Warum ein Versorger als Software-Anbieter Erfolg hat
Die rhenag Rheinische Energie Aktiengesellschaft ist heute der einzige Energieversorger in Deutschland, der auch Software selbst entwickelt und vermarktet. Mit rund 100 Kunden verzeichnet das IT-Geschäft des Kölner Unternehmens weit über den eigenen Beteiligungskreis hinaus Zuspruch und erfährt weiterhin Zulauf. Die BWK-Redaktion forschte vor Ort nach den Bestandteilen der Erfolgsformel.

Arbeitsplatz quasi im Grünen: Verwaltungsgebäude der rhenag im Kölner Stadtteil Bayenthal. Bild: rhenag
Dass die rhenag ihren Unternehmenssitz seit jeher an einem Ort hat, der zu den attraktiveren im Kölner Süden zählt, ist sicherlich kein unmittelbarer Erfolgsgarant. Doch erfolgreiche Ideen lassen sich womöglich besser entwickeln, wenn man nebenan nicht graue Wände anstarren muss, sondern der Blick über grünes Ambiente schweifen darf. Wobei die rhenag – wenn von ihren erfolgreichen Software-Aktivitäten die Rede ist – nicht nur von schlauen Entscheidungen, sondern sicherlich auch von einem guten Teil Beharrlichkeit profitiert hat. Aber auch diese Eigenschaft ließe sich über den speziellen Standort erklären: Wird Nachhaltigkeit nicht zuallererst mit der Farbe Grün assoziiert?
Als einziges EVU blieb rhenag der eigenen Software treu
Als die rhenag Ende der 1960er Jahre begann, Software für die Verbrauchsabrechnung zu entwickeln, war sie damit keineswegs allein. Jeder größere Versorger versuchte damals von den Vorteilen der elektronischen Datenverarbeitung zu profitieren. Weil es noch keine spezialisierten Software-Anbieter gab, baute man notgedrungen selbst IT-Lösungen auf. Doch während alle anderen Versorger in Deutschland diese Aktivitäten irgendwann wieder einstellten und auf Applikationen der sich mittlerweile am Markt etablierenden externen Anbieter zurückgriffen, blieb die rhenag ihrem Leisten treu. Das lag auch darin begründet, dass die Verbrauchabrechnungssoftware von Anfang an auch für die Unternehmen entwickelt wurde, an denen die rhenag beteiligt ist.

Andreas Weingarten, Geschäftsführer der rhenag-Thüga Rechenzentrum GBR, in einem der rhenag- Rechenzentren. Dank Leasing sind beide Data Center immer mit modernster Hardware ausgestattet. Bild: rhenag
Seit 2005 heißt die Software lima. Das Kürzel steht für „liberalisierter Markt“ und war ursprünglich nur der Arbeitstitel für einen Produkt-Relaunch. Doch weil die Kunden sich schnell an den einprägsamen Namen gewöhnten, wurde er kurzerhand zur offiziellen Produktmarke gekürt. Auch das erwies sich als kluger Zug, denn ein griffiger Name schafft Identität und erleichtert die Vermarktung.
Zwei Drittel des Umsatzes mit externen Kunden
„Heute sind wir unter den Energieversorgern ein Exot, weil das einzige Haus, das zugleich Energieversorger und IT-Dienstleister ist.“ Eugeniy Ivanov, der bei der rhenag seit September 2014 als Prokurist das „Dienstleistungsgeschäft und das Informationsmanagement“ verantwortet, fühlt sich in dieser vermeintlichen Außenseiterrolle pudelwohl. Die aktuellen Zahlen sprechen für sich: Mehr als 100 Unternehmen aus Energieversorgung und Entsorgung nutzen IT-Dienstleistungen der rhenag. Das Größenspektrum reicht von einigen Hundert bis etwa 500 000 Zählpunkten. Mit lima werden insgesamt etwa fünf Millionen Zählpunkte betreut, dabei jährlich rund sechs Millionen Abrechnungen erzeugt und rund 30 Millionen Marktkommunikationsprozesse abgewickelt. „Damit sind wir unter den Einzelinstallationen die Nummer zwei im deutschen Markt“, sagt Ivanov. Längst dominieren externe Kunden das Geschäft: Nur 15 % des Umsatzes mit lima entfallen auf Konzerngesellschaften, 16 % auf Unternehmensbeteiligungen und 69 % auf externe Gesellschaften.

