Dilemma brachte die Bekanntschaft der beiden Unternehmen mit Marcus Bieleit, dem unter anderem für den Großraum Köln zuständigen Gebietsleiter Wohnraumlüftung bei der Zehnder Group Deutschland GmbH aus Lahr / Schwarzwald. „Mit Marcus Bieleit und Zehnder besteht seit vielen Jahren ein reger Austausch. Das Unternehmen war auch der erste Lüftungshersteller, der uns für dieses Pionierprojekt in den Sinn kam“, so Jörg vom Stein, Geschäftsführer des gleichnamigen Planungsbüros. „Gemeinsam mit Herrn Bieleit suchten wir also nach einer Lösung für unser Problem. Und wie sich zeigen sollte, hatten wir dabei großes Glück“, fügt der impulsgebende Planer hinzu. Zu diesem Zeitpunkt war nämlich die Entwicklung eines neuen, Komfort-Lüftungsgeräts, das exakt auf die Anforderungen in Mehrfamilienhäusern zugeschnitten ist, bereits weit vorangeschritten.

„Die Idee für Zehnder ComfoAir Fit 100 wurde tatsächlich im Vertrieb geboren, da es immer wieder Nachfragen nach einem kompakteren zentralen Komfort-Lüftungsgerät gab, das von der Größe her genau zwischen unseren dezentralen und zentralen Geräten liegt“, berichtet Marcus Bieleit und erzählt weiter: „Als die Firmen vom Stein und Zeller Kölmel auf mich zukamen, dachte ich natürlich sofort an unsere neueste Entwicklung. Und dank einer gemeinsamen Anstrengung der Zehnder ‚Lüftungsstandorte‘ Lahr, Reinsdorf und dem niederländischen Zwolle gelang es uns einen exklusiven Prototyp für den Einsatz im Kölner Sanierungsprojekt frühzeitig fertigzustellen“.

Dieser Prototyp stieß auf Begeisterung seitens der Projektverantwortlichen: Besonders dank seiner kompakten Abmessungen von gerade einmal 821 x 465 x 216 mm und der Option einer versteckten Montage in der Wand bei gleichzeitig gewohnt hoher Leistung und Effizienz, bekam das Gerät schnell den Segen aller Beteiligten. Daraufhin wurden 15 weitere Exemplare bestellt. „Alle verfügen über einen integrierten Enthalpietauscher, der für effiziente Wärme- und komfortable Feuchterückgewinnung sorgt. Dadurch kommen wir hier komplett ohne Kondensatanschluss aus und den Bewohnern droht weder trockene Luft im Winter noch Schimmelbildung aufgrund zu hoher Luftfeuchte. Ganz zu schweigen von der Wärmerückgewinnung, die einen Großteil der Heizkosten einspart“, fasst Marcus Bieleit die Vorzüge der neuen Komfort-Lüftungsgerätes zusammen.

Die Lüftungsgeräte besitzen Revisionsöffnungen an der Gebäudefassade und können daher von außen gewartet werden.

Foto: Zehnder Group Deutschland GmbH

In dem Kölner Mehrfamilienhaus konnten diese elegant in der neuen Außenfassade versteckt werden. So geht keinerlei Wohnraum verloren und die Bewohner bekommen abseits des behaglichen Luftwechsels und der frischen Raumluft nichts von der intelligenten Haustechnik mit. Der besondere Clou: Die Geräte besitzen Revisionsöffnungen an der Gebäudefassade und können daher von außen gewartet werden. Und trotz des einfachen Zugriffs bleibt der Frostschutz der Lüftungsgeräte auch bei eisigen Temperaturen stets gewährleistet.

Gebäudedämmung in Vorfertigung

Der Wohnungsgenossenschaft lag nicht nur am Herzen, dass die Mietparteien keiner finanziellen Mehrbelastung ausgesetzt werden, sondern während des kompletten Sanierungszeitraums in ihren Wohnungen bleiben können. Für die beteiligten Unternehmen war das jedoch mehr Motivation als Einschränkung: Um den operativen Eingriff in die Gebäudehülle so wenig invasiv wie möglich zu gestalten, entschied man sich dazu, die neue Fassade mit einer Dämmung von etwa 45 cm und inklusive vormontierter Fenster und Türen komplett vorzufertigen und im nächsten Schritt damit das Bestandsgebäude einzukleiden. Diese Vorgehensweise erforderte auch, dass die Lüftungsgeräte sowie die Luftverteilung bereits im Vorhinein in die neue Fassade integriert werden. „Dafür haben wir in der Werkstatt von Korona Holzbau gemeinsam an der optimalen Lösung getüftelt“, berichtet Marcus Bieleit.

