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E-Fuels 05.05.2023, 15:30 Uhr

Tauziehen um den Wirkungsgrad

Bei der Nutzung von einheimischem grünem Strom liegen batterieelektrische Autos weit vorn. Doch bei Importen holen die mit E-Fuels betriebenen Verbrenner auf.

Ohne kostengünstigen und reichlichen Solar- und Windstrom läuft bei Antrieben künftig nichts mehr. Sei es für batterieelektrische E-Autos oder Verbrenner mit E-Fuels. Foto; PantherMedia/Vailery

Ohne kostengünstigen und reichlichen Solar- und Windstrom läuft bei Antrieben künftig nichts mehr. Sei es für batterieelektrische E-Autos oder Verbrenner mit E-Fuels. Foto; PantherMedia/Vailery

Dass sich der freidemokratische Verkehrsminister Volker Wissing in der Europäischen Union durchgesetzt hat, dass auch nach 2035 Neuwagen mit Verbrennungsmotor zugelassen werden dürfen, die ausschließlich umweltneutrale E-Fuels tanken, hat die Anhänger der batterieelektrischen Fahrzeuge (englisch battery electric vehicle, BEV) verständnislos zurückgelassen. Synthetische Treibstoff haben nach deren Ansicht einen verheerend schlechten Wirkungsgrad, BEV dagegen einen glänzend guten. Das sagt sogar das renommierte Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe. BEV seien bis zu fünfmal effizienter. Aber so einfach ist es nicht.

Ohne Umweg in die Akkus

Wenn man Strom betrachtet, der in Deutschland mit Windrädern oder Photovoltaik hergestellt wird, liegen BEV tatsächlich weit vorn, erst recht, wenn sie Solarstrom vom eigenen Dach tanken. Die Energie fließt gewissermaßen vom Windgenerator aus direkt in die Akkus. Um E-Fuels herzustellen muss Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Luft oder in Biogasanlagen gewonnen und Wasserstoff durch Elektrolyse erzeugt werden. Schließlich müssen diese beiden Gase zu Treibstoffen verschmolzen werden. In jedem Schritt geht Energie verloren, sodass tatsächlich höchsten ein Fünftel der einheimischen Ausgangsenergie in den Fahrzeugtanks landet.

Wasserstoff muss importiert werden

Doch mit dem hierzulande umweltneutral hergestellten Strom kommt man derzeit noch nicht so weit. Im Durchschnitt decken Wind- und Solarstrom knapp 50 % des Strombedarfs ab. Der Ausbau der Erneuerbaren geht bei weitem nicht so schnell voran wie es nötig wäre. Dazu kommt der wachsende Bedarf von Wärmepumpen und E-Autos. Derzeit müssen fossile Kraftwerke über längere Perioden oft mehr als die Hälfte des benötigten Stroms produzieren, verstärkt wurde dies durch die Teilrenaissance der Kohle infolge der Abkehr vom russischen „Kriegs“-Gas.

Brennstoffzellen könnten diesen Part übernehmen, sogar umweltneutral. Doch der hierzulande produzierte grüne Wasserstoff wird bei weitem nicht reichen, auch dann nicht, wenn die Nordsee, wie neun Anrainerstaaten gerade im belgischen Ostende beschlossen haben, zu einem gigantischen Windpark ausgebaut wird. Auf jeden Fall muss Wasserstoff in sehr großen Mengen importiert werden, etwa in tiefgekühlter flüssiger Form, als Ammoniak oder „huckepack“, angelagert an eine organische Flüssigkeit. Wenn daraus wieder Strom gewonnen werden soll, um E-Autos zu „betanken“, sieht die Bilanz schon ganz anders aus, denn auf dem Weg etwa von Australien oder Chile nach Deutschland gibt es reichlich Umwandlungsverluste. Der glänzende Wirkungsgrad ist dann futsch.

Es kommt auf die Betrachtungsweise an

In den Ländern, in denen Wind- und Solarstrom mit hohem Wirkungsgrad produziert werden kann, könnten daraus gleich E-Fuels hergestellt werden, wie in Chile in einer Anlage von Siemens, die seit Ende 2022 synthetisches Benzin für Porsche herstellt. In der Anfangsphase sind es bescheidene 130 000 l/a. Mitte des Jahrzehnts sollen es rund 55 Mio. l sein, zwei Jahre später bereits zehnmal so viel. Würde dieser Treibstoff nach Deutschland transportiert, landete viel mehr der ursprünglichen Windenergie in den Tanks als wenn die E-Fuels in Deutschland aus einheimischem grünem Strom hergestellt würden.

