Zum E-Paper
Bewegendes im Bewegtbild 11.09.2025, 00:00 Uhr

Follow-up zu Frei Otto 100

In einem 15-minütigen Video sprechen Weggefährten des Architekten und Pritzker-Preisträgers Frei Otto darüber, wie sie ihn kennenlernten und wie sich die Zusammenarbeit mit dem Genie gestaltete.

Freunde, Kollegen und Wegbegleiter erinnern ihre Begegnung und Zusammenarbeit mit Frei Otto. Foto: ifag

Freunde, Kollegen und Wegbegleiter erinnern ihre Begegnung und Zusammenarbeit mit Frei Otto.

Foto: ifag

Im Nachgang an das zweitägige Frei Otto Symposium im Juni 2025 gibt es jetzt noch einmal Bewegendes in Bildern zu sehen und hören: Baris Wenzel und Prof. Christiane Weber vom ifag (Institut für Architekturgeschichte an der Universität Stuttgart) hatten mithilfe von Anna Claudia Sokolova und den Studierenden Dina Franca, Jacqueline Trost, Sandra Soliman, Sarah-Maria Leitner und Lukas Willgens Zeitzeugen und Weggefährten von Frei Otto interviewt, hierunter Peter Pätzold, Larry Medlin, Gernot Minke, Roberto Raccanello, Juan Gerardo Oliva Salinas, Prof. Ekkehard Ramm, Prof. Ruy Pauletti, Sergey Fedorov, Jürgen Hennicke, Prof. Rainer Graefe und Jos Tomlow. Sie baten diese jeweils drei Fragen zu beantworten: Wie haben Sie Frei Otto kennengelernt? Wie war die Zusammenarbeit mit Frei Otto? Was würden Sie Frei Otto sagen, wenn er jetzt vor Ihnen stünde? Die Fragen wurden von den Architekturstudierenden im Rahmen eines Seminars entwickelt, in dem sie sich intensiv mit Frei Otto und seinen Werken auseinandersetzten. So ist eine neue Sichtweise entstanden und der Standpunkt der heutigen Generation wurde mit Frei Otto verbunden. Wichtig war es den Studierenden dabei, neben der fachlichen Dimension, die durch zahlreiche Vorträge auf dem Symposium abgedeckt wurde, auch eine persönliche Seite sichtbar zu machen. Herausgekommen ist ein rund 15-minütiger Zusammenschnitt von Statements, der einem ganz außergewöhnlichen und international sehr einflussreichen Genie gewidmet ist. Sehr sehenswert, nicht nur für die, die beim Symposium nicht dabei sein konnten. Das Video kann hier abgerufen werden.

100 Jahre Frei Otto, was bereits geschah

Der visionäre und innovative Architekt und Pritzker-Preisträger Frei Otto (1925-2015) ist insbesondere für seine leichten Flächentragwerke berühmt. Am 31. Mai 2025 jährte sich sein Geburtstag zum 100. Mal. Um seinen außergewöhnlichen Experimentiergeist, seine Werke, Methoden und internationalen Netzwerke zu würdigen, organisierte die Universität Stuttgart am 5. und 6. Juni 2025 das zweitägige Symposium Frei Otto 100 | The Spirit of Lightweight Construction am Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) in Stuttgart-Vaihingen. Die Veranstaltung fand in Frei Ottos Zeltkonstruktion statt, die dieser einst als Prototypen für den deutschen Pavillon auf der EXPO ˊ67 in Montreal entworfen hatte. Das Zelt, in dem noch immer Teile des Instituts untergebracht sind, bot einen inspirierenden Raum für offene Reflexionen über vergangene und gegenwärtige Errungenschaften im Bereich des Leichtbaus. Mit dabei: die Zeitschrift Bauingenieur, die 2025 ebenfalls ihr 100-jähriges Jubiläum feiert.

