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Business Objects for Energy 29.04.2021, 08:00 Uhr

Wie Open Source den Weg in die digitale Zukunft öffnet

Im Jahr 2016 der Energiewirtschaft erstmals als Idee präsentiert, nimmt der Softwarestandard Business Objects for Energy heute Schritt für Schritt mehr Formen an. Erfolgreiche Praxisanwendungen des Open-Source-Angebots zeigen, dass die schnittstellenfreie Datenkommunikation funktioniert und mit ihr flexibel statt monolithisch aufgebaute Softwaresysteme möglich sind. Experten sagen: Der Weg in die digitale Zukunft ist frei.

Bild: PantherMedia/kbuntu

Bild: PantherMedia/kbuntu

„Einfach loslaufen“, ist der Rat von Joscha Metze von der Hochfrequenz Unternehmensberatung GmbH, Grünwald, einem Unternehmen, das digitale Konzepte und Lösungen für Energieversorger anbietet, „es ist leichter, als man denkt.“ Der Senior Manager zielt auf die praktische Anwendung von „Business Objects for Energy“, kurz BO4E, dem Softwarestandard, den die Interessengemeinschaft Geschäftsobjekte Energiewirtschaft e. V., Hückelhoven, im Jahr 2016 ins Leben rief und seitdem stetig weiterentwickelt.

Heute ist die Interaktion von Anwendungen unterschiedlicher Anbieter noch schwierig. Mit Business Objects for Energy (BO4E), dem ersten unabhängigen Datenstandard für die Energiewirtschaft, soll die Kommunikation problemlos funktionieren. Bild: IG Geschäftsobjekte Energiewirtschaft

Hochfrequenz nutzt die Business Objects bereits seit zwei Jahren sehr erfolgreich, ist seit einem Jahr auch Vereinsmitglied und ermutigt seine Beratungskunden und Marktbegleiter, es ihm gleichzutun. „Ich arbeite täglich mit BO4E“, bekräftigt Metze und verweist als Berater auf den Nutzen einer praktisch schnittstellenfreien Datenkommunikation zwischen den verschiedensten Software-Applikationen. Softwareentwickler ruft er dazu auf, den Open-Source-Standard auf der BO4E-Website „einfach mal“ einzusehen, zu ermitteln, welche Business Objects es bereits gibt und diese als produktionsbereite Codes kostenfrei zu nutzen: „Wenn man erst den Anfang gemacht hat, läuft es wie von selbst.“

Auf die Frage, welche Unternehmen aus seinem Kundenkreis beziehungsweise Umfeld konkret mit dem BO4E-Standard arbeiten, nennt der Hochfrequenz-Berater zwei exemplarische Namen: Lynqtech und utili.bee. Die Lynqtech GmbH aus Hannover ist Anbieter cloudbasierter Lösungen für den Energievertrieb. Über eine Internetplattform erfolgen Leistungen des Kundenservices, der Abrechnung und Marktkommunikation. „Kommen neue Services hinzu, nutzen diese allesamt BO4E“, so Metze. 23 Millionen Business-Events würden bei Lynqtech bereits mit BO4E-kompatiblen Softwareanwendungen realisiert, 700 000 Markt- und Messlokationen sowie 900 000 Zähler angesteuert. Utili.bee, eine Innovationsmarke der Hochfrequenz Unternehmensberatung selbst, die für Cloud-Lösungen im deutschen Energiemarkt steht, hat standardisierte BO4E-Schnittstellen als Verbindung zu ERP-Systemen im Einsatz. Zudem erfolgen die Visualisierung, die Vollständigkeits- und Plausibilitätsprüfung vom Lastgangdaten wie auch der Service der Marktkommunikation via BO4E.

Vergleich von BO4E mit Linux

„Ich vergleiche BO4E gern mit Linux“, schlägt Metze die Brücke zum Open-Source-Betriebssystem, „zwar dominiert mit 87 % im Desktop-Bereich eindeutig Windows und Linux ist mit gerade einmal 2 % ein Winzling. Im Mobilfunksektor allerdings trumpft die Linux-Distribution Android mit immerhin 72 % gegenüber 28 % für iOS richtig auf.“ Metze ist davon überzeugt, dass sich BO4E, ähnlich wie Linux, vor allem in neuen und fortschrittlichen Softwareanwendungen ihren Platz erobern werden und sieht darin große Zukunftschancen für die Energiewirtschaft: „Die Business Objects haben das Zeug dazu, monolithische IT-Strukturen aufzubrechen und gegen flexible Softwarelandschaften zu ersetzen.“

16 Mitglieder in der BO4E-Gemeinschaft

Die Zukunftsvision einer hohen Flexibilität bei der Auswahl und Nutzung von Software-Applikationen teilen neben Hochfrequenz nicht nur die 15 weiteren Mitglieder der Interessengemeinschaft Geschäftsobjekte Energiewirtschaft, sondern auch die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion auf der „ene’t connect“, einer virtuellen Hausmesse des Energiedienstleisters und Software-Spezialisten ene’t GmbH aus Hückelhoven, die am 20. April 2021 stattfand. Zum Thema „Digitalisierungsgrad in EVU – Zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ diskutieren Kai Wacholder, Leiter Vertrieb, Gewerbekunden und strategisches Marketing bei der Städtische Werke AG, Kassel, Dr. Siegfried Numberger, CEO bei Preisenergie GmbH, München, Anbieter von Pricing-Software für Energieversorger, CRM-Experte Jörg Heitmann, Geschäftsführer der EVE Consulting und Beteiligungsgesellschaft mbH, Hamburg, Manuela Kukuruzovic, Leiterin Produktmanagement der SWM Versorgungs GmbH, München, sowie Peter Martin Schroer, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Geschäftsobjekte Energiewirtschaft.