Eugeniy Ivanov, Prokurist bei der rhenag ag in Köln: „Energieversorger gehen zunehmend auf die Suche nach einer Fit-for-Purpose-IT-Lösung.“ Bild: rhenag
Doch für was steht der Name lima eigentlich? „Dahinter steckt ein Software as a Service (SaaS) aus der rhenag-Private-Cloud“, so Ivanov, „im Kern handelt es sich um eine voll-integrierte, praxisnahe und praxisgeprägte standardisierte Komplettlösung ausschließlich für die deutsche Energiewirtschaft. Praxisgeprägt, weil sie ihre Wurzeln in unserem eigenen Energiegeschäft hat.“ Das Funktionsportfolio ist modular aufgebaut und gliedert sich in zwei große Blöcke. Das energiewirtschaftliche Funktionsspektrum umfasst von Vertragsmanagement und Verbrauchsabrechnung über Marktkommunikation, Kundenbeziehungsmanagement, Online-Services und Output-Management bis hin zu Geräte- und Asset-Management alles, was ein Energieversorger zur operativen Prozessunterstützung benötigt. Im kaufmännischen Bereich finden sich Funktionsbausteine wie Personalwirtschaft, Zeitmanagement, Lohn- und Gehaltsabrechnung sowie Finanzen und Controlling. „Unser Ziel ist es, unseren Kunden eine integrierte Lösung bereitzustellen und ihnen die Sorge über das Zusammenstellen von diversen Modulen für ihre Prozessunterstützung abzunehmen“, charakterisiert Ivanov das Portfolio.
Modularer Aufbau erleichtert Integration externer Systeme
Was nicht nur in diesem Kontext bemerkenswert ist: Hinter der lima-Produktentwicklung und dem Support bei der rhenag stehen gerade einmal 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Damit wir trotzdem eine vollständig ausgeprägte Lösung bereitstellen können, haben wir eine Anwendungsplattform geschaffen“, erläutert Ivanov. „Darüber wird die Kopplung mit anderen Lösungsmodulen oder -systemen auf dem Markt ermöglicht.“ Während viele Core-Anwendungen Eigenentwicklungen sind, setzt die rhenag bei spezifischen und neu hinzukommenden Anforderungen oft auf Partnerlösungen. „Wenn es im Markt Produkte gibt, die gut in unser Lösungsportfolio passen, versuchen wir im ersten Schritt immer den Kooperationsweg zu gehen. Durch den modularen Aufbau sind wir in der Lage, Systemintegrationen uneingeschränkt zu realisieren.“
Angesichts der nach wie vor weit verbreiteten Skepsis gegenüber Cloud-Lösungen verwundert auf den ersten Blick die große Akzeptanz von lima im Energiemarkt. „Unsere Software hat schon immer einzig und allein als ASP-Lösung existiert“, berichtet Ivanov. „Sie läuft in zwei rhenag-eigenen Rechenzentren in Köln, die wir nur für uns und unsere Kunden betreiben. Deshalb sprechen wir auch von einer Private Cloud.“ Beide Rechenzentren entsprechen der Tier-3-Kategorie mit einer Verfügbarkeit von 99,98 %. Sie werden jährlich nach PS 951 zertifiziert (2016 ist die ISO-Zertifizierung geplant) und ständig Penetrationstests unterzogen. Die Technik ist stets up to date, da die Hardware von spezialisierten Dienstleistern per Leasing bereitgestellt wird. „Dadurch machen wir sämtliche technologischen Innovations- und Refresh-Zyklen automatisch mit. Wenn einem die Hardware selbst gehört, läuft man häufig Gefahr, sie aus Kostengründen länger zu betreiben, als es für die Sache gut ist. Diese Gefahr haben wir mit dem Leasing-Modell bewusst ausgeschaltet. Hinzu kommt, dass beide Rechenzentren extrem leistungsstark angebunden sind. Sie liegen an den Hauptstrecken des Datennetzes der Deutschen Telekom.“
Bei für alle gleichen Aufgaben lohnt sich Kooperation
Könnten sich potenzielle Kunden nicht daran stoßen, dass ein Wettbewerber im Markt für sie IT-Dienstleistungen erbringt? Bisher habe man diese Problematik nicht oder kaum, sagt Ivanov. Aus einem einfachen Grund: „Bei Aufgaben wie Verbrauchsabrechnung oder Marktkommunikation sind die Anforderungen für alle gleich, man kann sich nicht differenzieren. Hier lohnt es sich zu kooperieren und Aufgaben gemeinsam zu lösen. Differenzierungspotenzial gibt es hingegen bei Produkten und Preisen. Deshalb legen wir größten Wert auf den Datenschutz bei unseren Mandanten. Dabei hilft uns wiederum auch unsere Flexibilität, kundenindividuelle Module andocken zu können.“