E-fuel today, ein Interessenverband der Mineralölunternehmen und Tankstellenbetreiber, plädiert für eine „Well-to-Wheel (WtW)“-Betrachtung, also die Berechnung des Wirkungsgrads von der Quelle der Energieumwandlung bis zum Antriebsrad. WtW setzt sich zusammen aus „Well-to-Tank (WtT)“ und „Tank-to-Wheel (TtW)“. Bei WtT ist das E-Auto unschlagbar, weil der produzierte Strom direkt in der Batterie landet. Negativ wirken sich lediglich die Leitungs- und Transportverluste aus, etwa bei in Form von Wasserstoff indirekt importiertem Strom. Diese können den guten Wirkungsgrad, der bei einheimischem Strom erzielt wird, gründlich verhageln. Beim Import von E-Fuels fällt der Transportfaktor bei weitem nicht so stark ins Gewicht, zumal sie, anders als Strom, beliebig lange lagerbar sind.

Vierfache Ausbeute in Chile

Grüner Strom, der in Deutschland beispielsweise durch Windkraft produziert wird, hat übers Jahr gerechnet eine Effizienz von etwa 18 %. Knapp drei Prozentpunkte gehen beim Transport und der Umwandlung in Gleichstrom verloren. Eine identische Anlage in Chile kommt aufgrund von deutlich mehr Volllaststunden auf 74 %. Diese reduzieren sich durch Umwandlung in E-Fuels, Verschiffung nach und Transport in Deutschland auf knapp 36 %. Nach dieser Rechnung sind importierte E-Fuels also deutlich effektiver als Strom aus heimischer Produktion.

BEV bei Tank-to-Wheel vorne

Doch bei TtW trumpfen BEV auf. 82 % der Energie, die die Batterien aufnehmen, werden in Bewegung umgesetzt. Bei Verbrennerfahrzeugen sind es nur 35 % dessen, was in den Tank fließt. Zusammengenommen liegen beide Fahrzeugtypen also nah beieinander, was den Wirkungsgrad angeht.

Da die Kosten für Wasserstoffimporte und die Herstellung von E-Fuels noch längst nicht exakt beziffert werden können, weil sich alles noch im frühen Demonstrationsstadium oder davor befindet, lassen sich keine endgültigen Aussagen darüber machen, ob BEV oder Verbrennerautos, die E-Fuels tanken, am kosteneffektivsten sind und der Umwelt am gerechtesten werden. Angesichts der weltweiten Energieknappheit ist es wahrscheinlich, dass alle Möglichkeiten genutzt werden müssen, um die Klimaziele zu erreichen.

E-Fuels verursachen Stickoxide

Gegen E-Fuels spricht, dass sie Schadstoffemissionen wie Stickoxide und Feinstaub verursachen, allerdings weniger als Autos, die mit mineralischen Brennstoffen fahren. Bei E-Autos ist das allerdings ähnlich, denn der Strom, der in ihre Batterien fließt, ist ein Mix aus emissionsfreien Quellen und fossilen Kraftwerken, zumindest dann, wenn er aus dem öffentlichen Stromnetz stammt. 2021 lagen die spezifischen Treibhausgas-Emissionen in Deutschland bei 420 g pro erzeugter Kilowattstunde. 2020 lag dieser Wert noch bei 375 g/kWh. Wegen der weiter verstärkten Produktion von Kohlestrom dürfte er 2022 noch einmal angestiegen sein und auch in diesem Jahr nicht sinken.

E-Autos emittieren indirekt CO2

Kleine E-Autos begnügen sich auf 100 km mit etwa 15 kWh. Dabei emittieren sie etwa 6 kg CO2. Ein Diesel-Pkw mit einem Verbrauch von 6 l auf 100 km kommt auf 16 kg. Mit E-Fuels sind es 0 kg, vorausgesetzt, bei der Herstellung des Treibstoffs wird ausschließlich grüner Strom eingesetzt. Dazu kommen allerdings anteilig die Emissionen beim Transport von Australien, Chile, Namibia oder anderen sonnen- und windreichen Ländern nach Deutschland.

Enormer Bedarf für die Industrie

Die Fraunhofer-ISI-Forschenden führen allerdings einige ernstzunehmende Argumente für BEV und gegen E-Fuels an. Grüner Wasserstoff und E-Fuels würden eher zur Dekarbonisierung der Industrie gebraucht, etwa bei der Stahl- und Zementproduktion, sowie für den Luft- und Schiffsverkehr. Zudem wären E-Fuels bei weitem zu teuer. Andererseits würden auch Millionen Altfahrzeuge, die nach 2035 noch über die Straßen rollen, durch E-Fuels zu Musterknaben in Sachen Umweltschutz, beinahe jedenfalls.

Von Wolfgang Kempkens