Von der Natur inspiriert

Die zweitägige Veranstaltung umfasste Reflexionen zu Frei Ottos Arbeit, Methoden und Netzwerken, unterstützt durch die Aussagen mehrerer Zeitzeugen. So hatte Frei Otto als Leiter des von ihm gegründeten Instituts für Leichte Flächentragwerke (IL) seit den 1960er-Jahren die internationale Avantgarde des Leichtbaus und verwandter Disziplinen um sich herum versammelt, seine Schüler berichten von einer außergewöhnlich kreativen und inspirierenden Atmosphäre, die das IL prägte. Zu Frei Ottos Arbeit: Frei Ottos leichte, weitgespannte Tragwerke waren von der Natur inspiriert und basieren auf einem minimalen Materialeinsatz. So experimentierte Frei Otto mit Hänge- und Seifenhautmodellen, um minimale Flächen zu finden. Dabei entwarf Frei Otto zunächst vor allem temporäre Bauten wie Zelte, Pavillons und Gitterschalen. Von Dauer sollte hingegen das Münchener Olympiastadion mit seinen Zeltdächern aus Acrylglas sein. Auch die mit Lichtaugen abschließenden Kelchstützen der neuen Bahnsteighalle in Stuttgart hatte Frei Otto in Experimenten mit Seifenblasen gefunden. Gebaut hat sie schließlich der Architekt Christoph Ingenhoven mit Unterstützung des Büros Werner Sobek und den Baufirmen Züblin und Seele.

Das Erbe Frei Ottos

Ein weiterer Schwerpunkt des Symposiums lag darauf, wie verschiedene Generationen von Forscherinnen und Forschern, Praktikerinnen und Praktikern das Erbe der Stuttgarter Schule des Leichtbaus interpretieren. Neben Frei Otto zählten unter anderen Fritz Leonhardt, Jörg Schlaich und Werner Sobek zum Umfeld oder zu Vertretern der sogenannten dritten Stuttgarter Schule. Nicht nur die zahlreichen internationalen Adaptionen der Arbeiten Frei Ottos waren beeindruckend, auch deutsche Professoren wie Mike Schlaich zeigten auf, wie von Frei Otto erdachte Konstruktionen wie Kabelnetze, Membrane, pneumatische Strukturen, mobile Bauwerke, Gitterschalen, Baumstrukturen und Klimahüllen die eigene Architektur durchziehen. Das Büro SL-Rasch brachte wiederum die Schirme vor der Mosche in Medina, die das Büro auf Hochleistungsrechnern entworfen hatte, in das mitreißende Vortragsprogramm ein. Sie fungieren noch heute als wandelbare Klimadächer. Einblicke in die parametrische Architektur gaben Professor Achim Menges und Professor Jan Knippers, die an der Universität Stuttgart das Exzellenzcluster IntCDC „Integrative Computational Design in Construction“ leiten. 2016 entwarfen diese den Elytra Filament Pavillon, der in Anlehnung an die besonders leichten Deckflügel, die sogenannten Elytren von Käfern, aus hexagonalen Waben besteht, die in einem speziellen robotischen Wickelverfahren aus Fasern geformt wurden. Ebenso inspirierend: das Forschungsprojekt „Adaptive Hüllen und Strukturen für die gebaute Umwelt von morgen“, geleitet von Professor Oliver Sawodny und Professor Lucio Blandini, aktueller Leiter des ILEK.

100 Jahre Frei Otto im Bauingenieur

Geplant ist, dass Professor Lucio Blandini in der zweiten Jahreshälfte 2025 einen Aufsatz über die Stuttgarter Schule im Bauingenieur veröffentlichen wird – wir freuen uns schon sehr darauf. Außerdem gab es im Sommerheft (07-08/2025) eine zweiseitige Veranstaltungsankündigung, die Prof. Blandini gemeinsam mit Prof. Christiane Weber vom ifag verfasste, sowie einen Nachbericht der Bauingenieur-Redaktion. Wer also noch mehr über Frei Otto und das Symposium erfahren möchte, dem wünschen wir viel Spaß auch bei dieser Lektüre.

Empfehlungen der Redaktion:

  1. Erste Gitterschale als Lichtdurchlass fertiggestellt
  2. Der Bauingenieur im Sommer 2025
  3. FREI OTTO 100 – THE SPIRIT OF LIGHTWEIGHT CONSTRUCTION
  4. Zeltdach wird ausgezeichnet
  5. Eine Reise zur Bauingenieurskunst der Moderne
  6. Nichts mehr verpassen: Hier geht‘s zur Newsletter-Anmeldung…
Von ILEK / Melanie Schulz