Wenn Ivanov sagt, dass noch kein einziger lima-Anwender der rhenag wieder den Rücken zugekehrt habe, deutet das auf ein hohes Maß an Kundenzufriedenheit hin. Tatsächlich investiert das Unternehmen viel Zeit und Ressourcen, um mit dem Kunden in Kontakt zu bleiben und seine Anforderungen und Wünsche stets frühzeitig zu kennen. Dazu tragen unter anderem Anwendertreffen auf verschiedenen Ebenen bei. „In unseren diversen Arbeitskreisen haben die Kunden das verbriefte und praktizierte Mitspracherecht bei Weiterentwicklung und Innovation“, erläutert Ivanov. „Das sorgt dafür, dass die Kunden sich verstanden und ernst genommen fühlen.“
Gefragt, was denn die speziellen Vorteile von lima seien, sprudelt es aus Ivanov nur so heraus: „Wir sind der einzige Anbieter, der zugleich Softwarehersteller und Energieversorger ist. Was hat der Kunde davon? Man muss uns nicht die Anforderungen der Branche erklären. Durch die Begegnung auf Augenhöhe entwickeln wir genau eine für alle passende Applikation, aus der Praxis für die Praxis. Wir sind der einzige Anbieter, der seine Lösung ausschließlich als Software as a Service anbietet. Das bedeutet, dass der Anwender sich nicht um Themen wie Softwarebetrieb, Sicherheitsanforderungen, kostspielige Infrastrukturinvestitionen, Updates oder Formatanpassungen zu kümmern braucht. Unsere Kunden bezahlen nach dem Pay-per-Use-Prinzip, also pro Vertrag und Abrechnung, sie haben somit transparente, kalkulierbare Kosten. Wir sind der einzige Anbieter, der ausschließlich für den deutschen Energiemarkt tätig ist. Das heißt, es gibt weder ein lima für einen ausländischen Energiemarkt noch eines für andere Branchen. Dadurch fokussieren wir uns ausschließlich auf das, was in diesem Markt an Lösungen benötigt wird. Das sorgt dafür, dass wir schneller und kosteneffizienter arbeiten können.“
Erosionswettbewerb eröffnet weitere Wachstumschancen
Obwohl der Markt für Abrechnungslösungen de facto gesättigt ist, sieht Ivanov durchaus Potenzial für weiteres Wachstum. Auf der einen Seite entstehen beispielsweise im Zuge der Rekommunalisierung neue Player im Markt. Aber auch durch den zunehmenden Kostendruck sieht der rhenag-Manager Chancen. Er spricht von einem Erosionswettbewerb, „weil sich viele Energieversorger gewisse IT-Lösungen gar nicht mehr leisten können. Dann geht man zunehmend auf die Suche nach einer Fit-for-Purpose-Lösung.“ Die zweite Schiene, über die Wachstum komme, sei die Digitalisierung. Dadurch entstünden neue Anforderungen, denen sich die Unternehmen stellen müssten. Ein klassisches Beispiel sei der Online-self-Service. „Ich denke, dass wir hier noch lange nicht am Ende der Kette angelangt sind. Aktuell erleben wir in unserer Branche eine Transformation. Zukünftig wird die IT für Energieversorger den gleichen Stellenwert haben, wie heute die Werkzeugmaschine für den Produkthersteller .“ Und schließlich sorgten auch die immer stärker regulierten Geschäftsprozesse, die in der IT abgebildet werden müssen, dafür, dass sich Energieversorger nach praktikablen Alternativen umsehen.
Lösen diese Perspektiven nicht euphorische Stimmung aus? Ivanov bleibt eher nüchtern. Das entspricht dem Stil und Leitbild eines traditionsreichen Unternehmens, das als Muster für Seriosität und Verlässlichkeit wahrgenommen werden möchte. Wie stark die Bodenhaftung auch im IT-Geschäft ist, lässt sich daran ablesen, dass Ivanov mehrfach betont, wie strikt sach- und lösungsorientiert man die Aufgaben angehe. „Wir betrachten Innovationen nie als Selbstzweck, sondern prüfen immer, ob sie für unsere Kunden sinnvoll und nützlich sind.“ Vielleicht liegt gerade in dieser Erdung und Akkuratesse das Geheimnis des Erfolgs.