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Stromnetz der Zukunft 26.05.2023, 14:45 Uhr

Smart Meter und Künstliche Intelligenz

Ohne Digitalisierung ließe sich der Strom schon heute nicht mehr optimal verteilen und Versorgungssicherheit gewährleisten. Mit der Zunahme von Wärmepumpen und Elektroautos sowie Solar- und Windkraftwerken werden die Anforderungen noch größer.

Montage und Inbetriebnahme eines intelligenten Messsystems (iMSys). Foto: Voltaris

Montage und Inbetriebnahme eines intelligenten Messsystems (iMSys).

Foto: Voltaris

Smart Meter können jetzt kommen. Der Bundesrat hat am 12. Mai abschließend dem Gesetz zum Neustart der Energiewende (GNDEW) zugestimmt, das der Bundestag am 20. April verabschiedet hatte. Intelligente Messsysteme (iMSys) erfassen den Stromverbrauch in Echtzeit und melden ihn in regelmäßigen kurzen Abständen dem Energieversorger. Dieser wiederum macht die Zahlen seiner Kundschaft via Internet zugänglich. Alle können jederzeit sehen, wie hoch der eigene Stromverbrauch gerade ist.

Dienstleister greifen Stadtwerken unter die Arme

Zudem müssen Netz- und Messstellenbetreiber 2025 in der Lage sein, steuerbare Verbraucher und Einspeiser schalten zu können. Hierzu werden bidirektionale Steuerboxen via einer sogenannten CLS-Schnittstelle an das iMSys angeschlossen. Spezialisierte Dienstleister wie Voltaris arbeiteten derzeit mit Hochdruck an Lösungen für das CLS-Management. Zudem ist Voltaris derzeit dabei eine EVU-Plattform für Stadtwerke als Full-Service-Angebot zu pilotieren. „Die Anforderungen nun umzusetzender Themen wie zum Beispiel Steuern und Schalten mit dem iMSys führen zu einer stark zunehmenden Gesamtkomplexität der Systeme, die bei vielen Stadtwerken noch nicht in der Gesamtbetrachtung verankert ist“, führt Marcus Hörhammer, Bereichsleiter Produktentwicklung und Vertrieb bei Voltaris aus.

Ab 2025 flexible Tarife

Die Energieversorger werden zudem verpflichtet, ihrer Kundschaft ab 2025 flexible Tarife anzubieten. Strom soll billiger sein, wenn er im Überfluss ins Netz fließt, etwa bei hoher Sonneneinstrahlung und starkem Wind. Das können Verbraucherinnen und Verbraucher nutzen, um Geld zu sparen, indem sie zu diesen Zeiten große Stromverbraucher wie Wasch- und Spülmaschinen oder Wäschetrockner laufen lassen und die Batterien ihrer E-Autos aufladen. Umgekehrt wird Strom teurer, wenn er knapp ist. Im Endeffekt wird so das Angebot von Wind- und Solarstrom optimal genutzt. Heute muss Überschussstrom oft verramscht werden oder Windparks und Solarkraftwerke müssen vom Netz genommen werden.

Digitalisierung braucht noch mehr Schub

Strom wurde zu allen Zeiten weitgehend dezentral verbraucht. Ausnahmen bilden Industriebetriebe mit hohem Stromverbrauch. Im Gegensatz dazu wurde Strom in relativ wenigen Kraftwerken weitegehen zentral erzeugt. Hochspannungsleitungen sorgten für den Ferntransport und tun es noch heute. Doch mittlerweile sind Millionen neue Stromerzeuger dazugekommen, die Wind und Sonne nutzen. Zudem Wallboxen mit hohen Leistungen, die aber nur relativ kurzzeitig abgerufen werden, Solarbatterien, Wärmepumpen und E-Autos, die nicht nur Strom tanken, sondern auch ins Netz einspeisen können. Ohne Digitalisierung wären Stromversorger und Netzbetreiber schon heute nicht mehr in der Lage, die Versorgungssicherheit sicherzustellen.