Business Objects for Energy (BO4E) sorgen mit einem einheitlichen Kommunikationsstandard für einen reibungslosen Datenaustausch zwischen beliebigen Systemen. Bild: IG Geschäftsobjekte Energiewirtschaft

Die Diskutanten waren sich einig, dass bei den Energieversorgern große Unterschiede bei der Anwendung innovativer Datentechnik bestehen. Es gäbe die „Early Adopters“, die bereits über einen hohen Digitalisierungsgrad in ihren Unternehmen verfügen, und diejenigen, bei denen dies kaum der Fall sei. „Tatsächlich wollen jetzt und in Zukunft immer noch viele Kunden analog bedient werden“, gab Kukuruzovic zu bedenken, doch ging die Produktmanagerin mit dem Expertenkreis konform: In Zukunft werden digitale Services immer mehr Raum einnehmen – zum einen, weil der Kunde sie einfach verlangt, zum anderen, weil neue Geschäftsfelder und aktuelle Trends wie zum Beispiel die E-Mobilität, die dezentrale Energieerzeugung – Stichwort „Prosumer“ –, oder die Nutzung von Cloud-Services die Steuerung durch leistungsfähige Software voraussetzen.

Stadtwerke auf Standardisierung aus

„Dabei sind Stadtwerke auf Standardisierung aus“, betonte Wacholder auf der ene’t connect. Numberger von Preisenergie unterstrich: „Das beste Feature einer Software ist das, das ich nicht entwickeln muss“, – einschließlich der aufwendigen und kostenintensiven Programmierung individueller Schnittstellen von Applikation zu Applikation. Je einfacher und schneller deren Einsatz erfolgen könne, desto besser. Dem pflichtete Schroer bei: „Die BO4E verfolgen genau dieses Ziel.“

Schroer unterstrich außerdem: „Wir brauchen eine neue Unternehmenskultur, die den Kunden und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt. Dabei kommt digitalen Leistungen eine grundlegende Bedeutung zu“, und brachte es auf den Punkt: „Aus dem Energieversorger wird immer mehr ein digitaler Energiemanager. Softwarestrukturen müssen ihn dazu befähigen.“ Dass hier zum Beispiel die Energieversorger aus der Schweiz auf einem guten Weg sind und in ihren Ausschreibungen an Softwarelieferanten neue digitale Anforderungen stellen, berichtete Heitmann: „Zwar gibt es auch hier noch Begriffsschwierigkeiten, doch gehen die Schweizer konsequent voran.“ Dies sollte, so Heitmann, ein Ansporn für Deutschland sein, und er richtet einen Appell an die hiesigen Energieversorger: „Fangt an und traut Euch was.“

Peter Martin Schroer, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Geschäftsobjekte Energiewirtschaft e. V.: „Wir brauchen eine neue Unternehmenskultur, die den Kunden und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt. Dabei kommt digitalen Leistungen eine grundlegende Bedeutung zu.“ Bild: IG Geschäftsobjekte Energiewirtschaft

Projekt mit Kisters zur regionalen Angebotskalkulation

Traute beweist auch die Kisters AG aus Aachen. Zusammen mit der ene’t hat das Softwarehaus ein neues Projekt auf BO4E-Basis gestartet: „BelVis“, die, so Kisters, „marktkonforme Softwarelösung für alle Rollen im liberalisierten Energiemarkt“ interagiert mit dem „ene’t-Navigator“, einer Internetplattform mit Kalkulationstool sowie zur Durchführung des Tagesgeschäfts von Energieversorgern. Beide, Kisters und ene’t, haben dabei einen neuen Prozess zur regionalen Angebotskalkulation entwickelt. Dieser basiert auf dem dynamischen Austausch von Daten zwischen den zwei digitalen Lösungen wie zum Beispiel in Form des Zugriffs auf aktuelle Netzentgelte, bei der Deckungsbeitragsrechnung, der Anbindung von Billing-Systemen oder bei regionalen Tarifvergleichen.

„Wir sind noch nicht ganz fertig mit diesem Projekt“, sagt Markus Rahe, Solution Area Manager Sales Retail bei Kisters, „doch wir sind sehr zuversichtlich, dass unsere BelVis-Software damit noch kundenorientierter wird.“ Sämtliche für die neugestaltete Angebotskalkulation genutzten Software-Applikationen und Webservices sind dabei so konzipiert, dass sie ohne großen zeitlichen und finanziellen Aufwand in bestehende Prozesse integriert werden können. Dafür wurden diese Apps und Webservices nach BO4E-Standard entwickelt. Roland Hambach, Geschäftsführer von ene’t, macht deutlich: „Auf diese Weise sind sie universell einsetzbar.“ Systemgrenzen, ob bei Kisters oder ene’t, spielen keine Rolle und die Interaktion der Softwarelösungen erfolgt nach Angabe der beteiligten Unternehmen sicher, schnell und ohne Hindernisse.

Genderhinweis: Viele Publikationen gehen derzeit zur genderneutralen Schreibweise über. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichten wir auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d). Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

Von Christiane Straßenburg-Volkmann

Christiane Straßenburg-Volkmann, sv communication + consulting