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+++ Exklusiver Fachbeitrag +++ 24.02.2022, 08:00 Uhr

Methanemissionen und ihr Einfluss auf die THG-Bilanz von Erdgas-BHKW

Am Kompetenzzentrum für Kraft-Wärme-Kopplung der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden wurden Berechnungen durchgeführt, die eine Einordung erdgasbetriebener Blockheizkraftwerke anhand ihrer Treibhausgas-Bilanz hinsichtlich der Emissionsminderung im Energiesektor ermöglichen sollen. Dafür wurden die Emissionsfaktoren aus der Energieerzeugung mit Erdgas-Blockheizkraftwerken prognostizierten Strom- und Wärmemixen für das Jahr 2030 gegenübergestellt.

Erdgas-Blockheizkraftwerk. Foto: KoKWK

Erdgas-Blockheizkraftwerk.

Foto: KoKWK

Brückentechnologie ja oder nein?

Die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) erreicht durch die gekoppelte Erzeugung von Strom und Wärme hohe Gesamtwirkungsgrade und schöpft so den Energieinhalt der eingesetzten Brennstoffe bestmöglich aus. Die Erhöhung der Effizienz ist ein erster Schritt zur Verringerung der Emissionen. Der Energiesektor ist vor dem Hintergrund der deutschen Klimaziele 2045 [1] zu einer Reduzierung der Treibhausgas (THG)-Emissionen bei gleichzeitiger Sicherstellung der Versorgungssicherheit aufgefordert. Erdgas gilt – als fossiler Energieträger mit den geringsten THG-Emissionen bei der Verbrennung – als Brückentechnologie für die Transformation des Energiesystems. Aktuell steht die Klimaverträglichkeit von Erdgas zur Diskussion, da bei dessen Gewinnung und auf Transportweg vermehrt Leckagen festgestellt werden und bisher womöglich unterschätzt wurden. Es stellt sich die Frage, ob mit dem Energieträger Erdgas in Blockheizkraftwerken (BHKW) mittel- und langfristig ausreichend geringe CO2-Emissionsfaktoren erreicht werden können, um die THG-Emissionen im Strom- und Wärmesektor wirksam zu reduzieren.

Hintergrund: THG-Wirkung von Methan

Erdgas besteht zu einem Großteil aus Methan, dem zweitwichtigsten Treibhausgas nach CO2. Anders als CO2 ist Methan ein kurzlebigeres und stärkeres Treibhausgas. Damit die THG-Effekte verglichen werden können, werden Treibhausgase mit Faktoren in CO2-Äquivalente (CO2e) umgerechnet. Die THG-Wirkung von fossilem Methan ist nach Angaben des IPCC AR5 [2] in den ersten 20 Jahren 85-mal stärker (Global Warming Potential für 20 Jahre: GWP20) als dieselbe Menge an CO2 und 30-fach stärker in einem Zeitraum von 100 Jahren (GWP100). Hieraus ergibt sich die Kernproblematik in der Diskussion um Erdgas: Welcher Zeitraum der THG-Wirkung wird für die Umrechnung in CO2-Äquivalente angesetzt? Meistens werden die Treibhausgase mit dem 100-jährigen Faktor umgerechnet, teilweise werden auch noch Faktoren aus älteren IPCC-Berechnungen verwendet, die für Methan einen Faktor von 21 angegeben hatten. Dabei wird jedoch die kurzfristige THG-Wirkung vernachlässigt, die von Bedeutung für die Stabilität des Klimasystems und der Kipppunkte sein kann. Bei den folgenden Berechnungen der THG-Emissionen von Erdgas-BHKW wurde daher die THG-Wirkung von Methan sowohl mit dem GWP100 als auch dem GWP20 in CO2-Äquivalente übersetzt.

