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E-world energy & water 29.05.2023, 10:00 Uhr

Schaufenster für eine dekarbonisierte Energiewelt

Immer mehr Unternehmen treiben die Energiewende dynamisch und aktiv voran. Sie entwickeln neue Produkte und Services oder bieten diese schon an. Gleichzeitig entstehen zahlreiche neue Geschäftsmodelle. Dies wurde auf der diesjährigen E-world energy & water in Essen deutlich.

Auf der E-world energy & water zeigten rund 800 Aussteller aus 27 Ländern vom 23. bis 25. Mai ihre Lösungen für die Gestaltung der Energiewende. Foto: Armin Huber/Messe Essen

Auf der E-world energy & water zeigten rund 800 Aussteller aus 27 Ländern vom 23. bis 25. Mai ihre Lösungen für die Gestaltung der Energiewende.

Foto: Armin Huber/Messe Essen

Eine zentrale Rolle spielen hierbei die Digitalisierung und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). So arbeitet Energy2market (e2m), Direktvermarkter und Vorreiter im Bereich virtueller Kraftwerke künftig mit Lösungen der Wilken Software Group. Konkret setzt das Unternehmen auf die Branchensoftware „Wilken Ener:gy“. Somit verfügt e2m nun über ein umfassendes Abrechnungssystem für diverse Energieerzeugungsanlagen und eine standardisierte, aber dennoch individuelle Abbildung verschiedenster Produktkonstellationen. Für die äußerst komplexen Abrechnungsprozesse innerhalb eines virtuellen Kraftwerks ist dies entscheidend, denn Strom und Flexibilitäten werden hier rund um die Uhr in Echtzeit gehandelt.

In der Buchhaltung wird bei der e2m zukünftig zudem das Wilken-ERP auf P/5-Basis im Hauptbuch mit zugehörigem Eingangsrechnungsmanagement und Anbindung an das Wilken-Cloud-Archiv eingesetzt. Das KI-unterstützte Eingangsrechnungsmanagement erlaubt eine hochgradig effiziente und vollständig digitale Rechnungsverarbeitung mit schnellen Prüfungs- und Freigabeprozessen. Insgesamt sieht Tobias Mann, Chief Customer Officer (CCO) bei Wilken, ein enormes Effizienz- und Wachstumspotenzial von KI-gestützten Softwarelösungen für die Direktvermarktung erneuerbarer Energien (EE), das Demand-Side-Management und die Flexibilitätsvermarktung.

Intelligentes Lastmanagement bietet Einsparpotenziale

Welche Einsparpotenziale ein intelligentes Lastmanagement unter Einbindung von Großbatteriespeichern sowie die Vermarktung von Flexibilität im industriellen Umfeld bietet, zeigt ein Projekt der Speira GmbH, EDF Renewables und e2m. Seit 2021 betreibt EDF Renwables als Full-Service-Anbieter ein intelligentes Batteriespeichersystem bei dem Alumiumwalz- und Recyclingunternehmen Speira im Werk Hamburg. 272 Batteriemodule liefern seither störungsfrei 1,6 MW Leistung für eine Stunde. Dies ist laut Clotaire Francois de Leymarie von EDF Renewable Storage Deutschland GmbH genug Power, um mithilfe eines intelligenten Lastmanagements den Netzbetreiber bei der Stabilisierung des Stromnetzes zu unterstützen, ohne die Produktionsabläufe des Unternehmens zu beeinflussen.

Die Batterie hat es Speira wie geplant ermöglicht, von der atypischen Netznutzung zu profitieren, indem sie die Lastspitzen in den Hochlastzeitfenstern des Netzbetreibers reduziert (Peak Shaving) und dadurch die Energiekosten des Unternehmens senkt. E2m zeigt sich verantwortlich für die Vermarktung der Flexibilität an den Regelenergiemärkten und sicherte den technischen und regulatorischen Zugang zum Regelenergiemarkt, in diesem Fall zur Primärregelleistung. EDF Renewables steuert von der Last- und Standortanalyse bis zu Installation, Betrieb und Wartung auch die Finanzierung des Recyclings der Speira-Batterien.

Insgesamt spart das Industrieunternehmen mit seinem Batteriespeicher rund 150 000 €/a, berichtete Friedhelm Iske, Leiter der Instandhaltung bei Speira. Denn das Unternehmen profitiert aufgrund der Lastverschiebung und Lastspitzenkappung von reduzierten Netzentgelten. Darüber hinaus konnten laut Iske rund 30 % Erdgas eingespart werden. Kritisch wurde bei dem Pressepanel auf der E-world die von der Industrie vehement geforderte und von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck geplante Subventionierung von Industriestrompreisen diskutiert. Denn dadurch sinke der Anreiz für einen effizienteren Stromeinsatz und das Ausschöpfen enormer Einsparpotenziale entsprechend dem Vorbild des Projekts in Hamburg, betonte Rebekka Schuster von EDF Renewables Storage Deutschland. Nötig sei jedoch in der Industrie selbst das Bewusstsein für die Kostenvorteile eines intelligenten Lastmanagements zu stärken.

