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Erneuerbare Energien 27.01.2022, 09:25 Uhr

Der massive Ausbau von Solar- und Windenergie allein bringt gar nichts

Heute steht noch ausreichend wetterunabhängige Kraftwerksleistung zur Verfügung, um Wind- und Solarenergie zu ersetzen, wenn es an Sonne und Wind mangelt. Doch es gehen immer mehr Anlagen vom Netz. Das kann gefährlich werden, wenn nicht bald neue Erdgaskraftwerke gebaut werden.

Das Uniper-Kraftwerk Irsching gehört zu den leistungsfähigsten Gaskraftwerken in der Welt. Foto: Uniper

Das Uniper-Kraftwerk Irsching gehört zu den leistungsfähigsten Gaskraftwerken in der Welt.

Foto: Uniper

Für Robert Habeck, den Bundesminister für Wirtschaft und Klima, ist die Sache ganz einfach: „Die sichere Versorgung mit nachhaltig erzeugtem Strom ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass wir unsere Wirtschaft und Industrie auf Klimaneutralität ausrichten und so nachhaltigen Wohlstand schaffen können. Durch den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und die Beschleunigung des Netzausbaus werden wir zeigen, dass dies in Deutschland möglich ist.“ Wenn die Sonne nicht scheint und/oder Flaute herrscht bringt weder das eine noch das andere etwas. Photovoltaik ist, wenn sie nicht mit Batterien gekoppelt ist, die im Notfall einspringen, völlig ungeeignet, Stromlücken zu stopfen.

Windenergie ist ein bisschen wetterunabhängig

Bei der Windenergie sieht das ein bisschen anders aus. Weil die Generatoren on- und offshore über weite Teile Europas verteilt sind und es äußerst selten vorkommt, dass überall Flaute herrscht, gehen Studien davon aus, dass 10 % der in Deutschland installierten Windenergieleistung von gut 55 GW als gesichert angesehen werden können. Das heißt, diese 5,5 GW stehen immer zur Verfügung, sei es aus dem eigenen Land oder von den europäischen Nachbarn.

Auf Dauer fehlen 65 Gigawatt

Dominik Möst, Professor für Energieökonomie an der Technischen Universität Dresden, geht davon aus, dass diese Quote noch steigt, weil die Masten, an deren Spitzen die Flügel rotieren, immer höher werden und in höheren Regionen der Wind stärker weht. Doch selbst wenn es 10 GW werden: Gemeinsam mit Biomasse, Wasserkraft und sonstigen zuverlässigen Quellen wie Müllverbrennungsanlagen liegt die gesicherte Stromleistung ohne fossile Kraftwerke bei gerade mal 15 GW. Kurzzeitig auch leicht darüber, wenn Pumpspeicher- und virtuelle Kraftwerke sowie Großbatterien einspringen. Damit in Deutschland Strom weiterhin zuverlässig aus der Steckdose kommt, sind mehr als 80 GW nötig, die wetterunabhängig zur Verfügung stehen.

Bis 2030 werden 21 Gigawatt stillgelegt

Derzeit sorgen dafür drei Kernkraftwerke sowie zahlreiche Braun- und Steinkohleblöcke sowie Erdgaskraftwerke. Sie übernehmen, wenn es schlecht läuft, mehr als zwei Drittel der Stromversorgung in Deutschland. So geschehen etwa am 15. und 18. Januar 2022. Die Bundesnetzagentur, die mit Argusaugen darüber wacht, dass es stets genügend Reserven gibt, um einen Blackout zu vermeiden, informiert unter https://www.smard.de nahezu in Echtzeit darüber, welche Kraftwerke gerade Strom liefern.

Ende dieses Jahres werden in Deutschland die letzten drei Kernkraftwerke, die praktisch rund um die Uhr laufen, mit einer Gesamtleistung von gut 4 GW vom Netz genommen. Bis 2030 werden zudem 17 GW an Braun- und Steinkohleleistung stillgelegt. Das muss kompensiert werden, vermutlich noch deutlich mehr, wenn die Elektrifizierung des Straßenverkehrs zunimmt, immer mehr Wasserstoff für die Pufferung von elektrischer Energie erzeugt wird und ganze Branchen wie Stahl- und Zementindustrie dekarbonisiert werden sollen.

Warum Erdgaskraftwerke „grün“ sein müssen

Der Bundesregierung ist das klar, hat sie in Brüssel doch verbissen darum gekämpft, dass Erdgaskraftwerke als „grün“ eingestuft werden, wenn sie später ganz oder teilweise mit Wasserstoff betrieben werden können. Sie biss sogar in den sauren Apfel, dass Kernenergie ebenso beurteilt wird – jedenfalls aus Sicht der Europäischen Kommission – und Neubauten sogar finanziell gefördert werden können. Auch das Festhalten an Nord Stream 2, der Ostseepipeline, die Erdgas aus Russland in großen Mengen nach Lubmin östlich von Greifswald befördern soll, passt dazu.

Die Sorgen von RWE-Chef Krebber

Für RWE-Chef Markus Krebber ist es bereits kurz vor Zwölf. Angesichts des Schwindens wetterunabhängiger Stromerzeuger in Deutschland mahnt er die Planung und den Bau von Erdgaskraftwerken an. Er hat Angst, dass „die hohen Industriepreise dazu führen, dass wir schleichend deindustrialisieren und es kaum einer merkt.“

Ein bisschen würde es schon helfen, wenn Erdgaskraftwerke, die lediglich in Notzeiten angefahren werden, in den Dauerbetrieb übergehen könnten. Doch das ist nicht rentabel. Deshalb sind beispielsweise die Blöcke vier und fünf im Uniper-Kraftwerk Irsching bei Ingolstadt nur zeitweise in Betrieb. Dabei könnten sie als Ersatz für Kohlekraftwerke die CO2-Emissionen reduzieren, denn sie haben exzellente Wirkungsgrade. Block vier hält mit 60,4 % sogar den Weltrekord.

In der nächsten Woche lesen Sie hier, mit welchen Techniken und Maßnahmen auch Wind- und Solarenergie wetterunabhängig werden.

Von Wolfgang Kempkens