THG-Emissionskette von Erdgas-BHKW

Bei fossilen Energien werden THG-Emissionen (hauptsächlich Methan und CO2) bei Förderung, Speicherung, Transport und Verbrauch freigesetzt. Je nach Herkunft, Fördermethode, und Transport (Erdgasvorkette) variieren die freiwerdenden Treibhausgase. Bei der Förderung entweicht beim Fracking mehr Methan als bei konventioneller Förderung. Entlang des Transportweges wird Methan durch Leckagen in Pipelines frei, noch emissionsintensiver ist der Transport von Flüssigerdgas per Schiff. Die Vorkettenemissionen von Erdgas, die bei Förderung, Speicherung und Transport entstehen, unterscheiden sich stark je nach Studie durch die getroffenen Annahmen über Leckageraten, Bilanzgrenzen und THG-Faktoren. Beim Einsatz von Erdgas in Kraftwerken spielt zudem die Effizienz des Kraftwerks eine Rolle, um den Energieträger bestmöglich auszunutzen. Insgesamt ist festzuhalten, dass, wenn vermehrt Methan bei Förderung, Transport und Nutzung von Erdgas über Leckagen austritt, unter Umständen kein Vorteil mehr gegenüber anderen fossilen Energieträgern gewährleistet ist.

Bei der Verbrennung von Erdgas entsteht im Vergleich zu anderen fossilen Kraftstoffen auf den Heizwert bezogen am wenigsten CO2. Die rein verbrennungsbedingten CO2-Emissionen belaufen sich auf 201 g/kWh und machen den größten Anteil der THG-Emissionen bei der Nutzung von Erdgas aus.

Beim Betrieb von Gasmotoren tritt Erdgas aber auch unverbrannt mit dem Abgas aus – als sogenannter Methanschlupf. Mit der Novellierung der 44. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchV) wurde mit dem Gesamtkohlenstoff organischer Stoffe erstmals ein Abgasgrenzwert eingeführt, der den Methanschlupf implizit beinhaltet. Dieser liegt bei 1 300 mg/m3 für Magermotoren und bei 300 mg/m3 für Lambda-1-Motoren. Lambda-1-Motoren setzen verfahrensbedingt weniger unverbranntes Methan frei und haben einen hohen Gesamtwirkungsgrad, jedoch bei niedrigerem elektrischem Wirkungsgrad. Demgegenüber weisen Magermotoren in der Regel einen höheren elektrischen Wirkungsgrad auf, was aber mit Nachteilen beim Gesamtwirkungsgrad und einem stärkeren Methanschlupf einhergeht.

Einfluss der Methanemissionen

Um den Einfluss der Methanemissionen herauszuarbeiten, wurden daher beide Motortypen in einer theoretischen Betrachtung gegenübergestellt. Dabei wurde angenommen, dass die aktuellen Grenzwerte für Gesamtkohlenstoff voll ausgereizt werden. Die Annahmen zu den Motortypen für die Berechnung sind in Tabelle 1 angegeben und beruhen auf dem aktuellen Stand der Technik. Der maximale Methanschlupf, bei dem der aktuelle Grenzwert nach 44. BImSchV noch eingehalten werden kann, wurde nach [3] berechnet. Damit ist in der Modellbetrachtung der THG-Emissionen der Methanschlupf anhand des Grenzwertes bei beiden Motortypen maximal gewählt, wobei er in der Praxis niedriger liegen kann. Die Daten der Vorkettenemissionen und der Verbrennungsemissionen stammen aus dem „Globalen Emissions-Modell integrierter Systeme“ (Gemis) [4]. Für die zwei verschiedenen Erdgas-BHKW-Motoren werden die Emissionsfaktoren für Strom und Wärme unter Verwendung des GWP20 und GWP100 aus dem AR5 des IPCC [2] berechnet.

Tabelle 1 Annahmen für die Berechnung – Motoren und Emissionen.

Berechnungsmethodik und Allokation der THG-Emissionen für Strom und Wärme

Zur Bildung der Gesamtbilanz des Energieträgers Erdgas in BHKW-Anlagen werden die Vorkettenemissionen, die Verbrennungsemissionen und der Methanschlupf eines typischen Lambda-1-Motors und eines Magermotors als CO2-Äquivalente aufsummiert. Alle Annahmen und Werte der Berechnung sind Tabelle 1 zu entnehmen.