Subventionierung des Industriestrompreises könnte Anreize für EE-Strom gefährden

Kritik an der angekündigten Subventionierung des Industriestrompreises äußerte auch Sascha Schröder, Vice President Central European Origination bei Statkraft. Denn dann entfielen Preisanreize für die Abschluss von mehrjährigen Power Purchase Agreements (PPA) für derzeit deutlich günstigeren erneuerbaren Strom. Das norwegische Energieunternehmen kündigte an, allein in Deutschland bis 2030 neue Photovoltaik- und Windkraftwerke mit einer Leistung von 2 GW zu errichten.

Softwaregestützte Lösungsansätze entwickeln

Auch Arvato Systems Digital setzt zunehmend auf Geschäftsmodelle rund um die Energie- und Klimawende sowie Energieeffizienz, wie Manager Sven Ulrich unterstrich. Als USP sieht das Unternehmen seine softwaregestützten Lösungen für die Verknüpfung von Energieeffizienz- und Umweltmanagement beziehungsweise Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSR) von Unternehmen. In einem Forschungsvorhaben wird derzeit unter anderem auch das Flexibilitätsmanagement erprobt.

Foto: Armin Huber/Messe Essen

Digitalisierung von Gebäuden

Zukunftsweisende Lösungen rund um das Energie- und Facilitymanagement und das Internet der Dinge (IoT) treibt auch Zenner voran. So präsentierte das saarländische Unternehmen auf der E-world die neue Digitalisierungslösung „Element Suite“. „Element Suite ist die Standardlösung für das IoT und das Werkzeug zur Digitalisierung von Gebäuden, für das Smart Metering und alle anderen denkbaren Anwendungen in der Smart City“, sagt René Claussen, Geschäftsbereichsleiter IoT und Digitale Lösungen bei Zenner. Über die Element Suite können etwa intelligente Thermostate raumgenau eingestellt und Temperaturen überwacht werden. Hierdurch seien jährliche Energieeinsparungen von bis zu 30 000 € möglich, erläuterte Claussen. Auch Heizungstestläufe sind möglich, mit ihnen können beschädigte Anlagen lokalisiert werden. Weitere mögliche Anwendungen für ein digitalisiertes Facilitymanagement sind beispielsweise die Fernüberprüfung von Rauchmeldern.

Digitalisierung der Ortsnetze

Der E-world-Auftritt des Fernwirkanbieters Lacroix SAE IT-Systems hatte die Aufgabe im Auge, die vielfältigen Herausforderungen durch die zunehmende Digitalisierung der Ortsnetze rasch und passgenau zu meistern. Neben den Produkten und Lösungen rund um Niederspannungsmessung, Ortsnetzautomatisierung oder Schleifenüberwachung in Fernwärmenetzen präsentierte das Unternehmen einen serienreifen, mobilen Fernwirkkoffer zum Aufspüren von Betriebs-Anomalien. Die vor einem Jahr als Prototyp vorgestellte Lösung lässt sich dank zahlreicher Ausstattungs- und Kommunikationsoptionen an die Anforderungen verschiedenster Einsatzbereiche flexibel anpassen.

Dynamische Stromtarife per App

Dynamische Stromtarife in Kombination mit einer automatisierten Lastverschiebung von planbaren Stromverbräuchen per App bietet das Hamburger Start-up Rabot Charge an. Dank eines automatisierten Algorithmus, der im Viertelstundentakt die Stromverbräuche an der Börse überwacht und analysiert, lassen sich zeitlich flexible Stromverbräuche in Niedrigpreisphasen beziehungsweise Zeiten mit viel erneuerbaren Energiequellen verlagern. Bei der Lastverschiebung werden individuelle Verbrauchsmuster und Kundenpräferenzen berücksichtigt. Durch die zeitliche Verschiebung können Verbraucher ihre Stromkosten senken; parallel wird der Stromkonsum an verfügbare EE-Stromkapazitäten angepasst, die je nach Wetterlage stark schwanken. Dies kommt der Netzstabilität zugute. Zudem können Verbraucher so ihre Stromkosten reduzieren.

„Indem die jährlichen Smart-Meter-Kosten vom Gesetzgeber für Privathaushalte und Kleinanlagenbetreiber auf 20 € brutto gedeckelt wurden, können selbst Privathaushalte ohne E-Auto und Wärmepumpe von dynamischen Stromtarifen beziehungsweise Niedrigpreisphasen an der Strombörse profitieren. Zwar konsumieren diese Haushalte weiterhin den Großteil ihres Stroms nach konkretem Bedarf. Der Betrieb von Trockner, Waschmaschine oder Spülmaschine, der immerhin 22 % des Verbrauchs ausmacht, lässt sich aber optimieren. Nach Abzug der jährlichen Kosten für die Smart Meter gehen wir bei diesen Haushalten von einem jährlichen Einsparpotenzial von einigen hundert Euro aus“, erklärt Jan Rabe, CEO von Rabot Charge. Das Sparpotenzial für Haushalte mit Wärmepumpen oder E-Autos schätzt er auf 1 000 €/a und mehr. Rabot Charge bietet seine Lösung Stadtwerken und anderen Energieversorgern auch als White Label Solution an.

