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Stromversorgung international 17.03.2022, 10:03 Uhr

Indien: Der Schnelle Brüter soll es bringen

Im Oktober geht, so der Plan, ein 500-Megawatt-Prototyp ans Netz. Erbrütet wird Uran 233 statt wie üblich Plutonium 249. Mit dieser Technik könnte Indien jahrhundertelang Strom erzeugen, ohne Brennstoff zu importieren.

Indien erzeugt seinen Strom zu 59 % aus Kohle. Auch Erneuerbare spielen eine wachsende Rolle. In Sachen Kernkraft will der Subkontinent jetzt den weltweit dritten Brutreaktor in Betrieb nehmen. Foto: PantherMedia/alexlmx

Indien erzeugt seinen Strom zu 59 % aus Kohle. Auch Erneuerbare spielen eine wachsende Rolle. In Sachen Kernkraft will der Subkontinent jetzt den weltweit dritten Brutreaktor in Betrieb nehmen.

Foto: PantherMedia/alexlmx

Indien ist mit einem Anteil von 59 % immer noch das Land des Kohlestroms. Der Subkontinent gehört andererseits zu den Staaten mit der höchsten Zuwachsrate an Solarstrom. Auch die Windenergie wird kräftig ausgebaut. In Kalpakkam am Golf von Bengalen soll bis Oktober das ehrgeizigste Vorhaben in Betrieb gehen: Der erste schnelle Brutreaktor des Landes. Er wird eine elektrische Leistung von 500 MW haben, zum Vergleich: Die nie fertiggebaute deutsche Version in Kalkar bei Kleve hätte 300 MW erreicht. Die Kosten für den indischen Brüter sollen bei umgerechnet 900 Mio. € liegen.

Weltweit der dritte kommerzielle Brüter

Nach den Reaktoren BN-600 und BN-800 in Russland wird der „Prototype Fast Breeder Reactor“ (PFBR) der dritte kommerzielle Brutreaktor weltweit sein. Anders als bei Leichtwasserreaktoren, die angereichertes Uran benötigen, werden Schnelle Brüter, wie sie flapsig genannt werden, meist mit einem Mix aus Plutonium und nicht spaltbarem Uran 238 betrieben. Was widersinnig klingt ist durchaus sinnvoll. Uran-Atomkerne schnappen sich bei der Spaltung von Plutoniumkernen frei werdende Neutronen und verwandeln sich so in Plutonium 249, das wiederum spaltbar ist und sich an der Wärmeproduktion beteiligt.

Renaissance des Kugelhaufenreaktors

Indien ist reich an Thorium

Der PFBR ist, was den Brennstoff angeht, ein Sonderfall. Er wird mit einem Mix aus Plutonium und nicht spaltbarem Thorium 232 betrieben – Indien gehört zu den Ländern mit den größten Mengen an abbaubarem Thorium. Ähnlich wie Uran 238 fangen die Thorium-Kerne überschüssige Neutronen ein und verwandeln sich so in Uran 233, das spaltbar ist. Indien könnte mit Schnellen Brütern auf Thorium-Basis seinen Energiebedarf für Jahrhunderte sichern, verlautete aus der indischen Atombehörde. Übrigens verfolgt auch China den Weg, in einem Reaktor aus Thorium Uran 233 zu erbrüten.

Die wundersame Brennstoffvermehrung

Von Zeit zu Zeit werden die Brennelemente aus dem Reaktorkern entfernt und wiederaufgearbeitet. Dabei wird ein vermeintliches Wunder offenbar: Die Brennstoffmenge in Form von Plutonium ist jetzt größer als zu Beginn. Genau das ist es, was Indien sich wünscht: Der Überschuss wird zu Mischbrennelementen aus spaltbarem Uran und Plutonium verarbeitet. Im Fall Indien wird das Thorium zu Brennelementen verarbeitet, die dann in den indischen Siede- und Druckwasserreaktoren eingesetzt werden. Indien will so unabhängiger von Uranimporten werden.

Flüssiges Natrium als Kühlmittel

Um die Wärme aus dem Reaktorkern herauszuholen ist ein Kühlmittel nötig. Bei den meisten Reaktoren ist das Wasser, das gleichzeitig als Neutronenbremse fungiert, im Fall PFBR dagegen ist es flüssiges Natrium, das erst bei 883 °C siedet. In einem Wärmeübertrager gibt es seine Energie an einen zweiten Natriumkreislauf ab, der in einem weiteren Wärmeübertrager Wasser in Dampf verwandelt. Dieser lässt einen Turbogenerator zur Stromerzeugung rotieren.

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Inhärente Bremse funktioniert hier nicht

Während in Leichtwasserreaktoren der sogenannte Dampfblasenkoeffizient dafür sorgt, dass die Leistung nicht völlig unkontrolliert ansteigt und es zu einem schweren Störfall kommt, gibt es das beim Schnellen Brüter nicht. Er muss im Ernstfall mit technischen Mitteln gebändigt werden. Außer den regulären Steuerstäben, die in den Kern gefahren werden, um die Leistung zu kontrollieren, gibt es für den Notfall noch Neutronenfänger, die einfallen oder gar eingeschossen werden, um die Kernspaltungen zu beenden. Sicherheitstechnisch positiv ist dagegen, dass im Reaktorinneren mit weniger als 10 bar ein geringer Druck herrscht.

Brüter-Test begann vor gut 35 Jahren

Ein Risiko ist auch der Einsatz von Natrium, das sich spontan entzündet, wenn es mit dem Sauerstoff der Luft in Berührung kommt. Die große Herausforderung für Hersteller und Betreiber besteht darin, Lecks unter allen Umständen zu vermeiden, um Brände zu verhindern. Genau das ist in der Vergangenheit manchmal nicht gelungen. In Frankreich und Japan wurden Versuchsanlagen wegen Lecks stillgelegt.

Seit 35 Jahren ist dieser Testreaktor nach dem Brüterprinzip in Betrieb und erreichte erst letztes Jahr seine Nennleistung.

Foto: IGCAR

Dass die Sache nicht so einfach ist lässt sich am ebenfalls indischen Fast Breeder Test Reactor (FBTR) zeigen. 35 Jahre nach seiner Inbetriebnahme erreichte er erst Ende 2021 seine Nennleistung von 40 MW(th.). Er sollte Indiens Weg hin zum kommerziellen Schnellen Brüter ebnen, hat er wohl auch, wenn nichts mehr dazwischen kommt.

Von Wolfgang Kempkens