In KWK-Anlagen werden aus dem Brennstoff gleichzeitig die Produkte Strom und Wärme gewonnen. Daher müssen die entstandenen Emissionen diesen Produkten zugeteilt werden, wofür es verschiedene Allokationsmethoden gibt. Mit ihnen lassen sich die spezifischen Emissionsfaktoren für Strom und Wärme pro erzeugter Kilowattstunde anhand des thermischen und elektrischen Wirkungsgrades errechnen. Die verschiedenen Allokationsmethoden gewichten Strom und Wärme unterschiedlich, weshalb die gewählte Methode einen starken Einfluss auf die resultierenden spezifischen Emissionsfaktoren hat. Die exergetische Methode weist dem ökonomisch und thermodynamisch höherwertigen Strom den Großteil der Emissionen zu, während die energetische Methode die Energieformen Strom und Wärme gleich gewichtet. Die finnische Methode stellt einen Mittelweg dar und bezieht den Wirkungsgrad der getrennten Erzeugung von Strom und Wärme mit ein. Für die nachfolgenden Berechnungen wurde die exergetische Methode angewendet, deren Berechnungsformeln in Tabelle 2 zu finden sind.

Tabelle 2 Exergetische Allokation zur Berechnung des spezifischen Emissionsfaktors für Strom und Wärme.

Ergebnisse

Die resultierenden Emissionsfaktoren beider BHKW-Typen werden am Beispiel der exergetischen Allokation für Strom und Wärme den jeweiligen prognostizierten Emissionsfaktoren im Jahr 2030 gegenübergestellt (Bild).

Bild Spezifische Emissionsfaktoren für Strom und Wärme für Blockheizkraftwerke mit Magermotor und Lambda (λ)-1-Motor sowie Treibhausgas-Potenziale (GWP) und Vergleich mit prognostizierten Emissionsfaktoren der Sektoren. Grafik: KoKWK

Der Vergleich der spezifischen Emissionsfaktoren nach der exergetischen Allokation für Strom und Wärme von Erdgas-BHKW erfolgt mit prognostizierten Emissionsfaktoren des Öko-Instituts für Strom und Wärme im Jahr 2030 [4] und einem prognostizierten Verdrängungsstrommix von Prognos [3] für 2030. Der Verdrängungsstrommix setzt sich hauptsächlich aus fossilen Kraftwerken nach der Merit-Order zusammen. Im Diagramm wird deutlich, dass die verbrennungsbedingten CO2-Emissionen zwar den größten Anteil an den Gesamtemissionen haben, der Einfluss des Methanschlupfes jedoch erheblich ist. Die Emissionen des Magermotors liegen aufgrund des höher angenommenen Methanschlupfes höher als die des Lambda-1-Motors. Bei Verwendung des GWP20 wird dieser Effekt am deutlichsten: Hier liegen die strombezogenen Gesamtemissionen inklusive des Methanschlupfes höher als die des prognostizierten Verdrängungsmixes im Jahr 2030, das heißt, es würde stromseitig keine Nettoeinsparung von Treibhausgasen mehr erzielt werden. Wird der 100-jährige Betrachtungszeitraum zugrunde gelegt, ergeben sich für Erdgas-BHKW sowohl im Vergleich mit dem Verdrängungsmix als auch mit dem Wärmemix Emissionseinsparungen. Allerdings liegen die stromseitigen Emissionen auch in diesem Szenario weiterhin höher als der prognostizierte durchschnittliche Emissionsfaktor für den Strommix 2030. Eine gezielte Fahrweise von Erdgas-BHKW zur Abdeckung der Residuallast ohne Verdrängung erneuerbarer Energien im elektrischen Netz ist daher essenziell, um auch mittel- und langfristig einen Emissionsvorteil zu erzielen. Wärmeseitig bieten Erdgas-BHKW auch im Jahr 2030 in allen betrachteten Fällen einen Emissionsvorteil gegenüber dem prognostizierten Wärmemix.

