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Nord- und Ostsee 09.02.2022, 13:54 Uhr

Vorfahrt für Fischerei oder Windparks?

Durch den massiven Offshore-Ausbau gehen zunehmend Fanggründe verloren. Alternativ könnten die Fundamente der Generatoren als Aquafarmen gestaltet werden, sagen Fischerei-Wissenschaftlerinnen.

Offshore-Windparks sind für die Fischerei tabu. Doch es gibt Ideen, wie beide Seiten voneinander profitieren könnten. Foto: PantherMedia/magann

Offshore-Windparks sind für die Fischerei tabu. Doch es gibt Ideen, wie beide Seiten voneinander profitieren könnten.

Foto: PantherMedia/magann

In Nord- und Ostsee wird es eng, obwohl die beiden Meere eine Fläche von gut 950 000 km2 haben. Mittelfristig sollen mit 80 000 km2 fast 10 % für Windparks reserviert werden. Angesichts gigantischer Ausbaupläne, vor allem von Deutschland und Dänemark, kann es schnell noch mehr werden. Die grüne Zukunft braucht Platz.

Bis zum Regierungswechsel in Berlin lag das Ausbauziel für die Offshore-Windenergie bis 2030 bei 15 GW. Die Ampelkoalition packte schnell noch mal 15 GW drauf. 2045 sollen es gar 75 GW sein. Angesichts dieser Pläne, und denen der EU, die noch ein paar 100 GW mehr plant, sehen die Fischerinnen und Fischer, ohnehin vom Brexit gebeutelt, schwarz. Denn die Windparkflächen sind für sie tabu. Sie dürfen sie lediglich durchfahren.

Tiefgreifende Folgen für Fischerei und Küstenregionen

Vanessa Stelzenmüller und Antje Gimpel vom Thünen-Institut für Seefischerei in Bremerhaven haben im Auftrag des Fischereiausschusses des Europäischen Parlaments eine Studie zu den Auswirkungen der Offshore-Windkraft und anderer erneuerbarer Energien wie Wellen- und Gezeitenkraftwerke im marinen Bereich auf die europäische Fischerei erarbeitet. Danach gehen vor allem für die Schleppnetzfischerei in der Nord- und Ostsee sowie der Keltischen See Fanggebiete in großem Umfang verloren. Neben tiefgreifenden wirtschaftlichen Folgen für den Sektor werde dies potenziell auch sozio-kulturelle Auswirkungen für lokale Gemeinschaften und Küstenregionen haben.

EU-weite Strategie gefordert

Bisher lassen sich die direkten und indirekten Kosten von Fanggebietsverlusten noch kaum beziffern. Sie werden aber als hoch eingeschätzt. Hier müsse dringend eine EU-weite Strategie der Erforschung und Überwachung entwickelt werden, so die Wissenschaftlerinnen. Auf deren Basis können dann die kumulativen Folgen des Ausbaus erneuerbarer Energien auf See für Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft besser erkannt und bewertet werden.

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Nicht nur Windräder beanspruchen Platz, auch Bohr- und Förderinseln, der Freizeitbereich, die Handelsschifffahrt und die Seestreitkräfte der Anrainerstaaten. Nötig sei eine maritime Raumplanung, die allen Interessengruppen gerecht werde, so Stelzenmüller. Bisher sei die Fischerei weitgehend vernachlässigt worden. Sie hat auch schon Ideen, wie ein Teilersatz für gesperrte Flächen geschaffen werden könnte. Sie schlägt vor, die Fundamente der Windgeneratoren so zu gestalten, dass dort in Aquakulturen Fische gezüchtet werden können. Stelzenmüller kann sich auch vorstellen, in den Windparks Reusen für den Fischfang zu installieren. Das stelle keine Gefahr für die Anlagen dar.

Fische „verkriechen“ sich in Windparks

Es sind nicht nur die wegfallenden Fanggründe, die die Fischerei ärgern. Ihre Beute nutzt die Windparks – wohl eher instinktiv – als Rückzugsgebiete, in denen sie keine Gefahr laufen, gefangen zu werden. Das sorgt dafür, dass die Netze leer bleiben. Andererseits erholen sich die Fischbestände, wenn auch unklar ist, ob die Meeresbewohner ihre Schutzzonen irgendwann wieder verlassen, sodass sie den Fischerinnen und Fischern wieder ins Netz gehen können.

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Langsam findet die Fischereigemeinde Fürsprecher. „Fischer sowie Aquakulturbetreibende sollten ein echtes Mitspracherecht haben, wenn es darum geht, wo Windräder gebaut werden,“ fordert Peter van Dalen, ein niederländischer EU-Abgeordneter der ChristenUnie, die zur Fraktion der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) gehört. Neue Windenergieanlagen sollten erst gebaut werden, wenn geklärt ist, „welche Auswirkungen auf die Wirtschaft, die Gesellschaft, die Umwelt, das Klima und die Artenvielfalt zu erwarten sind.“ So könnten beispielsweise „Fische und Meeressäuger durch den Infraschall der Rotorblätter von Offshore-Windparks verscheucht werden“, – allerdings gibt es Untersuchungen, nach denen sich zahlreiche Meeresbewohner in Windparkregionen pudelwohl fühlen. Des Weiteren sei nicht auszuschließen, dass „von Unterwasserkabeln erzeugte elektromagnetische Felder und Unterwasserlärm durch das Einrammen von Pfählen schwerwiegende negative Auswirkungen auf die marine Tier- und Pflanzenwelt haben könnten.“

Proteste von Fischerinnen und Fischern in Frankreich

Die Macht der Fischereigemeinde ist nicht zu unterschätzen. In Frankreich beispielsweise gibt es aufgrund von Protesten der Fischerinnen und Fischer noch keinen einzigen Offshore-Windpark. Lediglich Banc de Guérande vor der Küste von Saint-Nazaire ist im Bau und soll in diesem Jahr ans Netz gehen

Von Wolfgang Kempkens