Korrektur von Regelgrößen, Bilanzierung, Kalibrierliste 01.09.2015, 11:26 Uhr

VDI 2048 – Die Basis zur Kraftwerksoptimierung und Bilanzierung

Seit mehr als 15 Jahren installiert BTB Jansky GmbH das Programmpaket „ProcessPlus“ sowohl in Kernkraftwerken als auch in konventionellen Kraftwerken. Dabei werden die realen Prozesse in ein widerspruchfreies Abbild überführt, um die bestmögliche Optimierung des Kraftwerkbetriebes zu ermöglichen. Darüber hinaus erfolgt eine automatisierte Bilanzierung (täglich, wöchentlich, monatlich) aller gemessenen Größen wie Emissionen, Brennstoffmengen, Dampfmengen usw. unter Berücksichtigung geschlossener Massen-, Energie- und Stoffbilanzen. Im Folgenden wird das Grundprinzip der hierfür verwendeten Prozessdatenvalidierung nach VDI 2048 beschrieben und Praxisanwendungen auszugsweise aufgezeigt.

Bild 1 Prozessbeispiel Wasserdampfkreislauf eines Braunkohleblocks.
Bild: BTB

Bild 1 Prozessbeispiel Wasserdampfkreislauf eines Braunkohleblocks. Bild: BTB

Die in der VDI 2048 Richtlinie [1] beschriebene Prozessdatenvalidierung beruht auf dem Gauß’schen Ausgleichs­prinzip und stellt die bestmögliche Qualitätskontrolle für quasistationäre Fließprozesse (zum Beispiel in Kraftwerken oder Pipelines) dar. Ziel der Prozessdatenvalidierung ist es, den wahrscheinlichsten Prozesszustand mit der geringst möglichen Unsicherheit zu ermitteln. Dieser Zustand ist erst dann erreicht, wenn alle in der VDI 2048 beschriebenen Qualitätskriterien erfüllt sind.

Modellierung / validierte Werte

Der Prozess wird im ersten Schritt in einem verfahrenstechnischen Modell abgebildet (Bild 1). Im zweiten Schritt werden alle verfügbaren Prozessdaten wie zum Beispiel Messwerte (Temperaturen, Drücke, Massenströme usw.) dem Modell zugeordnet. Hierbei müssen alle Prozessdaten mit einem 95 %-Konfidenzintervall versehen werden. Dieses Modell wird dann mittels der Gauß’schen Ausgleichsrechnung und unter Berücksichtigung der exakt zu erfüllenden Nebenbedingungen geschlossener Massen-, Energie- und Stoffbilanzen gelöst. Nach diesem Schritt haben die Prozessinformationen ihren Charakter als Einzelinformation verloren, das heißt, die validierten Werte sind nicht mehr voneinander unabhängig. Das Ergebnis ist der wahrscheinlichste Prozesszustand mit der geringsten möglichen Unsicherheit.

Korrekturfaktoren gewährleisten ein optimales Anlagenverhalten

Eine hohe Qualität der Messwerte von Stell- und Regelgrößen in Kraftwerken führt zu einem optimalen Anlagenverhalten. Alleine durch eine Standard-Kalibrierung kann dies oft nicht erreicht werden, da bestimmte systematische Fehler (zum Beispiel aufgrund eines nicht repräsentativen Einbauortes) nicht durch eine Kalibrierung eliminiert werden können. Die Prozessdatenvalidierung kann hier einen erheblichen Beitrag leisten. Es werden hierzu offline Korrekturfaktoren berechnet (validierter Messwert / Messwert). Die Messwerte werden mit diesen Korrekturfaktoren im Prozessrechner multipliziert und erst dann für die Regelvorgänge im Kraftwerk verwendet (Bild 2).

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Bild 2 Korrekturbeispiel einer Überhitzer- Endtemperatur in einem Braunkohleblock. Bild: eigene Darstellung

Im Bild 3 ist der Verlauf der Messwertkorrektur einer Überhitzer-Endtemperatur dargestellt. Vor dem Korrekturzeitpunkt entspricht der Messwert dem korrigierten Messwert (Korrekturfaktor = 1).

