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„3 Fragen an...“ 08.12.2025, 08:00 Uhr

Risikobeurteilung und Bergstürze im Zeitalter von KI

In der Dezember-Ausgabe der Fachzeitschrift Bauingenieur gibt Dr. Alexander Preh von der Technischen Universität Wien in seinem Standpunkt Einblicke wie wichtig geologische Prozessverständnisse sind – auch im Zeitalter modernster Monitoring-Technologien. Wir wollten es genauer wissen und haben bei Dr. Preh nachgefragt, wie weit der Mensch Einfluss nehmen kann und sollte, um Bergstürze vorherzusagen und zu warnen.

Dr. Alexander Preh von der Technischen Universität Wien gibt Einblicke, wie wichtig geologische Prozessverständnisse sind. Foto: Alexander Preh

Dr. Alexander Preh von der Technischen Universität Wien gibt Einblicke, wie wichtig geologische Prozessverständnisse sind.

Foto: Alexander Preh

Moderne Fernerkundungsmethoden liefern digitale Geländemodelle, ermöglichen eine strukturgeologische Kartierung auch an unzugänglichen Stellen und überwachen Felsbewegungen. Wie hoch ist die räumliche und zeitliche Auflösung und die Abdeckung dieser Verfahren? Wie verlässlich ist die maschinelle Beurteilung der Risiken von Bergstürzen? Wann braucht es auch noch heute den Menschen, um die Situation richtig einzuschätzen?

Preh: Digitale Geländemodelle werden mittels Airborne Laserscanning (luftgestützte Laserscanner) gewonnen. Die Aktualität der Aufnahmen ist je nach Region sehr unterschiedlich. Im Westen Österreichs sind die Aufnahmen ein bis acht Jahre alt. Die maximale Auflösung der ALS-Höhenmodelle beträgt zwischen 0,5 Metern und einem Meter. Satelliten-Radarbilder (InSAR) werden alle sechs bis zwölf Tage neu aufgenommen, haben aber eine deutlich schlechtere Auflösung, zum Beispiel besitzt der EU-Satellit Sentinel-1 eine Auflösung von 5 Metern x 20 Metern. Automatisierte Methoden auf Basis der Radarinterferometrie (InSAR) und einfache mechanische Modelle eignen sich derzeit lediglich für die Detektion von instabilen Talflanken im regionalen Maßstab. Eine vollständige maschinelle Beurteilung der von potenziellen Bergstürzen ausgehenden Risiken ist nicht möglich, da viele Informationen, zum Beispiel über die geologischen und hydrogeologischen Verhältnisse in der Tiefe, oft nicht vorliegen und auch nicht automatisiert gewonnen werden können. Um ein Gesamtbild zu gewinnen, ist oft detektivische Arbeit (unter Zuhilfenahme älterer Literatur und Karten und anhand von Beobachtungen) erforderlich, das kann eine KI noch nicht leisten.

Verbesserung bei Prognoseparametern nötig

Prof. Albert Heim plädierte schon früh für eine ganzheitliche Betrachtung von Bergstürzen. Inwiefern können die computergestützten Prognosemodelle diese Ganzheitlichkeit abbilden? An welchen Stellschrauben kann noch gedreht werden und mit welchen Verbesserungen ist hier in den kommenden Jahren zu rechnen?

Es gibt noch kein Universalmodell zur Prognose des Abbruchs und der Ausbreitung von Bergstürzen. Der Abbruch und der folgende Sturzprozess sind miteinander verknüpft, aber sehr unterschiedliche Prozesse. Computergestützte Modelle existieren derzeit nur zur Bearbeitung von Teilfragen. Ein großes Problem ist die Findung von Prognoseparametern, zum Beispiel zur Abschätzung der Ausbreitung der Felsmassen. Hier könnte es in den nächsten Jahren zu Verbesserungen kommen.

Der Zeitpunkt eines Abbruchs ist nicht vorhersagbar

Bei Felsstürzen müssen Entscheidungsträger häufig unter erheblichem Zeitdruck agieren. Wie funktioniert die Kette aus Monitoring-Daten, KI-Auswertungen und menschlicher geotechnischer Expertise? Wie gehen die Behörden dann mit den herausgegebenen Warnungen um? Welche Situationen sind leicht, welche schwer zu beurteilen? Welche Bedingungen müssen für eine Evakuierung erfüllt sein? Wie hoch ist die „Trefferquote“ von Evakuierungen?

Die Behörden wie die Wildbach- und Lawinenverbauung und die Landesgeologien arbeiten oft mit externen Expertinnen und Experten (z. B. Universitäten) zusammen. Diese setzen falls sinnvoll KI oder maschinelles Lernen bei der Interpretation von Monitoring-Daten oder bei der Kalibration von numerischen Modellen ein. Das Katastrophenmanagement in Österreich kann aber keine Entscheidungen mittels KI treffen. Hier sind in der Zukunft sicherlich auch noch Fragen bezüglich der Haftung zu klären. Die schwierigste Frage bei großen instabilen Felsmassen ist immer die Vorhersage des Zeitpunkts des Abbruchs, das heißt die Einschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit. Da große Bergstürze seltene Ereignisse sind, kann man nicht von einer Trefferquote bei Evakuierungen sprechen. Bei den letzten großen Bergstürzen im Alpenraum, Val Pola (1987), Randa (1991) und dem Blatten (2025) wurde rechtzeitig evakuiert. Bei Val Pola jedoch nicht weiträumig genug.

Dr. Preh wir danken Ihnen für Ihre Einblicke!

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Von Melanie Schulz / Heike van Ooyen