Wie Reifenabrieb Gewässer verschmutzt
Autoreifen setzen beim Fahren feine Partikel frei, die eine komplexe Mischung verschiedener Verbindungen enthalten, darunter giftige Substanzen: Schwermetalle wie Cadmium und Zink und organische Stoffe wie das Ozonschutz- oder Antioxidationsmittel 6-PPD. Gelangen die Reifenpartikel in Gewässer, werden die Schadstoffe dort ausgelaugt. Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hat den aktuellen Wissensstand in einer Studie zusammengefasst und warnt vor der schädlichen Wirkung auf aquatische Organismen und den damit verbundenen ökologischen Folgen.
Von der Straße kann der Reifenabrieb in Gewässer gelangen, wie hier in Nittel an der Obermosel.
Foto: smarterpix/azurin
Vor allem durch Wind und Regen gelangt Reifenabrieb in Flüsse und Seen. Diese Partikel machen 50 bis 90 % des gesamten Mikroplastiks aus, das bei Regen von den Straßen abfließt. Wissenschaftliche Hochrechnungen deuten zudem darauf hin, dass fast die Hälfte (45 %) des in Böden und Gewässern gefundenen Mikroplastiks von Reifenabrieb stammt. Die Konzentration in einem Gewässer kann um mehrere Größenordnungen variieren und liegt zwischen 0,00001 bis 10 000 mg/l.
Nicht nur Partikel sondern auch Giftstoffe
Das IGB hat bestehende Studien über die Auswirkungen von Reifenabrieb auf Wasserorganismen analysiert und einen Überblick über die möglichen ökologischen Folgen erstellt: Das Problem beim Reifenabrieb sind nicht nur die Partikel selbst, die lange in der Umwelt verbleiben und sich wie anderes Mikroplastik verhalten, sondern auch die Auswaschung von giftigen Zusatzstoffen. Denn Autoreifen bestehen nicht nur aus Kautschuk. Tatsächlich finden sich in Reifengummi 2 456 chemische Verbindungen, von denen mindestens 144 in den Auslaugungen vorkommen. Darunter sind organische Schadstoffe wie Hexa(methoxymethyl)melamin, Dibutylphthalat, N-(1,3-Dimethylbutyl)-N′-phenyl-p-phenylendiamin (6-PDD), 6-PDD sowie 6-PDD-Chinon. Außerdem Schwermetalle wie Zink und Mangan in beträchtlichen Mengen, Cadmium und Blei. Diese Stoffe dienen zum Ozonschutz, als Antioxidationsmittel oder Weichmacher, Chemikalien für die Vulkanisation sowie Verstärkungs- und Füllmaterialien. Beim Auslaugungsprozess setzt Reifenabrieb mehr Chemikalien frei als Thermoplastik wie PE. Die Partikel und ihre Auslaugungen können im Körper die Bildung von freien Radikalen (oxidativer Stress) fördern, Erbgutveränderungen verursachen und die Immunreaktion verändern. Auf Ebene des Organismus beeinträchtigen sie bei Tieren das Fressverhalten, die Fortpflanzung und das Überleben.
Auswirkungen auf die Biodiversität
Die Studie beleuchtet auch die umfassenderen Folgen für die Struktur und Funktion von Ökosystemen, um die Lücke zwischen toxikologischen Reaktionen bei Lebewesen und den Prozessen auf Ökosystemebene zu schließen: Hier verursachen die Partikel Verschiebungen in der Artenzusammensetzung, verringern die aquatische Biodiversität und verändern das Nahrungsnetz. Dadurch beeinflussen sie den Kohlenstoff- und Stickstoffkreislauf erheblich und verändern somit essenzielle Prozesse wie die Bildung von Biomasse oder die Verfügbarkeit von Nährstoffen.
Globale Umweltveränderungen wie Erwärmung und Versauerung werden die Auswirkungen von Reifenabrieb und seinen Auslaugungen noch verschärfen, indem sie ihre Toxizität sowie ihre interaktiven Auswirkungen auf die mikrobielle Aktivität, den Nährstoffkreislauf und die Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen verändern.