Nutzung und Marktintegration von erneuerbaren Energien

Die optimierte Nutzung und Marktintegration von erneuerbaren Energien unter Nutzung von intelligenter Software und KI hat sich auch der Stadtwerkeverbund Trianel auf die Fahnen geschrieben. „Die erneuerbaren Energien mit ihren spezifischen volatilen Eigenschaften bestimmen zunehmend die Märkte und nehmen Einfluss auf das Niveau, die Struktur und die Volatilität der Großhandelspreise“, so Christian Schmitz, Leiter 24/7 Desk bei Trianel.

„Damit steigt nicht nur die Komplexität der Handelsprozesse, sondern es sind auch neue Vermarktungsstrategien für die immer volatileren Erzeugungsmengen nötig. Effektiv kann diese Komplexität in einem volatilen Umfeld nur noch über vollautomatisierte Handels- und Prognoseinstrumente abgebildet werden“, betonte Schmitz. Im Kommen ist bei der Vermarktung der Anlagen an den Langfrist- und Kurzfristmärkten eine intelligente Kombination der Anlagen. Eine zentrale Rolle spielen hierbei steuerbare Anlagen wie Speicher oder Biogasanlagen, um die Volatilität der Erneuerbaren mit einer entsprechend starken Spreizung der Börsenpreise auszunutzen.

Foto: Armin Huber/Messe Essen

Blockheizkraftwerke „H2-ready“

Eine zentrale Rolle bei steuerbarer Energie und der Versorgungssicherheit spielt die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Eine Herausforderung ist allerdings die weitergehende Umstellung der KWK auf möglichst klimaneutrale Brennstoffe. Derzeit kommen bei Blockheizkraftwerken (BHKW) in Deutschland insbesondere Erdgas und Biogas zum Einsatz. Zunehmend in den Fokus rückt nun Wasserstoff. In Essen präsentierte Sokratherm ein „H2-ready“-BHKW der 400-kW-Klasse. Der umgerüstete Motor von MAN wird derzeit auf einem Prüfstand von MAN Engines für den Betrieb mit 100 % Wasserstoff getestet. Derzeit sei man mit mehreren Kunden für einen späteren Feldversuch mit dem wasserstoffbetriebenen BHWK im Gespräch, berichtet Sokratherm-Vertriebsleiter Joachim Voigt. Als Joker sieht er hierbei unter anderem die relativ einfache Umrüstbarkeit des Motors von Gas- auf 100 % Wasserstoffbetrieb.

Wasserstoff für Motoren

Auf dem Weg zur Dekorbonisierung ist auch Rolls-Royce, zu der auch die MTU (Motoren- und Turbinen-Union Friedrichshafen) als eine Marke der Rolls-Royce Power Systems gehört. Neben Motoren (auch für BHKW und Notstromaggregate) werden mittlerweile eine ganze Palette von Lösungen und Produkten für die neue Energiewelt entwickelt und erprobt, beispielsweise Elektrolyseure oder Großbatteriespeicher, wie Christoph Bendzko, Senior Manager bei Rolls-Royce Solutions (Augsburg) auf der E-world erläuterte. So hat Rolls-Royce unter anderem erfolgreich eine 12-Zylinder-Gasvariante des MTU-Motors der Baureihe 4000 L64 mit 100 % Wasserstoff getestet. Die erste Installation von MTU-Motoren, die man mit 100 % Wasserstoff betreiben will, ist für das Leuchtturmprojekt „EnerPort II“ im deutschen Binnenhafen Duisburg geplant. Zum Einsatz kommen BHKW mit MTU-Wasserstoffmotoren der Baureihe 4000 (installierte Leistung insgesamt 2 MW) sowie drei MTU-Brennstoffzellensysteme (installierte Leistung insgesamt 1,5 MW).

Modulare Batteriespeicher

Ein für den Outdoorbetrieb konzipiertes Batteriespeichersystem „Sunsys HES L“ zeigte der Messtechnik- und Energieumwandlungsexperte Socomec. Mit dem modularen Speichersystem lassen sich Leistungen von 100 kVA bis zu mehreren MVA und Kapazitäten von 186 kWh bis zu mehreren MWh realisieren. Es besteht aus drei Standardschränken (C-Cab, B-Cab und DC-Cab) sowie einem Energieverteilerschrank (AC-Cab). Die Schränke werden kundenspezifisch konfiguriert, um eine maximale Flexibilität zu ermöglichen und allen Installationsanforderungen zu entsprechen. Um die Installation zu vereinfachen, verwendet Socomec einen systemspezifischen Kabelkanal zwischen C-Cab und B-Cab, in dem auch sämtliche DC-, Kommunikations- und Erdungskabel zwischen den Schränken verlegt werden. Punkten will Socomec bei seinen Kunden auch mit seinem dichten Servicenetz wie Guy Schaaf, Marketing Manager von Socomec, im Gespräch betonte.

Von Hans-Christoph Neidlein