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Bild 3 Korrektur­verlauf einer Überhitzer- Endtempe­ratur. Bild: eigene Darstellung

Der validierte Wert zeigt eine niedrigere Überhitzer-Endtemperatur an. Nach der Korrektur (Korrekturfaktor = 0,9972) entspricht der korrigierte Messwert nahezu dem validierten Wert. Der unkorrigierte Messwert (Originalmesswert) ist um etwa 1,5 K erhöht, was bedeutet, dass die Regelung die tatsächliche Überhitzer-Endtemperatur um diesen Betrag angehoben hat. Durch Einführung der Korrekturgrößen konnte somit eine Wirkungsgradsteigerung des Kraftwerkprozesses erzielt werden.

Die im Prozessrechner implementierten Korrekturfaktoren werden zyklisch überprüft (zum Beispiel halbjährlich) und gegebenenfalls angepasst. Um diese Prozedur zu erleichtern und um Fehlerquellen zu eliminieren wird diese zyklische Überprüfung mit dem Programmpaket ProcessPlus automatisiert durchgeführt. Die hier beschriebene Vorgehensweise gewährleistet ein optimales Anlagenverhalten und wird in zahlreichen Kraftwerken in Europa praktiziert.

Widerspruchsfreie Bilanzierung über frei wählbare Zeiträume

Bei der Erstellung von Tages-, Wochen- und Monatsbilanzen sind folgende Problemstellungen alltäglich:

a) widersprüchliche Messwerte innerhalb eines Bilanzkreises aufgrund redundanter Messstellen,

b) Auswahl der Messstellen, die für die Bilanzierung eines Bilanzkreises verwendet werden sollen,

c) widersprüchliche Ergebnisse von verschiedenen Bilanzkreisen, die sich überschneiden oder angrenzen,

d) händische Korrektur unplausibler Messwerte,

e) Abschätzung nicht gemessener Größen, die für die Bilanzierung notwendig sind.

Mit Hilfe von ProcessPlus können automatisiert Korrekturfaktoren für jeden einzelnen Messwert ermittelt werden. Die korrigierten Messwerte sind widerspruchsfrei, somit sind die genannten Problemstellungen a) bis d) gelöst. Des Weiteren liefert die Prozessdatenvalidierung alle thermodynamischen Zustandsgrößen innerhalb des modellierten Prozessbereichs. Somit sind ebenfalls widerspruchsfreie Werte nicht gemessener Größen verfügbar (vergleiche Problemstellung e)).

Die im Programmpaket ProcessPlus realisierte Bilanzierung liefert einen kraftwerksspezifischen Bericht (Bild 4), der individuell nach der jeweiligen Kundenvorstellung erstellt wird. Diese Vorgehensweise hat sich in der Praxis bewährt und wird voll automatisiert per Knopfdruck sowohl in Industriekraftwerken als auch in konventionellen Kraftwerken durchgeführt.

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Bild 4 Detailansicht von Monatsbilanzierungen (Auszüge). Bild: eigene Darstellung

Kalibrierliste für die zustands­orientierte Instandhaltung

Ein weiterer Bestandteil des Bilanzierungsberichts ist die Kalibrierliste. Die Kalibrierliste enthält diejenigen Messstellen, die von ProcessPlus angezweifelt werden, das heißt stark „korrigiert“ werden müssen, um die Erhaltungssätze widerspruchsfrei zu erfüllen. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet „angezweifelt“: Der Unterschied zwischen Messwert und validiertem Wert bezogen auf die Unsicherheit des Messwertes überschreitet eine festgelegte Grenze – zum Beispiel liegen bei einer Temperatur die Grenzen bei ± 2 K. Die Kalibrierliste enthält nicht nur Messstellen, die für die Bilanzierung herangezogen werden, sondern alle Messstellen, die im Prozessmodell eingebunden sind. Die Liste wird als Basis für eine zustandsorientierte Instandhaltung der Messketten verwendet.

 

Literatur:

[1] VDI-Richtlinie 2048 Blatt 1: Messunsicherheiten bei Abnahmemessungen an energie- und kraftwerkstechnischen Anlagen – Grundlagen. Oktober 2000.

Von Dr. Magnus Langenstein

Dr. Magnus Langenstein, BTB Jansky GmbH, Leonberg.