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Aufwendiger Prozess 05.07.2021, 14:34 Uhr

Rückbau von Kernkraftwerken: Vier auf einen Streich

PreussenElektra will vier seiner letzten fünf Kernkraftwerke im Norden und Süden Deutschlands in relativ kurzer Zeit dem Erdboden gleichmachen. Das ist ganz schön aufwendig.

Das Kernkraftwerk Brokdorf in Schleswig-Holstein ist noch bis Ende des Jahres am Netz. Danach beginnt auch dort der Rückbau. Foto: PantherMedia / Uwe Gernhoefer

Das Kernkraftwerk Brokdorf in Schleswig-Holstein ist noch bis Ende des Jahres am Netz. Danach beginnt auch dort der Rückbau.

Foto: PantherMedia / Uwe Gernhoefer

Vor 16 Jahren begann der Rückbau des Kernkraftwerks Stade. 2015 sollte der Zustand „grüne Wiese“ erreicht sein, also nichts mehr von der Anlage zu sehen sein. Doch der Abriss verzögerte sich immer wieder. Das Ende ist noch nicht erreicht.

Daraus hat der einstige Betreiber, die E.on-Tochter PreussenElektra, eine Menge gelernt. Bei den bereits abgeschalteten Kernkraftwerken Unterweser und Grafenrheinfeld sowie den noch bis Ende dieses Jahres laufenden Anlagen Brokdorf und Grohnde – für Isar 2, das noch ein Jahr länger läuft, gibt es noch keine Abrisspläne – soll es nach dem Willen des Betreibers schneller gehen. Das Unternehmen hat eine Art Masterplan aufgestellt, um die Anlagen zügig zurückzubauen. Die Abrissarbeiten werden teilweise parallel laufen, um das Ende zu beschleunigen.

Brennelemente sind am gefährlichsten

Nach dem endgültigen Abschalten eines Kernkraftwerks werden als erstes die Brennelemente aus dem Reaktordruckbehälter entfernt und auf dem Betriebsgeländer unter Wasser gelagert, das die radioaktive Strahlung zu 100 % zurückhält. Die Brennelemente enthalten 99 % des radioaktiven Inventars. Der größte Teil des Rests befindet sich im Reaktordruckbehälter und in den Betonwänden, die diesen umgibt, im sogenannten biologischen Schild.

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Der Rückbau beginnt im Kernkraftwerk Unterweser. Dort sind bereits eine Reihe von nicht-radioaktiven Bauteilen entfernt worden, und in Kürze soll die Zerlegung und strahlensichere Verpackung des Reaktordruckbehälters beginnen. Der mächtige Stahlkoloss wird von Robotern in Stücke zerteilt. Das wird monatelang dauern.

Dampferzeuger werden in Schweden entsorgt

Eine nicht minder große Herausforderung ist der Ausbau der Dampferzeuger, die fast 400 t wiegen und 20 m hoch sind. Dafür ist Cyclife zuständig, ein Tochterunternehmen der Electricité de France (EDF), das sich auf die Stilllegung von Kernkraftwerken und Abfallmanagement spezialisiert hat. Am Stück werden die Monstren – jedes Kernkraftwerk ist mit vier dieser Bauteile ausgestattet – durch eine Schleuse im sogenannten Containment gehievt und auf ein Schiff verladen. Das Containment ist die halbkugelförmige Hülle aus Beton und Stahl, die verhindern soll, dass nach einem Unfall radioaktives Material in die Außenwelt gelangt. Außerdem schützte sie den Reaktor vor Schäden durch Flugzeugabstürze.

In dieser Anlage im schwedischen Nyköping werden die Dampferzeuger der vier rückzubauenden Kernkraftwerke zerlegt.

Foto: Cyclife Sweden

Die Dampferzeuger werden nach Schweden transportiert. Cyclife entwickelte in Nyköping südwestlich von Stockholm vor etwa 15 Jahren ein Verfahren zur Zerlegung von Dampferzeugern und baute die dafür nötige Infrastruktur auf. Dazu gehören eine sogenannte Dekontaminationsanlage, in der die Dampferzeugerteile von radioaktiven Partikeln befreit werden, und ein elektrisch betriebener Tiegel, in dem der Stahl eingeschmolzen wird, sodass er wieder verwendet werden kann. Die Kapazität liegt bei 5 000 t/a.

Startschuss im zweiten Quartal 2023

Bis zum heutigen Tag wurden bei Cyclife Sweden insgesamt 13 Dampferzeuger und 15 Großwärmeaustauscher aus schwedischen, deutschen und englischen Kernkraftwerken zerstückelt und eingeschmolzen. Der erste Dampferzeuger aus Unterweser soll im zweiten Quartal 2023 seine Reise nach Schweden antreten. Wenn alle vier in Unterweser entfernt sind, ziehen die Demonteure ins Kernkraftwerk Grafenrheinfeld um.

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Wenn die Großkomponenten entfernt sind werden die Innereien des Kraftwerks Millimeter für Millimeter auf radioaktive Restpartikel überprüft. Jedes Molekül, das dabei entdeckt wird, wird abgewaschen oder weggeätzt. Wenn keine radioaktiven Partikel mehr übrig sind werden die Einbauten zerlegt, sodass sie abtransportiert und recycelt werden können.

Kosten im Milliarden-Euro-Bereich

Die Kosten für die aufwendigen Arbeiten, die mehr als zehn Jahre dauern werden, sind noch nicht endgültig abschätzbar, dürften aber im Milliarden-Euro-Bereich liegen. Der Abriss von Stade schlägt mit rund 500 Mio. € zu Buche. Umgerechnet auf die an der Elbe produzierte Energie macht das etwa 0,33 Ct/kWh aus. Es wäre noch weniger, wenn die Anlage nicht vorzeitig stillgelegt worden wäre. Das nahezu baugleiche Kernkraftwerk Borssele in den Niederlanden, das 1973, also ein Jahr später in Betrieb ging als Stade, läuft heute noch.

Von Wolfgang Kempkens