Wetterprognosen sind entscheidend

Je genauer sie wissen, wie viel Strom wann wo erzeugt, eingespeist und von Verbraucherinnen und Verbrauchern benötigt wird, desto präziser können sie ihr Angebot an den Bedarf anpassen. Und umso grösser ist die Wirtschaftlichkeit, denn das Ausgleichen von Fehlmengen ist teuer. Wenn sich in ihrem Versorgungsgebiet Verbrauch und Produktion nicht jederzeit decken, sind Ausgleichszahlungen fällig, die letztlich von Verbraucherinnen und Verbrauchern gezahlt werden. Je präziser also die Wetter- und damit die Ertragsprognosen von Windkraft- und Solaranlagen, umso günstiger wird der Strom. Wer den Eigenverbrauch mithilfe von Batterien oder steuerbaren Verbrauchern wie E-Fahrzeugen und Wärmepumpen optimieren will, braucht ebenfalls Prognosen, um zu entscheiden, wofür der Strom jeweils genutzt werden soll. Auch für das Energiemanagement von Gebäuden sind genaue Wettervorhersagen entscheidend.

Machine Learning und Künstliche Intelligenz

Auf der EM-Power Europe, der internationalen Fachmesse für Energiemanagement und vernetzte Energielösungen vom 14. bis 16. Juni in München, präsentieren Unternehmen aus aller Welt ihre Digitalisierungskonzepte sowie innovative Technologien und Dienstleistungen für das optimierte Netz der Zukunft. „Machine Learning (ML) und Künstliche Intelligenz (KI) spielen bei der Prognose der Sonnenstrahlung eine wesentliche Rolle“, so Jan Remund, Leiter der Abteilung Energie und Klima beim Schweizer Wetterdienstleister Meteotest AG. Mithilfe einer Kombination aus physikalischem Modell und selbstlernenden Algorithmen auf Basis von Satellitenbildern kann das Unternehmen Wolkenbewegungen vorhersagen. „Für einige Stunden im Voraus geht das ziemlich genau. Je länger der Zeitraum, desto grösser die Unsicherheit“, sagt Remund. Sein Unternehmen erhebt Strahlungs- und Temperaturdaten und erstellt mit deren Hilfe Analysen, Profile und Prognosen, die sich in die jeweilige Monitoring- oder Steuersoftware von großen Photovoltaik-Anlagen integrieren lassen. Netzbetreiber benötigen die Strahlungsvorhersagen, um auf Basis von Erzeugungs- und Verbrauchsprognosen Ein- und Ausspeisung im Stromnetz jederzeit ausgleichen zu können.

Saharastaub mindert die Stromproduktion

Der süddeutsche Monitoring- und Prognose-Spezialist Meteocontrol erstellt Ertragsberechnungen auf Grundlage der Daten verschiedener Wetterdienstleister. Das Unternehmen beschäftigt sich darüber hinaus mit dem Einfluss, den Aerosole wie Asche und Sandkörner auf die Wolkenbildung haben. „Am 3. und 4. März 2021 wurde im Rahmen unseres Forschungsprojektes PermaStrom besonders deutlich, wie wichtig dieses Thema ist“, sagt Stijn Stevens, Geschäftsführer von Meteocontrol. „An diesen zwei Tagen gab es sehr viel Saharastaub in Europa. Allein in Deutschland konnten durch optimierte Prognosen rund 3 Mio. € an Ausgleichsenergiekosten gespart werden.“

Durch die Integration von smarten Applikationen und KI entsteht gewissermaßen eine digitale Schwarmintelligenz des Versorgungsnetzwerks. Indem Betreiber Prognosen über Stromerzeugung und -verbrauch mit der Leistung herkömmlicher Kraftwerke kombinieren, können sie vorhersagen, wann und wo ihre Leitungen und Trafos an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stoßen, und rechtzeitig entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten.

Schlaue Waschmaschinen und Wärmepumpen

Wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher mitmachen, werden die Netze durch die breite Einführung von Smart Metern möglicherweise entscheidend entlastet. Wenn das Verbrauchsmanagement automatisiert wird, noch stärker. Intelligente Großverbraucher lassen sich ans Internet anschließen, sodass sie stets „wissen“, wie teuer der Strom gerade ist. Wenn er günstig ist beginnt die Waschmaschine zu laufen. Oder die Wärmepumpe produziert warmes Wasser aus Vorrat, das abends, wenn es kälter wird, den Heizkreislauf unterstützt. Und für Besitzerinnen und Besitzer von Durchlauferhitzern gilt dann: Geduscht oder gebadet wird nur, wenn die Sonne vom wolkenlosen Himmel lacht oder ein kräftiger Wind weht.

Von Wolfgang Kempkens / Hans-Christoph Neidlein