Zur Veranschaulichung wurde dort erst mit Modellen gearbeitet, bis die richtigen Maße und die perfekte Auslegung feststanden. Dann fertigte das Holzbauunternehmen die Elemente der neuen Außenfassade und setzte dabei bereits bauseits die Lüftungskomponenten ein, sodass auf der Baustelle lediglich Kernlochbohrungen und finale Installationsschritte vorgenommen werden mussten.

Die Mietparteien profitieren seit dem Abschluss der kurzen Sanierungsphase im Dezember 2022 nicht nur von erheblich reduzierten Heizkosten, sondern auch von behaglicher Frischluft in allen Räumen. Dabei können die Fenster allzeit geschlossen bleiben und dank CO2– und Feuchte-Sensoren arbeiten die Lüftungsgeräte bedarfsgerecht und vollautomatisch. Dank effektiver Wärmerückgewinnung sind diese zudem maßgeblich daran beteiligt, dass das Mehrfamilienhaus mit dem Effizienzhaus 40 EE-Standard die höchste Stufe des KfW-Förderstatus erreicht. Das gesamte Gebäude benötigt also nur 40 Prozent der Energie eines konventionellen Neubaus und mindestens 65 Prozent davon werden mit erneuerbaren Energien abgedeckt. Zudem erfüllt das Energiesprong-Pilotprojekt den sogenannten NetZero-Standard, was bedeutet, dass am und im Gebäude über das gesamte Jahr betrachtet, ebenso viel erneuerbare Energie selbst erzeugt wird, wie die Bewohner mit Heizung, Warmwasser und Strom verbrauchen. Diese grüne Energie liefert eine große Photovoltaik-Anlage auf dem Dach des Gebäudes, die ebenfalls neu angebracht wurde.

Rundum energetisch saniert

Darüber hinaus umfasst die Sanierung eine lange Liste an Maßnahmen, die alle zum hohen Energiestandard des Gebäudes beitragen: Die Fassadenelemente sind in Holztafelbauweise hergestellt und mit Zellulosedämmstoff gefüllt. Damit besteht die neue Fassade weitestgehend aus ökologischen Baustoffen und ist rückbau- und wiederverwertbar, was das Kölner Mehrfamilienhaus zum ersten Energiesprong-Projekt macht, bei dem die Prinzipien des kreislaufgerechten Bauens umgesetzt wurden.

Auch das Dach wurde mit vorgefertigten Elementen energetisch ertüchtigt, bevor es mit PV-Modulen bestückt wurde. Für Heizwärme und Warmwasser sorgt eine Luft-Wärmepumpe mit groß dimensioniertem Pufferspeicher und effizientem vollelektrischem Durchlauferhitzer. Zudem wurden die veralteten und inneffizienten Heizkörper durch Niedertemperatur-Heizkörper ausgetauscht. Sie verfügen über integrierte aktivierte Lüfter, die die Konvektion zusätzlich erhöhen und so die Aufheizphase verkürzen und die Heizleistung erhöhen.

Die Gesamtkosten der energetischen Modernisierung lagen bei 1,9 Millionen Euro, von denen 876.000 Euro über die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) und 235.000 Euro über das Interreg-Programm der Europäischen Union gefördert wurden. Somit sind mehr als 50 Prozent der Sanierung mithilfe von Fördermitteln erreicht worden. „Erste Messungen nach dem Einbau lieferten sehr gute Werte in Bezug auf den CO2-Gehalt und die Feuchtigkeit in den Wohnungen“, berichtet Markus Bieleit und fügt hinzu: „Die Mieterinnen und Mieter sind durch und durch sehr zufrieden mit dem Ergebnis der Sanierung im Allgemeinen und dem Raumklima im Speziellen. Es gibt auch keinerlei Geräuschbelastung durch die Lüftungssysteme“.

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Von Zehnder / Marc Daniel Schmelzer