Reinbetrieb mit grünem Wasserstoff als Ziel

Lambda-1-Motoren sind durch den geringeren Methanschlupf weniger emissionsintensiv als Magermotoren. Bei Letzteren können daher Maßnahmen zur Reduzierung des Methanschlupfes durch Abgasnachbehandlungssysteme wie Methankatalysatoren besonders wirksam dazu beitragen, dass die THG-Emissionen reduziert werden. Kleinere Einsparungen lassen sich außerdem durch die Steigerung des elektrischen und thermischen Wirkungsgrades oder den Bezug von Erdgas mit geringeren Vorkettenemissionen erzielen. Größere Verbesserungen der THG-Bilanz von Erdgas-BHKW können mittelfristig die Zumischung von grünem Wasserstoff oder Biomethan bewirken. So ließen sich die Emissionen aus Vorkette, Verbrennung und Methanschlupf für beide Motortypen vermindern. Die Beimischung von grünem Wasserstoff in das Erdgassystem ist ein Weg der nachhaltigen Transformation des Energiesystems, der die Chance hat, den Lock-in-Effekt anderer fossiler Energien zu umgehen. Allerdings macht zum Beispiel ein Volumenanteil von 20 % Wasserstoff zunächst nur eine Reduktion der THG-Emissionen von etwa 7 % möglich. Ziel sollte also der Reinbetrieb mit grünem Wasserstoff bei vollständiger Defossilierung sein, damit weniger CO2 und CO2-äquivalente Emissionen in der gesamten Emissionskette freigesetzt werden.

Erdgasleitung.

Foto: KoKWK

Fazit

Eine Bewertung des Einsatzes von Erdgas-BHKW im Jahr 2030 ist stark von den getroffenen Annahmen sowie der Allokationsmethode abhängig. Großen Einfluss auf die Ergebnisse der CO2-äquivalenten Emissionen hat die Wahl des GWP für Methan. Mit GWP20 wird die THG-Wirkung von Methan höher gewichtet und die CO2-äquivalenten Emissionen eines Erdgas-BHKW sind deutlich größer als mit GWP100. Wenn auch unter den strengsten Annahmen noch Einsparungen erzielt werden sollen, müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, um die Emissionsbilanz weiter zu verbessern. Dazu zählen vor allem die Reduzierung der Methanemissionen bei Magermotoren und eine gezielt an der elektrischen Residuallast orientierte Fahrweise. Unter diesen Bedingungen können Erdgas-BHKW auch in 2030 noch Emissionsvorteile erzielen. Im Vergleich mit anderen fossilen Optionen stellen Erdgas-BHKW daher aufgrund ihrer hohen Gesamteffizienz und ihrer guten Anpassungsfähigkeit an klimaneutrale Brennstoffe, wie zum Beispiel grünen Wasserstoff, eine wichtige Brückentechnologie dar, die den Pfad zu einem klimaneutralen Energiesystem ebnet und bei Umstellung auf erneuerbare Energieträger auch darüber hinaus noch genutzt werden kann.

Literatur

  1. Bundesregierung: Klimaschutzgesetz 2021 – Generationenvertrag für das Klima. https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/klimaschutzgesetz-2021-1913672, zuletzt abgerufen am 16.8.2021).
  2. Alexander, L. et al.: Climate change 2013: The physical science basis, in contribution of Working Group I (WGI) to the Fifth Assessment Report (AR5) of the Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York, NY, USA, 2013.
  3. Prognos AG et al. im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie: Evaluierung der Kraft-Wärme-Kopplung – Analysen zur Entwicklung der Kraft-Wärme-Kopplung in einem Energiesystem mit hohem Anteil erneuerbarer Energien. Berlin, 25. Apr. 2019, https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/evaluierung-der-kraft-waerme-kopplung.pdf?__blob=publicationFile&v=6, zuletzt abgerufen am 7.1.2022.
  4. IINAS GmbH – Internationales Institut für Nachhaltigkeitsanalysen und -strategien: GEMIS 5.0 – Globales Emissions-Modell integrierter Systeme, 2019.
Von Max Becker / Raphael Lechner / Regina Trötsch

M. Eng. Regina Trötsch
Projektingenieurin des Kompetenzzentrums für Kraft-Wärme-Kopplung an der Ostbayerischen Technischen Hochschule (OTH) Amberg-Weiden
r.troetsch@oth-aw.de
M. Eng. Max Becker
Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Kompetenzzentrums für Kraft-Wärme-Kopplung an der OTH Amberg-Weiden
ma.becker@oth-aw.de
Prof. Dr. Raphael Lechner
Leitung des Kompetenzzentrums für Kraft-Wärme-Kopplung und des Instituts für Energietechnik an der OTH Amberg-Weiden
r.lechner@oth-aw.de